Georg Hoffmann-Ostenhof

Georg Hoffmann-Ostenhof Einbrocken oder auslöffeln

Einbrocken oder auslöffeln

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Es ist kein Trost, dass die EU als Ganze ähnlich erbärmlich agiert wie Österreich. Es geht um Guantanamo. Barack Obama will bekanntlich das US-Skandallager auf Kuba endlich schließen und bittet um Unterstützung Europas. Die EU soll einige der Häftlinge aufnehmen. Die aber ziert sich. Dabei geht es nur um 60 Gefangene, die freigelassen werden sollen, aber nicht in ihre Heimatländer zurückkehren können, weil ihnen dort Folter und Verfolgung drohen. Nach Angaben der Amerikaner liegt gegen sie nichts vor. Und das will etwas heißen. In den paranoiden USA war bisher schnell jemand des Terrorismus verdächtig. Da musste er nur einen langen Bart oder das Unglück haben, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein. Auf der EU-Innenministerkonferenz vergangenen Donnerstag konnte sich Europa wieder nicht zu einer gemeinsamen Haltung aufraffen. Nur einige Länder wie Spanien und Frankreich sind bereit, die armen Teufel, die sich nichts zuschulden kommen haben lassen, den Amerikanern abzunehmen. Der Rest der europäischen Regierungen steht aber auf dem Standpunkt: Das Problem haben sich die USA geschaffen, die sollen es nun auch gefälligst selbst lösen.

Bekanntlich spielte Österreich dabei die unrühmliche Rolle der Avantgarde: Wir waren unter den Ersten, die – nicht einmal eine Woche nach der Inauguration Obamas – Washington eine Abfuhr erteilten: Kommt ja nicht infrage, dass wir auch nur einen Guantanamo-Häftling aufnehmen. Das sei Angelegenheit der USA, ließ Außenminister Michael Spindelegger vernehmen. Eine diplomatische Meisterleistung fürwahr – gleich in den ersten Tagen der neuen US-Administration diese gleich in höchst undiplomatischer Weise zu verärgern. Selbst wenn die Weigerung, in dieser Frage mit Obama solidarisch zu sein, gerechtfertigt wäre, hätte nicht eine vagere und verbindlichere Formulierung – etwa, man werde das Ansinnen Washingtons prüfen und dann entscheiden – genügt?

Einen kurzen Moment konnte man noch hoffen, bei der Stellungnahme Spindeleggers handle es sich um einen Ausrutscher eines noch unerfahrenen Außenministers. Bis sich alsbald herausstellte: Das ist Regierungslinie. Kanzler Werner Faymann stellte sich bedingungslos hinter den ÖVP-Mann Spindelegger. Dabei hat dessen Stellungnahme politische Konsistenz: In der Guantanamo-Frage ist Europa klar gespalten, das zeigte sich nicht zuletzt auch im EU-Parlament in Straßburg: Die Konservativen bilden eine Ablehnungsfront, Sozialdemokraten, Grüne und Liberale aber sind für die Bitte der amerikanischen Regierung, bei der Auflösung des Gefangenenlagers behilflich zu sein, empfänglich. Typisch auch die Reaktionen in Deutschland: Außenminister Frank Walter Steinmeier von der SPD hat seiner Amtskollegin Hillary Clinton zugesagt, den Insassen des in Auflösung begriffenen Lagers Zuflucht zu gewähren. Innenminister Wolfgang Schäuble von den Christdemokraten hingegen ist strikt dagegen, den USA entgegenzukommen.

In Österreich aber erleben wir keine Links-rechts-Differenzierung. Da erleben wir wiederum einen nationalen Schulterschluss. Woher dabei der Wind weht, wird klar, wenn man sieht, wer die Regierung lobt: „Die politische Marschrichtung war und ist vom Kanzler, SPÖ-Chef Faymann, klar vorgegeben: Europa werde nicht für die USA diese Suppe auslöffeln“, freut sich die „Kronen Zeitung“. Und die EU-Parlamentarier, die in Straßburg für die Aufnahme von Guantanamo-Gefangenen stimmten, bekommen ihr Fett ab: Sie zeigten, so das kleinformatige Blatt, „wie sehr sich Abgeordnete zum EU-Parlament im Laufe der Jahre von den Sorgen und Nöten der Menschen in ihrem Heimatland entfernt haben“.

Es sieht ganz so aus, als ob die SPÖ, vor die Entscheidung gestellt: entweder Obama oder Dichand, sich für Letzteren entscheidet. Und das ist fatal. Denn wenn es irgendeine Hoffnung für die schwer verwirrte und überaus marode europäische Linke geben sollte, dann liegt sie jenseits des Atlantiks. Dass die Euro-Konservativen – obwohl auch sie vom Charismatiker im Weißen Haus fasziniert sein mögen – Obama gegenüber ihre Distanz wahren, ist verständlich. Immerhin will dieser die Reichen besteuern, von oben nach unten umverteilen und sozialstaatliche Strukturen aufbauen – alles, wogegen sich Konservative in unseren Breiten wenden. Die Linken in Europa aber müssten in ihm einen der Ihren erkennen, einen, der mit Verve und Visionen, mit Kraft und Leidenschaft darangeht, die Supermacht USA zu sozialdemokatisieren. Ein gewaltiges Unterfangen.

Für Sozialdemokraten in der EU dürfte kein Zweifel ­daran bestehen, dass die USA des Barack Obama ihr natürlicher Bündnispartner sind – vor allem auch im Kampf gegen den Rechtspopulismus. Und ihnen muss klar sein, dass heute für sie – um es zugespitzt auszudrücken – gelten muss: Obamisten aller Länder, vereinigt euch! Oder anders ausgedrückt: In der kommenden Zeit wird die europäische Linke proamerikanisch sein, oder sie wird nicht sein.

PS: Dass nicht alle weltpolitische Vernunft aus der österreichischen Sozialdemokratie entwichen ist, demonstriert einer ihrer Alten, Karl Blecha: Österreich habe zu Recht immerzu die Schließung von Guantanamo gefordert, sagt er in einem Interview. „Nun sollten wir auch einen Beitrag zur Lösung des Problems leisten.“ Von den unschuldig Inhaftierten könnte Österreich zwei bis vier Personen eine neue Heimat geben, meint er. Das wäre „ein symbolischer Akt, aber mit enormer Wirkung“.

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