Gib den Affen Zuckerl

Gib den Affen Zuckerl: wirkungslose Wahlversprechen

Wahkampf.Wahlzuckerl sind teuer und wirkungslos. Dennoch werden sie verteilt

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Man schrieb das Jahr 1991, in der oberösterreichischen Kleinstadt Ried im Innkreis kam der Wahlkampf um den Bürgermeistersessel in die Endphase. Die Mehrheit der ÖVP stand nie infrage, bloß die Höhe des Wahlsiegs. Da versuchte Bürgermeister Günther Hummer, die Wähler zu ködern – und versprach, noch 1991 das örtliche Freibad zu sanieren.
Sein Nach-Nachfolger im Amt, Albert Ortig, musste sich bei der nächsten Wahl, sieben Jahre später, nicht lange den Kopf zerbrechen, was er denn als kleines Zuckerl anbieten könnte: Er kündigte – erraten – eine Runderneuerung des Freibads an, diesmal aber wirklich.
Nicht immer ist derart leicht zu überprüfen, welch rasches Verfallsdatum Wahlzuckerl haben. Nicht immer wird so ungeniert bei jeder Wahl das exakt Idente wie beim vorigen Urnengang zugesagt. Doch im Prinzip ist Ried überall: Egal, ob in Bundes- oder Kommunalpolitik, rechtzeitig vor dem Wahltag beginnt das große Buhlen mit süßen Versprechen. Diese Zuckerl kosten meist viel, verfolgen oft Ziele, die heftig angezweifelt werden – und ziehen verlässlich ein Sparprogramm nach sich. Experten zweifeln, ob Wähler sich überhaupt von derartigen Süßigkeiten verführen lassen.

Dennoch überschlagen sich die Regierungsparteien SPÖ und ÖVP schon jetzt, Monate vor der Nationalratswahl, im Zuckerlverteilen. Egal, ob beim Thema Steuerreform oder bei der Pendlerförderung, jeder bietet noch ein wenig mehr.

Rasches Ablaufdatum
Fritz Plasser, Altmeister unter den heimischen Politologen, ist überzeugt, dass es sich Politiker getrost sparen können, die Spendierhosen anzuziehen: „Steuer- und sonstige Wahlzuckerl haben ihre naive Unschuld verloren. Derartige archaische Reflexe ziehen nicht mehr, denn die Skepsis, wer dafür letztlich bezahlt, ist in der Bevölkerung weit verbreitet.“
Kein Wunder, das p.t. Wahlvolk hat eine Lernkurve – und zu oft die Erfahrung gemacht, dass Zuckerl nach der Wahl rasch wieder eingesammelt werden. Denn die wenig überraschende Erkenntnis, dass die monetären Wahlgeschenke das Budget überfordern, stellt sich bei Politikern oft kurz nach dem Urnengang ein. Beispiele dafür finden sich quer durch alle politischen Lager: In der Steiermark wurde vor der Landtagswahl 2010 unter lautem Getrommel der Gratiskindergarten für alle eingeführt – und kurz danach prompt wieder abgeschafft. In Linz hatte das kostenlose Mittagessen in Kindergärten nach der Wahl 2009 ein rasches Ablaufdatum, in Wien galt der vollmundig verkündete „Gebührenstopp“ nur bis zur Wahl 2010 – drei Monate später wurden die Preise für Gemeindebaumieten, Abwasser, Müll und Strom kräftig hinaufgeschnalzt.

Dabei waren das alles nachgerade günstige Sonderangebote – zumindest im Vergleich mit den 2,8 Milliarden Euro, die in der berühmten Nationalratssitzung Ende September 2008, vier Tage vor der Nationalratswahl, lockergemacht wurden.

Österreichs Politiker bewegten sich damals in einem Paralleluniversum: Die US-amerikanische Investmentbank Lehman Brothers war gerade pleitegegangen, mit beängstigender Geschwindigkeit breitete sich die Finanz- und Wirtschaftskrise quer über den Globus aus – nur in Wien wurde über Wachtel­eier und Kaviar diskutiert. Sind sie ein Luxuslebensmittel? Soll für rohe Krabben ein anderer Mehrwertsteuersatz gelten als für frittierte? Mit derartigen Sorgen auf hohem Niveau beschäftigte sich damals die Republik und taumelte in einen wahren Süßigkeitsrausch: Familienbeihilfe und Pflegegeld wurden erhöht, die Mehrwertsteuer gesenkt, die Hackler-Regelung verlängert. Die eine Hälfte dieser Goodies wurde wenig später wieder eingesammelt, die andere Hälfte war beim nächsten Sparpaket abzugeben.

Derartige Erfahrungen prägen. „Mittlerweile wissen die Menschen, dass sie Wahlgeschenke danach wieder abliefern müssen“, warnt Josef Kalina, der frühere SPÖ-Bundesgeschäftsführer, der heute ein Beratungsunternehmen leitet.

Insofern kann man die Vorgangsweise der Kärntner FPK auch besonders ehrlich nennen: Vergangene Woche wurde eine Extra-Wohnbauförderung beschlossen, die allerdings nur bis Ende März gilt. Also bis nach der Landtagswahl. Abzuholen ist dieses Extra-Cash natürlich beim zuständigen FPK-Landesrat – getreu der Tradition Jörg Haiders, der seinerzeit das System Wahlzuckerl auf ein ungeahnt tiefes Niveau absenkte. Segnungen wie Pensionsprämien wurden von ihm, ganz nach Gutsherrenart, Euroschein um Euroschein bar auf die Hand ausgezahlt.

Reformen folgen der Unvernunft
Dagegen mutet das ewige Wahlgeschenk Steuerreform fast schon subtil an. Seit 1986 sucht vor allem die Volkspartei ihr Wahlheil in dem Versprechen von Steuersenkungen – obwohl das, wie Politologe Plasser lakonisch anmerkt, „nie wirklich erfolgreich war“. Das ist kein Wunder: Schon seit Mitte der achtziger Jahre versteht die Bevölkerung, wie damals das ÖVP-nahe Fessel-Institut erforschte, unter dem Begriff „Steuerreform“ vor allem „Steuererhöhung“. Dennoch folgten Reformen im Steuersystem meist nicht Budget-, sondern Wahlzyklen – und damit der Unvernunft. Seit Jahrzehnten etwa postulieren alle Wirtschaftsforscher, dass die Steuern auf Energie und Vermögen zu niedrig, jene auf Arbeit hingegen zu hoch sind. Die Rufe verhallen ungehört: Wer will schon kurz vor der Wahl Abgaben auf Benzin oder Strom erhöhen?

„In einem Wahlkampf kann man keine vernünftige Steuerreform machen“, seufzte der damalige Finanzminister Rudolf ­Edlinger in einem Ehrlichkeitsausbruch im Jahr 1999 – und tat es, wie viele seiner Vorgänger und Nachfolger, trotzdem.

Das Resultat: empfindliche Wahlschlappen für die Regierungsparteien SPÖ und ÖVP. Und ein veritables Budgetloch obendrein.
Trotz all dieser Misserfolgserlebnisse wälzen die jetzigen Koalitionsspitzen auch vor diesem Wahljahr Ideen für eine Steuerreform und wollen bis zu zehn Milliarden Euro dafür ­lockermachen. Dabei, so analysiert Meinungsforscherin Imma Palme vom SPÖ-nahen Ifes-Institut, sei die Bevölkerung derzeit ganz auf Konsolidierungskurs eingestellt: „In Zeiten von Euro- und Wirtschaftskrise sind den Leuten Zuckerl nicht so wichtig.“
Eigentlich erstaunlich, wie sich ein Muster über Jahrzehnte halten kann, das x-mal als wirkungslos entlarvt wurde. Schuld daran ist Bruno Kreisky: Seit dem Aufstieg und Abgang des Langzeitkanzlers hält sich hartnäckig der Mythos, dass mit kleinen Geschenken Wahlen zu gewinnen
sind – und das ehrliche Eingeständnis knapper Kassen der sicherste Schritt zur Wahlniederlage ist.

"Fürs Herz, fürs Hirn und fürs Geldbörsel"
Kreisky gilt als Erfinder der Faustregel, wonach eine erfolgreiche Wahlkampagne je eine Forderung „fürs Herz, fürs Hirn und fürs Geldbörsel“ beinhalten muss. Getreu diesem Motto versprach er in den siebziger Jahren unter anderem 10.000 Schilling Geburten- und 15.000 Schilling Heiratsbeihilfe – und segelte von Wahlerfolg zu Wahlerfolg. Für den Verlust der ­absoluten SPÖ-Mehrheit im Jahr 1983 wird hingegen gemeinhin Kreiskys so genanntes „Mallorca-Paket“ verantwortlich gemacht, also die schonungslose Ankündigung von Sanierungsschritten.

Imma Palme, Leiterin des SPÖ-nahen Ifes-Meinungsforschungsinstituts, hält die Doktrin, dass Zuckerl den Wahlerfolg sichern und der Verzicht darauf in die Niederlage führt, aus zwei Gründen für einen Fehlschluss: „Wenn Kreisky nur Heiratsprämien geboten hätte, hätte das nie den Effekt gehabt. Seine Reformen zogen beim Wähler.“ Und bei der Niederlage 1983 sei Kreisky alt und krank gewesen – und ein Sparpaket zudem eine Novität. Heute, in Zeiten der Krise, sei das Verständnis für Budgetkonsolidierung sehr viel ausgeprägter.

Vielleicht kommen auch deshalb Wahlversprechen, die außer ein wenig körperliche Anstrengung nichts kosten, in Mode: Oberösterreichs Landeshauptmann Josef Pühringer gelobte vor der vergangenen Landtagswahl eine Wallfahrt, seine Salzburger Kollegin Gabi Burgstaller verpflichtete sich zum Würstelverkaufen. Ob diese unorthodoxen Zusagen allerdings auch nur einen einzigen Wähler motivierten, ist nicht überliefert.

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin