G8: „Wir sind gekom- men, um zu bleiben“

G8-Gipfel: „Wir sind gekommen, um zu bleiben“

Zwei Sieger: Anatomie ei- ner seltsamen Symbiose

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Pedram Shahyar kann es auch Tage danach noch kaum fassen. „Das war ein Erfolg auf allen Linien“, jubelt der Berliner Politologiestudent. „Wer hätte das für möglich gehalten?“ In der Tat war es ein fesselndes Schauspiel, das sich am Mittwoch vergangener Woche in der Idylle um das Ostseebad Heiligendamm bot. Mehr als 10.000 Protestierer, bunt, fröhlich, als Clowns geschminkt die einen, mit Peace-Fahnen die anderen, wanderten durch Kornfelder und Heidelandschaft, umliefen die Polizeiketten, tricksten alle Einsatzpläne aus, schoben sich vor bis an den Sperrzaun, hinter dem die Hochsicherheitszone beginnt, in der gerade die G8-Staats- und -Regierungschefs eintrafen. Es wirkte leicht und war doch minutiös geplant. „Monatelang gab es Blockadetrainings, zuletzt täglich fünf in den Protestcamps“, erzählt Shahyar.

Am Ende wurde es ein Triumph im Bilderkrieg: friedliche Demonstranten, die von der Polizei weggezerrt werden. Greenpeace-Leute in Schlauchbooten, die von der Wasserschutzpolizei mit ihren Schnellbooten wüst gerammt werden. Heißluftballons mit Protestslogans am Himmel.

Damit waren auch die unschönen Bilder vom Samstag davor jäh verscheucht, als die martialische Haudrauf-Fraktion vom „Schwarzen Block“ im nahe gelegenen Rostock einen Steinhagel auf überforderte Polizisten losgelassen hatte.

Dichtgemacht. Zu all dem kam der symbolische Sieg der Protestierer: Der Landweg zum Gipfel war blockiert. Auch wenn die Staatslenker ohnehin per Helikopter eingeflogen wurden – ihr Tross und das Pressecorps mussten von der Marine mühsam auf dem Seeweg in die Gipfelzone gebracht werden. „Block-8“ war die Parole, „Heiligendamm dichtzumachen“ das Ziel. Dass das fast spielerisch gelingen würde, hätte aber kaum jemand gedacht. „Wir haben gewonnen“, freut sich Shahyar, der im Koordinationsrat des Netzwerkes Attac sitzt und eineinhalb Jahre investiert hat, um die Blockaden zu orchestrieren.

Bloß, was ist das für eine Art „Sieg“? Kein Kind in Afrika ist vor dem Verhungern gerettet, und das Schicksal keines einzigen Arbeitslosen wird dadurch leichter, weil tausende Demonstranten es bis zur befestigten Wehranlage schafften. Seit acht Jahren schon laufen Globalisierungskritiker bei jedem hochkarätigen Gipfeltreffen gegen „den Neoliberalismus“ Sturm. Alles begann, als 1999 zehntausende völlig überraschend die Tagung der Welthandelsorganisation WTO in Seattle lahmlegten. Es folgten die Blockaden des Weltwirtschaftsforums in den Bergen von Davos, die schweren Auseinandersetzungen beim EU-Gipfel in Göteborg und die massiven Krawalle bei der G8-Tagung in Genua 2001 – damals starb ein 23-jähriger Demonstrant, dem ein Polizist ins Gesicht geschossen hatte. Aber was haben sie erreicht, außer, dass sich die Premiers und Präsidenten in immer entlegeneren Tagungsorten abschotten? Anders gefragt: Bringt das etwas, außer schönen Bildern und fetten Schlagzeilen?

Die G8-Führer mögen sich mit Stahlzaun, Stacheldraht und Bannmeilen gegen die Demonstranten abschotten, aber deren Themen entkommen sie nicht. Alles, was dem Globalisierungskritiker gut und teuer ist, wurde auch am Gipfel verhandelt: globale Gerechtigkeit, Kapitalkontrollen, der Klimawandel. Das Verhältnis von Globalisierungskritikern und G8 ist widersprüchlich und durchaus symbiotisch – mögen die Protestler auch von der Gewissheit beseelt sein, die Gruppe der acht habe keine Legitimation. G8 steht in ihren Augen für eine Zusammenrottung von Globalschurken, die sich zu einer „Weltregierung“ aufschwingen, die Ausbeutung der Dritten Welt orchestrieren, Kriege vorbereiten und überhaupt die Welt so organisieren, dass die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden.

Doch wie häufig bei hoch symbolischen Auseinandersetzungen sind auch die G8-Lenker und die No-Globals auf seltsame Weise verfreundete Feinde. Viele der Probleme, die die Protestierer anprangern, gibt es auch deshalb, weil die G8 gerade keine Weltregierung sind. Weil die Staatenlenker zu zerstritten sind, um sich auf präzise Maßnahmen zu einigen, und weil die Weltwirtschaft viel zu komplex geworden ist, als dass sie von den Regierungschefs von acht Ländern noch wirksam gesteuert werden könnte. Umgekehrt heißt das: Viele der Forderungen, die etwa das linke Netzwerk Attac propagiert, wie etwa eine Steuer auf Finanzspekulationen oder eine Kontrolle der Hedgefonds, aber auch ein fairer Marktzugang für Afrika, ließen sich allenfalls dann erfüllen, wenn sich ein paar Führungsmächte entschieden darauf einigen könnten.

Die G8 und ihre Kritiker, das sind Antipoden, aber auch seltsam kommunizierende Welten. Auf der einen Seite die Eminenzen: Sie mögen sich von den Demonstranten gestört fühlen, die zugleich eine Versicherung ihrer Relevanz darstellen. Auf der anderen die Protestierenden, für die Gipfel eine gute Demo-Gelegenheit sind. „Gegen die Mächtigen“ stehe er hier, sagte ein Attac-Aktivist draußen vor dem Zaun, „weil diese Leute für die ganze Scheiße verantwortlich“ seien. Er klang nicht so, als ob er das wirklich glaubte.

Punktsieg für Merkel. Mittendrin in der Hochsicherheitszone stand Angela Merkel, die Gastgeberin, neben ihren Gästen, aber richtig mächtig dürfte sie sich dabei wohl nicht gefühlt haben. Ihre Gipfelagenda hatte sie mit einer Fülle wichtiger Themen überfrachtet. Wirksame Zielmarken für den Klimaschutz wollte sie beschließen lassen, die Hilfe für Afrika – beim G8-Gipfel in Schottland vor zwei Jahren feierlich abgenickt – sollte endlich in Fahrt kommen, und am liebsten hätte sie noch einen Konsens darüber hergestellt, dass hochspekulative Hedgefonds künftig zu mehr Transparenz gezwungen werden sollen.

Aber kaum einer ihrer Gäste wollte ihr einen Erfolg gönnen. US-Präsident George W. Bush mag von präzisen Zielvorgaben zur Drosselung der Erderwärmung nichts wissen, die USA und Großbritannien sperren sich gegen Kontrollen für institutionelle Investoren.

Immerhin, am Ende setzte die Kanzlerin ein Progamm von 60 Milliarden Dollar durch, die Afrika im Kampf gegen Aids und andere Infektionskrankheiten helfen sollen, zudem wurde das vor zwei Jahren abgegebene Versprechen erneuert, die Entwicklungshilfe bis 2010 zu verdoppeln. Dazu kommt eine vage Vereinbarung zum Klimaschutz, in der die Staatslenker bekunden, die Halbierung des Ausstoßes von Treibhausgasen bis 2050 „in Betracht zu ziehen“. Verbindlich ist das alles nicht.

„Zu wenig, zu vage“, kritisierten prompt Umweltschützer und Dritte-Welt-Organisationen. Zu scharf ist der Kontrast zwischen überzogenen Erwartungen und unkonkreten Resultaten. Immerhin, einen „Punktsieg für Merkel“ wollen die meisten Kommentatoren einräumen.

Dennoch häufen sich im engeren Politikbetrieb die Stimmen derer, die diese Gipfel längst für ein sinnloses Spektakel halten, deren Ergebnisse in keinem Verhältnis zum Aufwand stünden. Außerdem ist die G8-Runde längst zu klein: China, Indien sind aufstrebende Wirtschaftsmächte, über deren Köpfe hinweg man nur schwer etwas beschließen kann. Auch Südafrika, Nigeria, Brasilien geben sich mit der Rolle als Zaungäste nicht mehr zufrieden. So sind die G8-Gipfel heute auch eine Art Monument für die Krise der internationalen Politik geworden.

„Masters of the Universe“ sehen jedenfalls anders aus.

Längst haben sich die Staatenlenker und die Gipfelstürmer aber auch in eine Art Image-Konkurrenz verstrickt. Afrika und der Klimaschutz stehen schließlich deshalb ganz oben auf der Tagesordnung, weil die versammelten Regierenden wissen, wie sehr die Bilder von Massenprotesten mitsamt den Wehranlagen, hinter denen sie sich verschanzen müssen, ihre Zusammenkünfte delegitimiert haben. Kritische Popstars wie Bono und Bob Geldof wurden ins Allerheiligste vorgelassen, in das Tagungshotel Kempinski in Heiligendamm, wo es prompt zu einem „großen Krach“ (Bono) mit Merkels Gipfelentourage kam. Schließlich wissen die Regierungschefs um die fatale Macht ihrer Inszenierung. Senden Zäune doch, wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ schrieb, die Botschaft aus: „Wer sich einzäunt, ist im Unrecht.“

Umso verzweifelter wirkt der Versuch der jeweiligen Gipfel-Gastgeber, möglichst konkrete Ergebnisse zu präsentieren. Gibt es die nicht, gilt ein Gipfel schnell als gescheitert. Dabei ist, Beispiel Klimaschutz, die Sache ambivalent. Immerhin, die Vereinten Nationen sind wieder im Spiel, und der Klimaschutz ist ganz nach oben auf die Prioritätenliste gerückt, auch in den USA, und sogar die chinesischen Gäste bekundeten, sie wüssten längst, dass der Preis hoch ist, wenn sie Turboindustrialisierung auf Kosten der Biosphäre betreiben – schließlich muss man auch in Peking atmen.

Dagegensein. Kurzum: Die Gipfel bewirken durchaus etwas – aber eben nur „irgendwie“. Und genau das haben sie mit den Gegendemonstrationen gemeinsam.

Die Gipfelgegner konnten wieder einen PR-Sieg erringen, aber was sie eigentlich wollen, ist nicht so leicht zu sagen. Die einen die Weltrevolution, die anderen mehr Energieeffizienz, die Dritten weniger strenge Einwanderungsgesetze, und alle zusammen wollen den Neoliberalismus bekämpfen. Die Vielstimmigkeit ist nicht nur Folge unterschiedlicher Prioritäten, sondern auch des Umstandes, dass niemand genau weiß, wie eine gerechtere Welt hergestellt werden kann. Und, wie immer, muss der Protest die Welt auch versimpeln. Dazu gehört, dass man die

G8-Lenker zu „G8-Gangstern“ erklärt, die sich zum Raubzug an der Mehrheit der Menschen verschworen hätten. Ohnehin verbindet die Protestierenden eher das diffuse Gefühl, „dass sie keine Lust haben auf eine Welt, deren Utopie sich in Aktiengewinnen und Selbstunternehmertum erschöpft“, wie das der linke Sozialwissenschafter Mark Terkessidis formulierte; dass das große Geld die Welt regiert.

Halb Jugendbewegung, halb Gewissensaufstand: Den meisten geht es darum, „ein Zeichen zu setzen“ – also ein eher allgemeines Dagegensein auszudrücken. Gier hier, Armut da, dass sich alles nur ums Geld dreht und es nicht gerecht zugeht – das wird heute schon an jedem Stammtisch beklagt. Turbokapitalismus und „Heuschrecken“ sowieso. Acht Jahre nach Seattle sind die Themen der Demonstranten in den Konferenzsälen der Regierenden angekommen.

„Lernt den Text auswendig, ihr werdet ihn in den nächsten Tagen brauchen können“, rief Judith Holofernes, Frontfrau der deutschen Popband Wir sind Helden zum Protestauftakt in Rostock in die Menge. Und dann schmetterten sie ihren Hit „Wir sind gekommen, um zu bleiben“.

Nur Heiligendamm gehört jetzt wieder den Möwen.

Von Robert Misik