Eine Lagerhalle in der Leopoldstadt
Die drei Männer zogen sich schwarze Handschuhe über und begannen auf den Mann einzuschlagen. Die Hände hatten sie ihm mit einer roten Schnur auf den Rücken gebunden, und sie hatten ihm klar zu verstehen gegeben: Wenn sie mit ihm fertig seien, werde er hingerichtet, das sei ihr Befehl. Nach einer halben Stunde lag ihr Opfer mit gebrochener Augenhöhle, gebrochenem Oberkiefer, zertrümmertem Jochbein sowie zahllosen Prellungen und Platzwunden der Ohnmacht nahe am Boden. Jetzt schleiften die Männer den Schwerverletzten in die Mitte der leer stehenden Lagerhalle und befahlen ihm, sich in muslimischer Gebetspose hinzuknien. Als er dies tat, fuhren sie ihn mit einem Polizeifahrzeug von hinten an. Jetzt prallte der Gefolterte mit dem Kopf auf den Boden und wurde ohnmächtig.
Der Mann, der so brutal malträtiert wurde, war Afrikaner. Aber die Szene spielte sich nicht in seiner Heimat Gambia ab, sondern in Wien, gleich neben dem Ernst-Happel-Stadion. Und die Täter waren keine von Bürgerkrieg und Anarchie entmenschten Folterknechte, sondern Wiener Polizisten mit Dienstplan, Biennalsprüngen und Wochenendhaus.
Was sich da in der Karwoche des Jahres 2006 abspielte und wie Polizei und Justiz den unfassbaren Übergriff zu vertuschen versuchten, ist eines der dunklen Kapitel der jüngeren österreichischen Geschichte.
Das Opfer, Bakary J., lebte damals schon seit vielen Jahren in Wien. 1999 hatte er eine Österreicherin geheiratet, das Paar hatte zwei Kinder. Aber sein Asylantrag war immer noch nicht erledigt, er hatte Arbeitsverbot. Die Familie lebte vom Einkommen der Frau. Im April 2004 wurde er wegen des Besitzes von Suchtgift und der Absicht, damit zu handeln, zu zwei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt.
Als er am 31. März 2006 in Hirtenberg entlassen werden sollte, warteten seine Frau und die Kinder vergeblich vor dem Gefängnistor. Der Vater war schon von Beamten der Fremdenpolizei ins Polizeigefängnis am Hernalser Gürtel gebracht worden. Am 7. April um vier Uhr Früh holte man ihn aus dem Bett und fuhr ihn zum Flughafen. Bakary J. weigerte sich mitzufliegen, der Pilot weigerte sich, einen allenfalls randalierenden Häftling mitzunehmen.
Daraufhin fuhr man zur Lagerhalle in der Leopoldstadt.
Im Wiener AKH erzählten die Polizisten, der Afrikaner habe sich seine Verletzungen bei einem Fluchtversuch zugezogen. Die Ärzte verpassten dem Opfer ohne weitere Untersuchung eine Halskrause und übergaben ihn wieder den Polizisten. Die folgenden Monate verbrachte der Gambier im Gefängnis, meist in Einzelhaft.
Inzwischen hatte sich der hoch korrekte Leiter des Büros für Innere Angelegenheiten im Innenministerium (BIA), Martin Kreutner, des Falls angenommen und ihn gegen Widerstand im eigenen Ministerium aufs Tapet gebracht. Auch Amnesty International trat auf den Plan, der Anwalt J.s erhob Beschwerde gegen die Schubhaft.
Die Hardliner des tiefschwarzen Innenministeriums versuchten nun den Schubhäftling mithilfe des Unabhängigen Verwaltungssenats Niederösterreich vor der anstehenden Gerichtsverhandlung doch noch abzuschieben - sie scheiterten am Verwaltungsgerichtshof.
Die Folterer fanden einen milden Richter: Am 31. August 2006 wurden sie zu acht Monaten bedingt verurteilt und durften daher im Dienst bleiben. Manfred Nowak: "Wegen eines vergleichsweise geringen Drogenbesitzdelikts wurde ein unbescholtener Afrikaner zu zwei Jahren unbedingter Haft verurteilt, während jene Polizisten, die ihn brutal gefoltert und mit dem Tod bedroht hatten, zu ein paar Monaten bedingter Haft verurteilt wurden. Die Disziplinarbehörde des Kanzleramts befand 2007: Die Polizisten dürfen im Amt bleiben. Erst auf abermaligen Druck des Verwaltungsgerichtshofs wurde dieser Spruch revidiert.
Bakary J. sitzt immer noch bei seiner Familie in Wien, er hat Aufenthaltsverbot und darf nicht arbeiten. Niemand hat sich je bei ihm entschuldigt.
Es ist die Banalität des Bösen - Buchautor Manfred Nowak im Interview mit Herbert Lackner im profil 9/2012