Wahl in Frankreich

Frankreich. Auf „Merkozy“ folgt wahrscheinlich „Merkollande“

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Monatelang hatten die Medien über ein Geschöpf namens "Merkozy“ geschrieben. Dann, Anfang Februar 2012, trat dieses hybride Wesen erstmals leibhaftig auf: Der französische Präsident Nicolas Sarkozy und die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel gaben gemeinsam ein Interview. Eine Premiere. Im Gespräch mit den Journalisten der TV-Sender ZDF und France 2 präsentierten sie sich als ein Herz und eine Seele.

"Sarko“ hatte den Tenor dieser deutsch-französischen Präsentation kurz zuvor bereits in einer Ansprache im französischen Fernsehen vorweggenommen. Er lobte seine Berliner Partnerin über den grünen Klee: "Ich bewundere die Frau, die 80 Millionen Deutsche so gut durch die Krise geführt hat.“ Ob es nun die Steuerreform, die Kontrolle der Arbeitskosten oder das Lehrlingssystem war - der Mann im Elysée-Palast pries den Franzosen das Land von Frau Merkel enthusiastisch als Vorbild an. Gleich 15-mal nannte er Deutschland in seiner Rede.

Im Doppelinterview revanchierte sich dann die Kanzlerin: Die Freundschaft zum Staatsoberhaupt in Paris sei Ausdruck "persönlicher Zuneigung und historischer Verantwortung“. Und sie bekräftigte ihr Versprechen, im französischen Präsidentenwahlkampf - am 22. April wird gewählt - gemeinsam mit Sarkozy aufzutreten: "Ich unterstütze ihn in jeder Façon, weil wir auch befreundeten Parteien angehören“ - sie der konservativen CDU und er der gaullistischen UMP.

Es war ein großer Tag für Merkozy, Höhepunkt der seltsamen Partnerschaft zwischen der ruhigen Ossi-Frau und dem glamourös-hektischen Franzosen, zwischen der sparobsessiven Protestantin und dem staatsfixierten katholischen Jakobiner - Kulmination einer Polit-Ehe, die das Schicksal Europas in der turbulenten Krisenzeit der vergangenen Jahre dominiert hat.

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Doch mit dem Auftritt im Doppelpack im Februar war die Merkozy-Ära auch schon wieder zu Ende. Die Scheidung folgte auf dem Fuß. Nur wenige Tage nach dem gemeinsamen Interview lud der Franzose in einem Radiointerview Frau Merkel - ohne sie persönlich darüber zu informieren - von der Kampagne um seine Wiederwahl aus. Die Kanzlerin, so berichten Vertraute, soll über Sarkozys Sprunghaftigkeit laut geschimpft haben.

Dabei war sein Sinneswandel durchaus verständlich: Die allzu demonstrativ gezeigte Germanophilie kam beim französischen Elektorat nicht besonders gut an. "Der Wahlkampf ist Sache der Franzosen“, begründete Sarkozy die Merkel-Ausladung ganz patriotisch.

Und er wurde noch "patriotischer“, als er erkennen musste, dass die Chancen auf seine Wiederwahl nur blieben, was sie seit Beginn des Wahlkampfs waren: sehr gering. In seiner Verzweiflung vollzog Sarkozy im Februar einen drastischen Rechtsschwenk, um Marine Le Pen, der Kandidatin des Front National, die Stimmen abspenstig zu machen. Viel zu viele Ausländer kämen nach Frankreich, erklärte er. Die Kennzeichnung von Fleisch aus islamischer oder jüdischer Schlachtung als "halal“ oder "koscher“ erhob er zur nationalen Priorität. Und er drohte, das Schengen-Abkommen, das den freien Personenverkehr garantiert, aufzukündigen.

Nun kann Frau Merkel geradezu froh sein, ihr Versprechen, in Frankreich für den Präsidenten in die Schlacht zu ziehen, nicht halten zu müssen: Kein ernst zu nehmender deutscher Politiker kann es sich leisten, mit solch rechtspopulistisch-xenophoben Themen in Zusammenhang gebracht zu werden, die nunmehr den Sarkozy-Wahlkampf dominieren. Der Chef der deutschen Sozialdemokratie, Sigmar Gabriel, trifft wohl den Punkt, wenn er ätzt, er könne sich "nicht vorstellen, dass Frau Merkel die antieuropäischen Stimmungen, die Sarkozy gerade verbreitet, gut findet“.

Der Bruch ist da. Und zudem wird immer klarer: Sarkozy kann schwenken, wie er will - der Versuch, zu seinem Herausforderer François Hollande aufzurücken, ist bislang jedenfalls gescheitert. Der sozialistische Kandidat liegt in den Umfragen für den entscheidenden zweiten Durchgang der Präsidentenwahl (am 6. Mai) konstant sechs bis acht Prozentpunkte vor dem Gaullisten. Da half es Sarkozy auch nur wenig, dass er während der Terrorkrise von Toulouse das zeigte, was die Franzosen an ihm so lange schon vermissen: staatsmännische Souveränität und Ernsthaftigkeit. Sein geschicktes und besonnenes Agieren in diesen dramatischen Tagen brachte ihm jedoch kaum einen Zuwachs an Sympathie ein. Er bleibt so unbeliebt wie zuvor.

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Auch ohne den drohenden Auszug Sarkozys aus dem Elysée-Palast wäre das, wofür Merkozy stand, wohl zu Ende gegangen. Die traditionell enge Zusammenarbeit der beiden größten EU-Volkswirtschaften mit ihrer Dominanz der Eurozone wurde in den Krisenjahren besonders wichtig. Unabhängig von den persönlichen Gefühlen der deutschen Kanzlerin und des französischen Präsidenten zueinander, war es "schlicht Staatsräson, dass sie die Führungsrolle übernehmen mussten“, analysiert Peter Ehrlich in der "Financial Times Deutschland“ nüchtern. "Die beiden haben stellvertretend manchen Konflikt in der Eurozone ausgetragen: Solidarität gegen Konsolidierung, französische Kriegsrhetorik (Generalmobilmachung) gegen deutsches schrittweises Vorgehen.“

Merkozys Fehler im Krisenmanagement waren zwar offensichtlich: Die Deutsche brauchte lange, bis sie erkannte, dass europäische Antworten geboten sind, der Franzose wollte an den EU-Institutionen vorbei eine Wirtschaftsregierung installieren. Beide verschärften dadurch die Krise zum Teil sogar. In letzter Instanz wurde sie unter dem Druck der Verhältnisse vom deutsch-französischen Führungsduo dann doch gemeistert. Der Zusammenbruch der Eurozone konnte vorerst vermieden werden.

Aber "das System Europa hat das System Merkozy am Ende besiegt“, schreibt Peter Ehrlich. EU-Regeln, Institutionen und Persönlichkeiten wie Ratspräsident Herman Van Rompuy und Ecofin-Chef Jean-Claude Juncker setzten sich durch: Die wirtschaftspolitische Koordination liegt nun zum allergrößten Teil in Brüssel - nicht im Elysée-Palast und im Berliner Kanzleramt. Und das ist beruhigend. Selbst notorische Kritiker der "Brüsseler Bürokratie“ müssen zugestehen: Diese ist trotz allem berechenbarer als der sprunghaft-populistische Sarkozy und stabiler als die wandelbare deutsch-französische Freundschaft.

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Merkozy, c’est fini - vive Gabrillande! Kaum macht der eine Polit-Hybrid Anstalten, sich zu verabschieden, präsentiert sich der europäischen Öffentlichkeit ein neues, alternatives Doppelwesen - wieder mit einem Interview. Anfang vergangener Woche stellten sich SPD-Chef Sigmar Gabriel und der Sozialist François Hollande, der demnächst Sarkozy als französisches Staatsoberhaupt ablösen dürfte, gemeinsam der französischen "Libération“ und der deutschen "Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Offenbar wollten die beiden ihren Auftritt nach dem Vorbild jenes von Merkel und Sarkozy vor zwei Monaten inszenieren. Und auch den beiden Linken ging es offenbar darum, vor aller Öffentlichkeit ihre tiefe Verbundenheit zu demonstrieren. Das dürfte ihnen gelungen sein. Die "FAZ“ titelte nach dem Gespräch: "Ziemlich beste Freunde“.

Gabriel mag weniger staatsmännisch wirken als Frau Merkel und Hollande bei Weitem nicht Sarkozys Charisma besitzen - der Zeitgeist ist dieser deutsch-französischen Linkspaarung jedoch freundlich gesonnen. Nicht nur dass mit Hollande seit Langem wieder ein Sozialist das französische Präsidentenamt übernehmen würde, auch Deutschlands Politik rückt nach links. Das zeigen die Meinungsumfragen. Zwar ist Frau Merkel nach wie vor die beliebteste Politikerin. Auch bleibt ihre konservative CDU die unangefochten stärkste deutsche Partei. Die schwarz-gelbe Regierungskoalition in Berlin kann sich aber wegen des dramatischen Absturzes der FDP-Liberalen längst nicht mehr auf eine Mehrheit stützen. Gabriels Sozialdemokraten befinden sich im Aufschwung. Und alle linken Parteien zusammengenommen (die Grünen und die Piraten inklusive) haben jedenfalls eine klare arithmetische Majorität der Deutschen hinter sich. Das wird sich auch voraussichtlich bis zur Bundestagswahl im kommenden Jahr kaum ändern.

Dass die Mitte-links-Parteien Deutschlands und Frankreichs in Europa gemeinsame Sache machen, wie Hollande und Gabriel nun verkünden, ist freilich so selbstverständlich nicht. Der Parti Socialiste Français (PSF) und die SPD sind politisch grundverschiedene Tiere. Von sozialdemokratischen Modernisierern werden die französischen Sozis als Dinosaurier gesehen. Während etwa die deutschen Sozialdemokraten bereits 1959 in ihrem Godesberger Programm dem Marxismus entsagten und den Reiz des Marktes entdeckten, wird in breiten Teilen der PSF nach wie vor von einem "Bruch mit dem Kapitalismus“ geträumt und "liberal“ allgemein als Schimpfwort angesehen.

Mit Hollande und Gabriel zeichnet sich freilich eine Konvergenz politischer Perspektiven ab: Gabriel hat seiner Partei in der Opposition einen leichten Linksschwenk verordnet. Und Hollande gilt als Modernisierer und Integrationsfigur.

Im gemeinsamen Interview gestand Gabriel "Fehleinschätzungen“ seiner Partei in der Vergangenheit ein; diese würden nun korrigiert. "Wir haben uns gelegentlich zu stark an den neoliberalen Theologen orientiert“, sagte er und ging damit auf Distanz zum früheren Kanzler Gerhard Schröder, seinem Vorvorgänger als SPD-Chef. Schröder und der einstige französische Premier Lionel Jospin hätten sich Ende des vergangenen Jahrhunderts anfänglich durchaus gut verstanden, berichtet Gabriel. Dann aber sei der britische Premier und Labour-Führer Tony Blair gekommen und habe den Kollegen in Berlin auf seine Seite, auf den neoliberalen "dritten Weg“, gelockt. "Ab diesem Moment wurde eine gemeinsame Politik der französischen Sozialisten und der deutschen Sozialdemokratie unmöglich“, bedauerte Gabriel.

Das werde nun ganz anders, versicherten die beiden neuen Freunde unisono. In der Europapolitik wollen sie jedenfalls an einem Strang ziehen. Dem Vorhaben des Franzosen, den europäischen Fiskalpakt, den die EU-Regierungen kürzlich abgesegnet haben, wieder neu zu verhandeln, könne er, Gabriel, nur zustimmen. Er teile die Position seines Gegenübers: "Im Pakt fehlt eine starke Komponente für Wachstum und Beschäftigung. Und es fehlt die Besteuerung der Finanzmärkte.“ Hollande stimmt freudig zu, wenn der deutsche Sozialdemokrat Fundamentalkritik an Kanzlerin Merkel übt: "Sie glaubt, Europa sei zu fett und müsse deshalb eine Diät machen. In Wahrheit haben einige Länder Europas Herz-Kreislauf-Probleme und brauchen einen Herzschrittmacher.“

Auch sind sich die beiden einig, dass Europa etwas benötigt, was von Merkel bisher rigoros abgelehnt wird: Eurobonds. Der Franzose will das Geld dieser gemeinsamen europäischen Anleihen ganz konkret in Städtebau, Forschung, Wissenschaft und Energieprojekte fließen sehen. So soll das stagnierende Europa wieder dynamisiert werden.

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In groben Zügen steht also die Alternative zur Merkozy-Politik: ein gemeinsames deutsch-französisches Linksprojekt für Europa. Doch so schnell wird es nicht auf den Weg gebracht werden. Denn selbst wenn, wie abzusehen, der französische Sozialist den Amtsinhaber Sarkozy im Mai vom Thron stoßen sollte - im Berliner Kanzleramt wird sich so schnell nichts ändern. Angela Merkel bleibt Regierungschefin, aus heutiger Sicht auch nach den Wahlen im kommenden Jahr, wahrscheinlich in einer großen Koalition mit den Sozialdemokraten. Also kommt nach Merkozy nicht Gabrillande, sondern Merkollande? Und was bedeutet eine solche Konstellation für Europa? Wird die deutsche Kanzlerin ihren auf Konsolidierung bedachten strengen Sparkurs für die Eurozone weiterhin fortsetzen können?

Es sieht nicht danach aus. Auch unabhängig von Fragen des politischen Personals hat sich die Situation in der EU geändert: Der Abgrund ist nicht mehr in Sicht. Die Gefahr des Zerfalls der gemeinsamen Währung schwindet. Auch konjunkturell ist Entspannung angesagt. Daher "nimmt auch der Respekt in anderen europäischen Ländern vor der Kanzlerin als bestimmender Zuchtmeisterin ab“, analysiert das deutsche "Handelsblatt“. Merkel habe nicht mehr das Kommando: "Von Madrid über Rom bis Den Haag überlegen die Regierungen, wie sie ihre Haushalte sanieren können, ohne ihren Wählern auf Jahre hinaus Steine statt Brot zu bieten.“

Mit Hollande im Elysée-Palast erwüchse den um die soziale Stabilität bangenden EU-Politikern ein mächtiger, mit Berlin fast gleichrangiger Fürsprecher in der Eurozone. Die Weichen wären für eine europäische Politik gestellt, die nicht nur auf Haushaltsdisziplin als Patentrezept gegen die Krise setzt, sondern auch gezielt Wachstumsimpulse geben will.

Unter Sarkozy waren alle Versuche, die so notwendigen demokratischen Reformen der europäischen Institutionen voranzutreiben, zum Scheitern verurteilt - ebenso wie weitere Integrationsschritte: Der konservative Gaullist ist letztlich ein national denkender Franzose, der jegliche Übertragung von Souveränitätsrechten an Europa grundsätzlich ablehnt. Für die Demokratisierung der EU hat er wenig Verständnis. Er will genau das Gegenteil: mehr Macht für die Regierungschefs der großen Länder. Alles andere lehnt er kategorisch ab.

Auf dieser Ebene der Europapolitik könnte sich Frau Merkel mit ihrem neuen Pariser Gegenüber Hollande möglicherweise sogar besser verstehen als mit Sarkozy. Sowohl die deutsche Politik insgesamt als auch die französische Linke haben viel stärkere parlamentarisch-demokratische Traditionen als die französische Rechte, deren Politik immer schon stark bonapartistische Züge trug. Merkel hat sich bislang geweigert, Hollande zu treffen. Eine eventuelle zukünftige Kooperation mit ihm könnte aber gedeihlicher werden als allgemein angenommen.

"Ich würde mit Frau Merkel gut zusammenarbeiten“, versichert François Hollande. Und das dürfte nicht nur eine diplomatische Floskel sein. Historische Vorbilder für solch ein rot-schwarz gemischtes Doppel hat er allemal: legendär die Paarungen Helmut Schmidt/Valéry Giscard D’Estaing und Helmut Kohl/François Mitterrand.

Georg Hoffmann-Ostenhof