Helmut A. Gansterer

Helmut A. Gansterer Alter und Kraft

Alter und Kraft

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"Alt sein ist ja ein herrliches Ding, wenn man nicht verlernt hat, was anfangen heißt“ Martin Buber: Begegnung

Ich war meinem Freund Philipp Waldeck von der "autorevue“ nie so nah wie gestern, da er die Machtverhältnisse in China in einen einzigen Satz fasste. Dort, so schrieb er, "holen die 70-jährigen Assistenten der 80-jährigen Direktoren den 90-jährigen Präsidenten die Zigaretten“.

Das konkrete Beispiel wird nur happy smokers erfrischen, aber darum geht es nicht. Sondern um den unverbrauchten Respekt vor den Älteren, der früher in allen Sozietäten üblich war, die sich zu Weltreichen entwickelten. Heute zeigt unter den Supermächten nur noch China, was sich gehört. Sowohl die Rotchinesen (mainland china) wie die Nationalchinesen (Taiwan) binden die weisen Stammesältesten dort ein, wo es nicht um Körperkraft und Jugendschönheit geht: in die Spitze, wo die großen Linien gezeichnet werden.

Der alte und als EU zur Supermacht geballte Kontinent Europa hält noch halbwegs mit, wenn auch eher im sozialen und christlichen Sinn, mit leidlicher Pflege und Durchfütterung.

profil-Lesern, die statistisch überdurchschnittlich gebildet, überdurchschnittlich wohlhabend und überdurchschnittlich führungserfahren sind, wird vielleicht ein japanisches Managermodell gefallen, wenn sie ihren Ruhestand vorausdenken. Namhafte global players wie Canon und Sony fassen alte Ex-Manager in "Berater-Bühnen“ zusammen. Ihr Know-how kann von jungen Managern abgerufen werden. Vorteil für die greisen Glühbirnen: Sie fühlen sich weiterhin nützlich und tragen stolze Visitenkarten ("senior adviser“).

Unternehmer haben wahrscheinlich in Österreich den schönsten Lebensherbst. 250.000 Klein- und Mittelunternehmer (KMUs), vom Wirtschaftsmagazin "trend“ als "schützendes Ritterhemd aus beweglichen Titan-Gliedern“ gelobt, haben Österreich an die Weltspitze geführt. In den Familienbetrieben geht die Erbfolge meist nicht zerstritten (oder gar tödlich wie in TV-Krimis) vonstatten, sondern vorwiegend friedlich und gleitend. Alte Vernetzung und junger Schwung führen oft zum Maxi-Erfolg. Man hört in Österreich auch gern auf Spezialberater, die alles über ideale Hofübergabe wissen, im wichtigen Tourismus beispielsweise auf Kohl & Partner, die sich guten Ruf erwarben. Diese Konsulenten lassen kein intimes Teilproblem aus, weshalb in ihren Seminaren auch kein Auge trocken bleibt.

Liegt also eine herbstmilde Sonne über der Altersszene? Für noch nicht ausgebrannte Leistungsträger und unersetzliche Genies (Forschung, Kunst) eher ja. Für den Rest, der 80 Prozent der Köpfe umfasst, eher nein.

Hauptgrund: Die Reifenden machen selbst zu viele Fehler. Sie passen sich den Vorurteilen an. Kaum nähern sie sich in langer, asymptotischer Kurve dem Ruhestand, zeigen sie verräterische Merkmale des Verfalls. Schon die Körpersprache wird anders. Statt aufrecht und energisch auszuschreiten, fällt man in ein schleppendes Schlurfen, greift gern auch vorschnell zum Spazierstock. Man verliert jede vorteilhafte Eitelkeit, trägt plötzlich die alten, bequemen Kleider auf, missachtet den Wert des Auftritts. Frauen treten dem Älterwerden in der Regel kämpferischer entgegen, übertreiben aber gern in die andere Richtung, wenn sie mit Teenagerkleidung die Töchter überholen und mit waghalsigen Haarfarben die Punks beschämen.

Noch schlimmer wirkt sich eine vorschnelle Änderung der Geisteshaltung aus. Auch wenn sie psychologisch verständlich ist: Als Ausgleich diverser Machtverluste denkt man sich gern als Höhepunkt der Evolution, als letzte hochwertige Generation, nach der alles ins Elend stürzen müsse. Manche Altersgrantige träumen gar von der idealen Rechtzeitigkeit ihres Todes - nach ihnen würden die Lebenden die Toten beneiden. Dies, begleitet von altersseifiger Stimme und rechthaberischem Gestus, stößt viele Rentner aus der Beliebtheitswertung der aufsteigenden Jugend. Es geht aber auch anders.

Dass es nicht einfach ist, alt zu werden, zeigten selbst Giganten wie Goethe, doch gibt es Beispiele kluger Alter, die sich eine Liebe zur Jugend bewahrten. Heute sogar viele, die noch selbstbewusst als deren Konkurrenz auftreten, begünstigt vom Umstand, dass "wohlstandsgepflegte 70-Jährige leistungsfähiger sind als frühere Mangelzeit-40-Jährige“, wie mir sinngemäß und fast gleichlautend drei berühmte Männer erklärten, als sie selbst ihrem Siebziger nahe waren: Werbe-Ikone David Ogilvy, Psychologie-Ikone Paul Watzlawick und Motivations-Ikone Ernest Dichter. Von Watzlawick ist noch ein Zusatz in Erinnerung: "Es gibt heute viele Alte, die jung bleiben. Umgekehrt auch viele Junge, die vor der Zeit altern, langweilig werden und kein Risiko mehr eingehen. Das sind die, die mit 30 sterben und mit 90 begraben werden.“ Ähnlich Vitales liest man bei Lu Xun. In seiner Erzählsammlung "Wilde Gräser“, veröffentlicht in den 1930er-Jahren, verachtet er die Passivität der Jugend seiner Zeit.

Aber er kam halt aus China, wo Altersachtung programmiert ist. Bei uns kann diese weder erbeten noch herbeibefohlen werden. So bleibt nur der Kampf um höfliche Akzeptanz und höhere Rechte. Eine kommende Kolumne ("Alle Macht den Alten“) verheißt wertvolle, militärische Anleitungen.

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