Georg Hoffmann-Ostenhof

Fürchtet euch!

Fürchtet euch!

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Es schien Ende des Vorjahres ganz so, als ob 2008 die Weltgeschichte eine kleine Atempause machen würde. Zumindest was ihre martialische Seite betrifft. Alles deutete darauf hin, dass uns ein großer Krieg erspart werden würde. Bush watschelte als besonders lahme Ente durch die Weltpolitik. Seine zu Waffengängen allzeit bereiten neokonservativen Eiferer waren in der Defensive. Wo früher Falken stolz in den Lüften kreisten, begannen Tauben zu gurren: Die moderateren und pragmatischeren Außenpolitiker drängten in Washington die ideologischen Kriegstreiber zurück. Die hatten – trotz der desaströsen irakischen Erfahrungen – die ganze Zeit schon auf einen Angriff auf den Iran gedrängt. Im Dezember 2007 schien dieses Vorhaben endgültig weg von der Tagesordnung. Ein „National Intelligence Estimate“, ein gemeinsamer Bericht von 16 US-Geheimdiensten, schlug dem US-Präsidenten eines der Kernargumente für einen harten Kurs gegen Teheran aus der Hand: Die Mullahs basteln seit 2003 gar nicht mehr an der Atombombe, wurde autoritativ erklärt. Man konnte aufatmen. Der Krieg mit dem Iran war abgeblasen. Es schien ganz so, als brauchte man nur noch auf den Nachfolger Bushs zu warten, der – wer immer das auch sein sollte – mit Sicherheit eine weniger verrückte und weniger gefährliche Weltpolitik betreiben würde.

Und es kam ganz anders als erwartet: Spätestens seit vergangenem Juni häufen sich nun die Anzeichen, dass in Wa­shington doch ein Iran-Krieg noch vor dem Machtwechsel geplant ist. Die demonstrativen Testabschüsse von iranischen Raketen in der vergangenen Woche, die gemäß der Behauptung Teherans auch Tel Aviv treffen könnten, waren freilich weniger Ausdruck persischer Angriffslust als vielmehr ein Hinweis darauf, dass sich die Mullahs im Iran wirklich von einer bevorstehenden Attacke bedroht fühlen. Die Raketentests dürften vor allem eine Antwort auf ein Großmanöver der israelischen Luftwaffe sein: Mehr als hundert Kampfjets stiegen in der ersten Juniwoche in Richtung Kreta auf, dazu Tankflugzeuge und Rettungshubschrauber, mit denen abgeschossene Piloten geborgen werden können. Die Flugstrecke betrug ziemlich genau die Distanz zu den iranischen Nuklearanlagen in Natanz und Isfahan. Teheran wollte mit den Raketentests offenbar demonstrieren, dass eine Attacke auf den Iran kein Spaziergang werden würde.

Dass man nicht nur in Jerusalem, sondern auch in den USA nach wie vor den Krieg plant, enthüllte jüngst erst wieder Star-Aufdecker Seymour M. Hersh in der US-Zeitschrift „The New Yorker“: Verdeckte US-Operationen im Iran wurden in den vergangenen Monaten verstärkt. 400 Millionen Dollar sind für solche Geheimaktionen budgetiert, die zum Ziel haben, „die nuklearen Ambitionen des Iran zu unterminieren und das Regime zu destabilisieren“. Zudem sollen die iranischen Nuklearanlagen ausgekundschaftet und radikale (oft fundamentalistische) Gruppen der arabischen, belutschischen und kurdischen Minoritäten finanziell und paramilitärisch aufgepäppelt werden. Hershs Artikel erschien unter der Überschrift: „Preparing the Battlefield“. Vorbereitung auf die Schlacht.
Dass – das selbst nuklear aufgerüstete – Israel den Bau einer iranischen Atombombe mit allen Mitteln auch präventiv verhindern will, mag verständlich sein: Die antiisraelischen und antisemitischen Tiraden des iranischen Präsidenten Mahmoud Ahmadinejad und aus der Geschichte stammende jüdische Urängste lassen die Hartnäckigkeit, mit der ­Teheran an der Entwicklung eigener Nukleartechnologie ­arbeitet, als existenzielle Bedrohung erscheinen. Die Angst Israels vor einer zukünftigen iranisch-islamischen Aggression ist mit Sicherheit stark übertrieben. Man kann sie jedoch nachvollziehen. Dass aber offenbar Bush und seine Leute nach wie vor bereit sind, demnächst den Iran militärisch anzugreifen – ohne amerikanische Hilfe wäre ein israelischer Luftangriff kaum machbar –, ist erschreckend. Denn es ist klar: Das wird ein veritabler Krieg mit unabsehbaren Folgen.

Die atomaren Anlagen des Iran sind über das Land verstreut. Da muss weit geflogen werden, um sie zu bombardieren. Die Iraner besitzen aber eine nicht zu unterschätzende Luftabwehr. Und sie werden zurückschlagen. Mit Angriffen auf die Schifffahrt im Persischen Golf, mit der Blockade der Straße von Hormuz, durch die vierzig Prozent des weltweit geförderten Erdöls geschifft werden (wie hoch wird dann der Ölpreis sein?). Die von Teheran unterstützten islamistischen Gruppen Hamas und Hisbollah würden eine Terrorwelle in Gang setzen. Und Teheran ist durch seinen Einfluss im Irak in der Lage, den Amerikanern ihre Präsenz am Golf zum totalen Albtraum werden zu lassen. Der Nahe Osten wäre ein „Feuerball“, warnt der Direktor der Internationalen Atomenergiebehörde, Mohamed ElBaradei. Ebenso apokalyptische Perspektiven zeichnete vergangenes Jahr Pentagon-Chef Robert Gates, ein moderater Republikaner, im Falle eines präventiven Kriegs gegen den Iran: „Wir würden eine neue Generation von Dschihadisten (islamische Terroristen, Red.) produzieren, und unsere Enkel müssten gegen unsere Feinde hier in Amerika kämpfen.“

Noch scheint in Washington nichts endgültig entschieden. Aber ein sonst so nüchternes Medium wie der britische „Economist“ fühlt sich veranlasst zu titeln: „Fürchtet euch, bitte!“ Jedenfalls ist es höchste Zeit, dass die europäischen Regierungen ihre verlegene Zurückhaltung aufgeben. Sie müssen endlich offensiv klarmachen, dass sie die amerikanisch-israelischen Iran-Kriegspläne für einen gefährlichen Wahnsinn halten.