Barack Obama buhlt um Hillary-Wähler

Frauensache

Demokraten müssen zueinander finden

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Harriet Christians Stimme war tränenerstickt. „Die Demokraten schmeißen die Wahlen weg, sie haben Hillary und dieses Land ruiniert, ich hasse die Demokraten!“, schrie die alte Dame hysterisch, ehe sie wutschnaubend fort­ging. Christian, eine Demokratin, die sich öffentlich über die Niederlage Hillary Clintons bei den Vorwahlen ärgerte, hat heute Kultstatus. Ihr Wutausbruch wurde weit über eine Million Mal auf der Internetplattform YouTube angeklickt, in deren Foren sie als „lächerlicher ­Freak“ abgestempelt wird.

Doch Christian ist mehr als nur ein Freak. Sie steht symbolisch für Millionen von weißen Demokratinnen, die zutiefst frustriert über die Niederlage Clintons sind. Das sind vor allem ältere Feministinnen, die in den sechziger und siebziger Jahren erwachsen wurden. Sie fürchten nun, dass sie eine Frau als US-Präsident nicht mehr erleben könnten.
Bei manchen sitzt die Wut darüber so tief, dass sie sich zu Trotzaktionen hinreißen ließen. Unterschriftenlisten unter Demokratinnen, die dazu auffordern, im November für den Republikaner McCain anstatt für Obama zu stimmen, kursieren seit Wochen im ganzen Land, Websites wie „Puma“ („Party Unity My Ass“ – frei übersetzt: „Ich scheiße auf die Parteigeschlossenheit“) schießen aus dem Boden.
Barack Obama weiß, dass die weißen Wählerinnen seine Schwäche sind. Einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts PEW zufolge ist der demokratische Präsidentschaftskandidat in den vergangenen sechs Monaten in der Wählergunst weißer Frauen von 56 Prozent auf 43 Prozent gefallen.

Das klingt besorgniserregend, ist es aus Sicht Obamas aber vorerst nicht. Denn landesweit hat er seinen Konkurrenten John McCain mit 51 zu 36 Prozent mittlerweile klar abgehängt, wie aus einer aktuellen Umfrage von „Newsweek“ hervorgeht. Durchschnittlich führt der 46-jährige Senator in allen seriösen Umfragen mit knapp sieben Prozentpunkten (siehe Grafik). Der hölzerne, rhetorisch schwache McCain, die Krise der republikanischen Ideologie – alles spricht momentan für einen Sieg Obamas.
Und dennoch gibt sich der demokratische Präsidentschaftskandidat seit einigen Wochen redlich Mühe, die enttäuschten Hillary-Wählerinnen auf seine Seite zu ziehen. Immer öfter organisiert sein Wahlkampfteam Veranstaltungen, zu denen einzig Frauen eingeladen werden.
Wie auch vergangene Woche, als Obama sich mit dem weiblichen Personal eines Res­taurants in Albuquerque, New Mexico, traf. Dort sprach er weder über die Wirtschaftskrise noch über den Irak-Krieg. Stattdessen gelobte Obama, sich für höhere Bezahlung von Frauen und eine höhere Familienförderung einzusetzen.

Teufelin. Der Senator sprach darüber, wie sehr es ihn geprägt habe, erst bei seiner Mutter, dann bei der Großmutter aufzuwachsen, und wie groß Hillary Clintons „Verdienste für Frauen in Amerika“ seien.
Obamas Buhlen um Hillary geht so weit, dass er zuletzt sogar sein Finanzkomitee bat, die Schulden seiner ehemaligen Rivalin in Höhe von über zehn Millionen Dollar zu tilgen.
Obama weiß, dass seine ehemalige Rivalin im Vorwahlkampf nicht immer fair behandelt wurde und dass es einiges gutzumachen gibt. Da waren Bemerkungen des NBC-Moderators Chris Mathews, der Clinton als „Teufelin“ bezeichnete, oder ein Berater McCains, der sie „white bitch“ schimpfte. Da waren die seltsamen Diskussionen über ihre Garderobe und den Schmuck bis hin zu Clintons Ausschnitt. Und da war Samantha Powers, Obamas ehemalige außenpolitische Beraterin, die Clinton wegen ihres Ehrgeizes als „Monster“ bezeichnete.
Ob es Obama gelingt, die Hillary-Wähler zu gewinnen, bleibt abzuwarten. Glaubt man der Buchautorin Linda Hirshman, kann er sich aber schon jetzt eines zugutehalten: Seit Hillarys Niederlage würden sich junge Frauen wieder für Politik interessieren. „Vierzig Jahre lang stagnierte die Zahl der Frauen, die in die Politik gingen. Doch die Erfahrungen mit Clinton haben viele wieder aufgeweckt“, sagt Hirshman.

Von Gunther Müller