Welpenschutz

Was bleibt vom Hype um die Graphic Novels?

Graphic Novels. Eine Szene auf der Suche nach sich selbst

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Von Philip Dulle

Der Teufel steckt wie immer im Detail. Das ist auch bei Comics so. Oder sollte man sagen: Graphic Novels? Das Problem der Diskussion darüber steckt schon in der Begrifflichkeit. Sind diese Bildergeschichten Romane? Sind sie meist nicht eher gezeichnete Kurz-und Kürzestgeschichten? Der Buchmarkt liebäugelt jedenfalls seit einigen Jahren heftig mit einem Genre, das in weiten Teilen der Kulturkritik und Leserschaft noch um Aufmerksamkeit ringt.

"Wir arbeiten ja noch immer unter Welpenschutz“, schimpft Ulli Lust über den Mangel an Respekt, der ihrer Szene entgegengebracht wird. So redet sich die 1967 in Wien geborene, heute in Berlin lebende Zeichnerin schnell in Rage. Sie arbeitet gerade an der zweiten Comic-Publikation des Suhrkamp Verlags, einer Adaption von Marcel Beyers Roman "Flughunde“ - und genießt es spürbar, einmal unter weniger prekären Voraussetzungen arbeiten zu können. "Während man am nächsten Buch zeichnet, hält man sich mit Lesungen und Vorträgen über Wasser“, sagt Lust. "Aber als Zeichner lernt man ohnehin, bescheiden zu leben.“ Dabei habe sich in den vergangenen zehn bis 15 Jahren in der Szene viel getan. "Als ich anfing, Comics zu zeichnen, gab es keine Verkaufsstellen, die sich für meine Inhalte interessierten. Für den Comic-Buchladen war meine Arbeit zu realistisch, zu lebensnah. Und in normalen Buchhandlungen hat man mich auf den Comic-Laden verwiesen.“

Erst mit der Öffnung des Buchmarkts konnte Ulli Lust ihre Autobiografie, das Opus magnum "Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens“, publizieren. Damit festigte sie 2009 ihren Ruf als Ausnahmeerscheinung im deutschsprachigen Raum. Das Werk wurde bereits für den ungleich größeren französischen Markt übersetzt, im Herbst soll die 450 Seiten starke Lebens- und Jugendbeichte auch in den USA erscheinen. Auf Deutsch wurden bisher rund 6000 Exemplare verkauft - für eine Graphic Novel ist dies in unseren Breiten ein enormer Erfolg.

Leichter hat es auch die jüngere Generation nicht, die größtenteils frisch von den Kunstuniversitäten kommt und Anschluss an die Szene sucht. Aisha Franz, eine 28-jährige, in Berlin lebende Comic-Stilistin, sieht ihre Arbeit aber gelassener. "Es gibt viele junge Autoren, die lieber unabhängig arbeiten und ihre Zeichnungen einfach selbst veröffentlichen“, sagt Franz, räumt aber ein, dass die Berichterstattung, obwohl immer mehr experimentellere Bücher entstehen, noch immer einseitig sei. "Eine Kriegsreportage findet eher ein offenes Ohr als belletristische Comics.“ Aisha Franz erzählt in ihrem Erstling "Alien“ (2011) wie auch in dem heuer erschienenen Buch "Brigitte und der Perlenhort“ Geschichten zwischen Alltagsbeobachtungen und Krimi-Plot. Trotz ihres eigenwilligen Stils kann auch "Frau Franz“, wie sie sich im Internet nennt, von ihren Büchern nicht leben. "Man hangelt sich von Illustrationsaufträgen zu Gelegenheitsjobs.“ Denn die Bücher seien "Herzblutarbeit, denen man jede freie Sekunde“ widme.

Aber der Markt ist lebendig. Das liegt auch daran, dass inzwischen eine neue Generation von Journalisten in den Redaktionen sitzt, die keine Berührungsängste mit Comics kennt - für die es ganz normal ist, dass Bild und Text interagieren und durchaus erwachsene Leser ansprechen. Manche Rezensenten sind dem Genre nicht nur zugeneigt, sondern stammen zum Teil selbst aus der Szene. Kritische Reflexion bleibt dabei jedoch oft auf der Strecke. Sascha Hommer, einer der zentralen Zeichner der Hamburger Szene und als Netzwerker bekannt, meint sogar, dass Comics heute oft überproportional viel Platz eingeräumt werde. "Da hat sich seit 2006 und 2007 viel verändert. Davor gab es eine regelrechte Abwehrhaltung gegen unsere Kunst.“ Der laut Hommer "kleine Hype“ ist auf die erfolgreiche Verfilmung von Marjane Satrapis iranischen Kindheits- und Jugenderinnerungen "Persepolis“ zurückzuführen: Die beiden Bücher der heute in Frankreich lebenden Autorin verkauften sich im deutschsprachigen Raum an die 50.000-mal (siehe profil 32/2011).

Ein Problem, das die vielen neuen Publikationen mit sich bringen, ist die in vielen Fällen fehlende Harmonisierung von Form und Inhalt. "Die Zeichnungen sind meist gut“, meint Hommer, "aber einigen Künstlern fehlt es am Gespür für gute Geschichten. Da können wir von der klassischen Literatur noch lernen.“ Außerdem müsse es "schon Sinn haben, wenn man eine Geschichte ausgerechnet als Comic veröffentlicht“.

An dieser Frage krankt auch ein Gros der so genannten Sekundärveröffentlichungen, also jener Comics, denen Klassiker der Literatur zugrunde liegen. Marcel Prousts "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“, Franz Kafkas "Die Verwandlung“ oder Dantes "Göttliche Komödie“, all diese literarischen Fixsterne sind längst auch als Comic greifbar. "Ich denke, dass sich viele Comic-fernen Verlage ein besseres Geschäft unter dem Marketingbegriff Graphic Novel erwartet, aber schnell gemerkt haben, dass damit nicht das große Geld zu machen ist“, meint Hommer.

Wie Ulli Lust haben auch andere heimische Comic-Größen die Chance zur Auftragsarbeit genutzt. Der Wiener Nicolas Mahler (siehe Interview) hat für den Suhrkamp Verlag im vergangenen Herbst dessen erste Graphic Novel angefertigt und dabei Thomas Bernhards "Alte Meister“ in launigen Minimalismus übersetzt. Diese Art der Comic-Veredelung stößt in den kreativen Zirkeln nicht überall auf Begeisterung. Den heute in Hamburg lebenden, in Berlin-Kreuzberg aufgewachsenen Simon Schwartz erinnert diese Art der Adaption eher an die 1950er- und 1960er-Jahre, als man Klassiker wie "Hamlet“ in Comics übersetzte, in der Hoffnung, dass die Kinder irgendwann auch das Original lesen würden. "Ich finde solche Veröffentlichungen bedenklich - die Verlage dahinter betrachten das Medium Comic meist nur als Surrogat und nehmen es nicht sehr ernst“, gibt Schwartz zu bedenken und bekommt Rückendeckung von Sascha Hommer: "Ich sehe Graphic Novels lieber als originäre Werke.“

In der Frage, ob er das Angebot eines Verlags wie Suhrkamp ablehnen würde, ist sich Schwartz - der nach seiner Autobiografie "drüben!“ unter dem Titel "Packeis“ eine Biografie des afroamerikanischen Entdeckers Matthew Henson veröffentlichte - dann aber doch nicht mehr so sicher. "Der Stoff müsste mich interessieren“, überlegt er kurz. "Und natürlich würde ich keine Kompromisse eingehen.“

Was also bleibt vom Hype um die Graphic Novels? Die Öffnung dieser Kunstform nach außen, mehr Möglichkeiten zu publizieren, eine florierende Szene und die Gewissheit, dass Comics kein Massenmedium sein werden. Aber vielleicht ist das gerade das Schöne daran.