Georg Hoffmann-Ostenhof

Georg Hoffmann-Ostenhof Hört die Signale!

Hört die Signale!

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Die Börsen haben sich jedenfalls gefreut. Die Kurse signalisieren: Der Gipfel von London war ein Erfolg. Er hat Hoffnung gegeben, dass die Weltwirtschaft sich demnächst wieder erholen könnte.

Wie lang die gute Stimmung da anhalten wird, ist freilich ungewiss. Und ob man das jüngste Zusammentreffen der 20 Staatschefs der großen und bedeutenden Wirtschaftsnationen als „historischen Durchbruch“ bejubelt oder aber als Propaganda-Show der Mächtigen dieser Welt abtut, ist nicht zuletzt eine Frage des Temperaments. Und eine Frage des Bezugspunkts.
Gemessen an den gewaltigen Herausforderungen, vor denen die Welt in ihrer tiefsten Krise seit den dreißiger Jahren steht, wären alle Entscheidungen eines derartigen Gipfels einfach zu wenig. Und der Hinweis darauf, dass sich da eine tiefe Kluft auftut zwischen den feierlichen Erklärungen und dem, was dann in der Realität passiert, hat in jedem Fall seine Richtigkeit. So auch jetzt.

Misst man aber die Resultate des Londoner Treffens an dem, was vor einem Jahr für möglich gehalten wurde, dann ist Euphorie durchaus angebracht. Wer hätte sich damals dieses Ausmaß an internationaler Kooperation, an „global governance“ vorstellen können. Trotz aller Divergenzen und trotz aller Kompromisse, die eingegangen werden mussten – da ziehen plötzlich so unterschiedliche Länder wie China und die USA, Frankreich und Indien, Deutschland und Südafrika, Russland und Brasilien, Saudi-Arabien und England an einem Strang. Sie marschieren zumindest in die gleiche Richtung. Und offenbar ist allen klar: Nur mit gemeinsamem Handeln ist der Krise zu begegnen. Der Schutz der eigenen Ökonomie vor der Konkurrenz der anderen ist der sichere Weg in die Hölle.

Noch vor Kurzem konnte man sich nicht des Eindrucks erwehren, dass die Welt wie ein Flugzeug inmitten eines gefährlichen Unwetters ohne einen Piloten am Steuer dahintrudelt. Der G20-Gipfel machte deutlich, dass sich im Cockpit inzwischen eine durchaus ansehnliche und allem Anschein nach kompetente Crew eingefunden hat, die gemeinsam versucht, die schweren Turbulenzen heil zu überstehen, den drohenden Aufprall auf dem Boden zu verhindern und den Jet wieder in die Höhe zu bringen. Obama, Brown, Merkel, Medwedew, Sarkozy, Lula, Hu und die anderen, die in London gemeinsam berieten und dinierten, erscheinen dem Publikum plötzlich als eine Ansammlung von interessanten und intelligenten Persönlichkeiten, denen Vertrauen entgegenzubringen nicht abwegig erscheint.

Was die G20 so stark macht, ist ihre Zusammensetzung: Die meisten internationalen Institutionen – vom UN-Sicherheitsrat bis zur Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds IWF – spiegeln die globalen Kräfteverhältnisse von 1945 wider, die Siegermächte des Zweiten Weltkriegs haben das Sagen. Und sie drücken die Dominanz des „weißen Mannes“ aus. Sie sind allesamt ein Anachronismus. Die Gruppe der 20 aber ist zeitgemäß: Da sitzen die Schwellenländer des Südens gleichberechtigt mit den Industriestaaten des Nordens am Tisch. Und – als ob es dieses Symbols noch bedurft hätte – der Chef der Supermacht USA ist schwarz.

Dieser Gipfel ruft jedenfalls allen klar ins Bewusstsein, dass die internationalen Organisationen, jenes Geflecht, das die so gefährlich fragmentierte Welt zusammenhalten soll, einer gründlichen Erneuerung, gewissermaßen einer Neugründung, bedürfen. Um wirklich zu funktionieren, müssen sie die Realität der Welt, wie sie ist und nicht wie sie war, reflektieren. Unübersehbar demonstrierten die Staatschefs, dass sie begriffen haben: Vorbei sind die Zeiten, in denen die Minderheit der Wohlhabenden die Regeln macht, nach denen sich alle anderen richten müssen. So oder so muss die Mehrheit der Menschheit an der Gestaltung der Regeln für die global vernetzte Weltgesellschaft beteiligt werden.

Einer der konkretesten Beschlüsse des Gipfels dürfte schließlich die Verdreifachung der Gelder sein, die von nun an dem Internationalen Währungsfonds IWF zur Verfügung stehen sollen. Erinnern wir uns: „IWF-Revolten“ wurden in der Vergangenheit jene unzähligen Protestbewegungen genannt, die sich gegen die Auflagen wandten, unter denen der Fonds Kredite an in Finanznot geratene Länder vergab. Geld gab es immer erst dann, wenn sich die bankrotten Staaten zu einer rigorosen Sparpolitik verpflichtet hatten. Das aber vertiefte nicht selten nur die Rezessionen und stürzte die Ärmsten in den Entwicklungsländern erst recht ins Elend. Grund genug, gegen den Währungsfonds zu rebellieren. Regierungen maroder Länder waren immer seltener bereit, sich in Washington Geld abzuholen, riskierten sie doch damit bedrohliche soziale Unruhen. In letzter Zeit aber hat sich die Strategie des IWF gewandelt: Heute erhalten in Not geratene Regierungen nur Kredite, wenn sie Sozialausgaben für die ärmsten Schichten erhöhen.

Die nun beschlossene Aufpäppelung des Währungsfonds bedeutet, dass die Politiker, die sich in Großbritannien zusammenfanden, verstanden haben: In dieser globalisierten Welt kann man es sich nicht mehr wie in der Vergangenheit leisten, die armen Länder an der Peripherie verkommen zu lassen. Es gilt sie aufzufangen. Aufstände, Revolten und Extremismus in der Dritten Welt wären ansonsten unvermeidbar – mit unabsehbaren Folgen für die globale Ökonomie. War also London ein erster Schritt zu einer neuen Weltordnung? Sagen wir es zynisch: Noch ein paar solcher Wirtschaftskrisen, und wir bekommen eine veritable Weltregierung.

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