Einmal Hades (und zurück?)

Griechenland wählt: Einmal Hades (und zurück?)

Griechenland. Wieder wählt Hellas, das Chaos bleibt. Ein Untergangsszenario

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Von Anna Giulia Fink, Georg Hoffmann-Ostenhof, Gunther Müller (Athen) und Robert Treichler

Alle Schuld auf ihren Schultern

Eigentlich würden die Griechen am kommenden Sonntag gern in Ruhe ein neues Parlament wählen, wie das in ihrer Verfassung vorgesehen ist. Doch daraus wird nichts. Die ganze Welt hat beschlossen, mit der Stimmabgabe Schicksalsfragen von globaler Bedeutung zu verknüpfen. Die da wären: Soll Griechenland den Euro als Währung verlieren und für die nächsten Jahre in Armut versinken? Sollen Spanien, Italien und Portugal gleich hinterhertaumeln? Soll die gesamte Eurozone in eine Rezession schlittern? Soll die Weltwirtschaft insgesamt davon angesteckt werden? Sollen die Chancen einer Wiederwahl von US-Präsident Barack Obama damit zunichtegemacht werden?

All das und mutmaßlich noch viel mehr soll das 11-Millionen-Völkchen der Griechen am kommenden Sonntag zu verantworten haben. In der Literatur bezeichnet man eine solche offensichtliche Übertreibung mit dem griechischen Begriff „Hyperbel“. Dummerweise weiß niemand so recht, wie weit es sich bei der grotesken Aufladung einer simplen Wahl um ein politisches Stilmittel handelt und wie weit um reale Befürchtungen. Das ist wohl der beste Beweis dafür, dass nicht die Griechen allein an dem Desaster in Fortsetzungen Schuld tragen, sondern dass ganz offensichtlich ein Systemfehler vorliegt, der so aussieht: Wem es am dreckigsten geht, dem wird die Verantwortung für alle anderen übertragen.

Das griechische Wahlvolk muss zu den Urnen, weil die Parlamentswahlen am 6. Mai dieses Jahres keine tragfähige Mehrheit erbrachten. De facto wird das Land seit Anfang 2010 nicht mehr von Athen aus regiert, es steht unter Kuratel der Troika, zusammengesetzt aus Europäischer Union, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds. Das relevante Kriterium bei dieser Wahl ist die Haltung der Parteien zu dem Sparprogramm, das die Troika mit der Regierung unter dem Sozialisten Giorgos Papan­dreou und danach mit der des Technokraten Lucas Papademos ausgehandelt hat. Soll das „Memorandum“, wie das mit harten Auflagen verknüpfte Rettungspaket in Griechenland genannt wird, befolgt oder aufgekündigt werden?

Aus Sicht eines großen Teils der Bevölkerung sind die Sparmaßnahmen drakonisch und wenig zielführend. Die EU hingegen will an den Vereinbarungen festhalten und droht Griechenland im Falle von Widerstand mehr oder weniger offen mit dem Exit aus der Eurozone – verknüpft mit dem Vorwurf, damit mutwillig alle Übel der weltweiten Finanz-, Banken- und Konjunkturkrise eskaliert haben zu lassen.

Kanadas Premier Stephen Harper war der Einzige, der vergangene Woche die Absurdität dieser Schuldzuweisung kritisierte: „Wir können nicht eine griechische Wahl zu einer Entscheidung über die Zukunft der Weltwirtschaft erklären, das ist niemandem gegenüber fair.“

Unrecht tut man damit zum Beispiel einem Mann, der auf einer Parkbank am Athener Omonia-Platz sitzt. Er heißt Christos Simos, ist 35 und kann sehr lange von geplatzten Träumen erzählen. Als Teenager wollte er Volleyballprofi werden, doch um seine Eltern zu beruhigen, studierte er Politikwissenschaft, schloss mit dem Doktorat ab und hatte 2008 bereits mehrere Job­angebote in der Tasche, während er noch den Militärdienst leistete: politischer Analyst in einem Think Tank, Coach bei einer Volleyballmannschaft.

Dann kam die Krise und raffte die guten Aussichten dahin. Christos nimmt einen Schluck aus seiner Dose Lipton-Eistee. Ihn plagen keine existenziellen Nöte, aber er wohnt immer noch bei seinen Eltern. „Ich verhungere nicht, aber die Tatsache, dass ich in meinem Alter nicht auf eigenen Beinen stehen kann, ist extrem entwürdigend“, sagt er wütend. Er hat keine Perspektive, und das ist schwer zu ertragen, auch wenn viele seiner Landsleute noch viel schlimmer dran sind. Am Sonntag wird Christos seine Stimme abgeben, und er will sie sich nicht nehmen lassen. „Ich weiß nicht, warum ich bei meiner Wahlentscheidung auf Länder wie Spanien oder Italien Rücksicht nehmen soll, wie uns jetzt suggeriert wird. Es muss doch in Ordnung sein, zunächst einmal an uns zu denken“, sagt er.

Das Orakel von Brüssel

Wie stark die europäische Kultur von der griechischen Antike beeinflusst ist, kann man daran ermessen, dass sich die Brüsseler Elite heute noch gern einer orakelhaften Sprache bedient, wenn sie besonders deutlich werden möchte. Kommissionspräsident José Manuel Barroso eröffnete seinen griechischen Wahlkampf mit folgenden Worten: „Es liegt jetzt an dem Volk der Griechen, sich in voller Sachkenntnis zwischen den Alternativen zu entscheiden und dabei zu bedenken, dass dies tatsächlich eine historische Wahl für die Zukunft ihres Landes ist.“ Wollen die Griechen in der Eurozone bleiben, so müsse „letztlich die Entschlossenheit aus Griechenland selbst kommen“, so Barroso. In der Interpretation für Sterbliche bedeutet das: Wählt Parteien, die für die Einhaltung der Bedingungen des Rettungsschirms garantieren, oder ihr könnt über den Styx ins Totenreich rudern.

Ähnlich subtil äußern sich EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy und Euro-Gruppenchef Jean-Claude Juncker: „Wir wollen, dass Griechenland in der Eurozone bleibt“, sagt Rompuy. Die griechische Regierung müsse aber die Verpflichtungen erfüllen, die es im Gegenzug für die finanzielle Unterstützung durch Europa eingegangen sei. Auch Juncker will Griechenland weiterhin als Währungsmitglied behalten, bestätigte aber gleichzeitig, dass Experten der 17 Eurostaaten das mögliche Ausscheiden durchspielen.

Griechen, die ökonomisch noch irgendetwas zu verlieren haben, dürften Wirkung zeigen und eine der vertragstreuen Parteien – Nea Dimokratia oder Pasok – wählen. So viel zum Prinzip der Nichteinmischung der EU in nationale Wahlen.

„Give Greece a chance“

„Erpressung“ nennt das der Mann, der in all den verklausulierten Warnungen und Drohungen gemeint ist: Alexis Tsipras, dessen linkes Parteienbündnis Syriza in wenigen Jahren von 4,6 Prozent (2009) auf 16,8 Prozent (Mai 2012) gewachsen ist und in jüngsten Umfragen bei 23,6 Prozent und damit Kopf an Kopf mit der konservativen Nea Dimokratia lag. Der 37 Jahre alte einstige Kommunist ist in den Augen seiner Gegner in der EU ein gefährlicher Populist, der das Volk sirenengleich dazu verführen will, vom rechten Sparkurs abzukommen.

Sonntag vergangener Woche diskutiert der verteufelte Shootingstar entspannt mit dem marxistischen Philosophen Slavoj Zizek im Innenhof des Benaki, des Museums moderner Kunst in Athen. Tsipras trägt ein dunkelblaues Seidenhemd, Jeans, elegante Lederschuhe, das Gesicht ist glatt rasiert, der Kurzhaarschnitt sitzt perfekt. Das Gespräch kreist um die Krise in Hellas und den Erfolg der Linken in diesem Land. Da ist von einer „historischen Wende“ die Rede, vom Sieg der „Hoffnung über die Angst“, von einem Kampf gegen „das neoliberale Brüssel, den Imperialismus und Kapitalismus“, von einer Revolution, die hier begonnen habe und schon bald „ganz Europa erfassen wird“.

Zizek – er trägt ein schwarzes T-Shirt mit der Aufschrift „Occupy Europe“ – ist voll des Lobes für den 37-jährigen Tsipras. Er sieht in ihm einen Politiker, der das Zeug hat, „dieses Land wieder aufzurichten“ und obendrein einen „Kurswechsel in ganz Europa“ einzuleiten. Am Ende paraphrasiert der slowenische Linksradikale einen John-Lennon-Klassiker: „Give Greece a chance.“

Als sich der Innenhof des Benaki-Museums allmählich leert, beschließt eine kleine Gruppe von Syriza-Anhängern, in ein nahe gelegenes Lokal weiterzuziehen. Darunter ist ein alter Freund von Tsipras. Er gibt sich als Jannis aus, seinen wahren Namen will er lieber nicht nennen. Jannis kannte Tsipras schon in den 1990er-Jahren, als sie gemeinsam Schulen besetzten, um gegen die Privatisierung des Bildungssystems zu protestieren. Die beiden politisierten Teenager gingen zusammen auf Partys, sprachen über das Leben, Frauen und die Zukunft Griechenlands. Nur in einer Hinsicht habe sich Tsipras verändert, meint sein Freund Jannis: „Er ist kompromissloser als früher. Von seinem Programm würde er nicht abrücken wollen. Deshalb bin ich mir gar nicht so sicher, ob er am 17. Juni die Wahlen wirklich gewinnen möchte.“

Der linke Gottseibeiuns lässt sich mangelnden Siegeswillen zumindest nicht anmerken. Er tourte Ende Mai durch Europa, um für sein Programm zu werben: Sein Land solle in der Eurozone bleiben, aber, anstatt sklavisch zu sparen, „um Solidarität der Völker in Deutschland und Frankreich“ bitten. In Berlin willigte der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel zwar ein, Tsipras zu empfangen, anstelle der erhofften Solidarität spendierte er jedoch nur den kostengünstigen Rat, dass „getroffene Vereinbarungen einzuhalten“ seien.
In Paris wiederum zeigte die Sozialistische Partei Tsipras die kalte Schulter, lediglich die Linksradikalen nahmen sich für den aufmüpfigen Griechen Zeit.
Im Innenhof des Benaki-Museums wertet man das internationale Mauerblümchen-Dasein als Trumpf für den Syriza-Spitzenkandidaten: „Die Tatsache, dass Merkel und die anderen neoliberalen Idioten Tsipras verachten, macht ihn nur noch stärker“, schwärmt die 63-jährige Annetta Karayanni.

Die gesteinigte Auxesia

Austerität war gestern. Frankreichs neuer Staatspräsident François Hollande versprach im Wahlkampf ein Ende des obsessiven Sparens und ein Ankurbeln des Wachstums mittels staatlicher Initiativen, zu Hause und in der EU. Nicht einmal einen Monat nach Amtsantritt hat der Sozialist bereits Wohltaten im Ausmaß mehrerer Milliarden Euro konkretisiert, darunter die Fortsetzung der französischen Version der „Hacklerregelung“ sowie eine Anhebung des Mindestlohns – und das, obwohl die Budgetaussichten nicht den Zielen des Fiskalpakts entsprechen.

In den Ohren der Griechen klingt das wie die Verheißungen eines lange ersehnten Retters – gleichsam die Ankunft der Auxesia, der Göttin des Wachstums. Endlich ein Politiker, der einsieht, dass blindwütiges Sparen kaputt macht. Allerdings gibt es auch in der Abkehr von der strikten Austeritätspolitik eine Ausnahme: Griechenland. Der französische Finanzminister Pierre Moscovici machte klar, dass sich die Frage eines Austritts Griechenlands aus der Eurozone „ohne Zweifel“ stelle, falls eine neue Regierung die Vereinbarungen infrage stellte. Auch Auxesia wurde in der antiken Sage aufgrund einer Verkettung unglücklicher Umstände zu Tode gesteinigt.

In Griechenland bricht alles zusammen, aber niemand stößt sich daran. Die Arbeitslosigkeit stieg im März auf 21,9 Prozent, die Wirtschaft schrumpft das fünfte Jahr in Folge. Die Tourismusbranche, an der ein Fünftel aller Jobs im Land hängt, erwartet einen Einbruch der Einnahmen um bis zu 15 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Worüber vor einem Jahr noch Witze gemacht wurden, tritt jetzt ein: 75 Inseln stehen in Griechenland zum Verkauf.

Das öffentliche Gesundheitswesen ist zusammengebrochen. Die größte gesetzliche Krankenkasse Griechenlands ist hoffnungslos verschuldet, Medikamente und Behandlungen gibt es nur noch gegen Bargeld.

Was machen Arbeitslose, wenn sie unter Diabetes, Asthma oder anderen chronischen Krankheiten leiden, aber nicht versichert sind? Sie fahren zu Jorgos Vichas, etwa 20 Minuten Autofahrt in südlicher Richtung der Hauptstadt. In Elliniko, wo sich bis zum Jahr 2001 der Athener Flughafen befand, steht ein graues unscheinbares Gebäude mit der Aufschrift „Sozialmedizinisches Zentrum Elliniko“. Drinnen sind zwei Damen am Empfang, in der Vorratskammer für Medikamente steht der hauptberufliche Kardiologe Vichas. „Wir brauchen wieder Insulin“, ruft er nach draußen.
Im Jänner dieses Jahres hat Vichas diese medizinische Zentrale gegründet, um Bürgern zu helfen, die aus dem Gesundheitssystem gefallen sind. „Die Zahl der Arbeitslosen und derer, die sich keine Privatversicherung mehr leisten können, ist rapide angestiegen, ich konnte einfach nicht mehr zusehen“, sagt Vichas. Gemeinsam mit etwa 30 anderen Ärzten bietet er medizinische Unterstützung für Obdachlose an, das Gebäude habe die Stadt zur Verfügung gestellt. Woher er die Medikamente hat? „Apotheker, große Unternehmen, reiche Griechen kaufen sie und spenden sie.“ Besonders die Präparate für Diabetiker und Krebspatienten seien enorm teuer und für viele kaum leistbar.

Es kämen längst nicht mehr nur Immigranten und Obdachlose in das sozialmedizinische Zentrum, sondern auch Leute aus Mittelstandsfamilien, die ihre Jobs und ihre Wohnungen verloren haben. „Immer öfter haben wir es mit völlig unterernährten Kindern zu tun, es herrschen zum Teil afrikanische Zustände hier.“

Am Donnerstag, den 24. Mai, sprangen in Athen Antonis Perris, ein 60 Jahre alter, beschäftigungsloser Musiker, und seine 90 Jahre alte Mutter, die an Alzheimer litt, vom Dach ihres Wohnblocks in den Tod. Am Tag zuvor hatte Perris in einem Blog geschrieben, dass seine Mutter beginne, unter Anfällen von Schizophrenie zu leiden und dass kein Pflegeheim sie aufnehmen wolle. Die beiden lebten von 340 Euro im Monat, der Pension der alten Frau.

Atlas und der Undank

Plötzlich überschattet eine andere, vielleicht noch schwerer wiegende Pleite das griechische Fiasko: Spanien. Vergangenen Donnerstag senkte die Ratingagentur Fitch die Kreditwürdigkeit des südeuropäischen Landes von A auf BBB. Ursache ist der marode Bankensektor, der neben der hohen Arbeitslosigkeit Spaniens Bonität bedroht. Ende der vergangenen Woche hieß es, die Regierung von Premier Mariano Rajoy könnte bereits am Wochenende einen Hilfeantrag an den europäischen Rettungsschirm stellen.
Doch neben vielen anderen Unterschieden zur griechischen Situation ist vor allem einer bedeutend: Spanien gilt als „too big to fail“. Deshalb wurden bereits Überlegungen laut, Spanien ohne Reformauflagen Hilfsmittel zukommen zu lassen. Hingegen sei ein „Grexit“ für die Eurozone „schmerzlich, aber letztlich verkraftbar“, so Deutschlands Finanzminister Wolfgang Schäuble.

Spanien wird man eher entgegenkommen, Griechenland dagegen nicht. Das ist der Dank dafür, dass der griechische Titan Atlas am westlichsten Punkt der damaligen Welt – vis-à-vis von Spaniens Küste – das Himmelsgewölbe stemmte.

Die Götter sind uneins

Eine große schnelle Lösung müsste her, ein Sprung vorwärts in der europäischen Integration. Die beiden Hauptakteure, Berlin und Paris, wissen, dass angesichts der Dramatik diesmal geklotzt und nicht gekleckert werden muss. Doch an diesem Punkt endet die gemeinsame Vorstellung darüber, wie der große Wurf aussehen soll.

Frankreichs neuer Präsident setzt auf Wachstum und gemeinsame Staatsanleihen, die es den notleidenden EU-Ländern erlauben könnten, der Schuldenfalle zu entkommen. Die französische Forcierung einer gemeinsamen EU-Finanzpolitik leidet freilich unter dem Widerspruch, dass Paris nicht bereit ist, Souveränität an Europa abzugeben. Die Forderung nach einer verstärkten politischen Integration Europas hält Hubert Védrine, ehemaliger Außenminister Frankreichs und Parteifreund des neuen sozialistischen Staatspräsidenten François Hollande, im Gespräch mit profil für einen Ausfluss „bundesstaatlicher Utopie, die von den Völkern abgelehnt wird“. An der Seine will man intergouvernementales Handeln und nicht gemeinsame europäische Institutionen.

Mit der französischen Forderung, man möge von der Sparpolitik zu einem Wachstumskurs übergehen, könnte sich die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel vielleicht noch anfreunden. Aber für sie ist klar: Eurobonds zur Finanzierung der Staatsschulden dürfen ohne stärkere politische Einigung und Demokratisierung Europas nicht kommen. Warum sollten die Deutschen für Schulden anderer Staaten haften, wenn sie nicht über deren Haushalte und deren Wirtschaftspolitik im Rahmen europäischer Gremien mitbestimmen können?

Und US-Präsident Barack Obama, der im Fall eines Absturzes der Weltwirtschaft um seine Wiederwahl bangen muss, drängt die Europäer dazu, endlich gemeinsam und gezielt den Krisengefahren zu begegnen. Aber auch in seinem Fall bleibt die Liebe zur großen Lösung eine platonische: „Wer glaubt, dass Obama einen Marshallplan für Europa auf den Weg bringt, täuscht sich. Diese Zeiten sind vorbei“, sagt der Risikoexperte Ian Bremmer im profil-Interview (siehe Seite 75).
Für Griechenland wird ohnehin jeder große Wurf – falls es überhaupt einen geben wird – zu spät kommen.

Am Ende die Peripetie

Bleibt als einziger von Europa genehmigter Ausweg die Wahl der Nea Dimokratia an die Regierung. Aber wo ist die Partei eigentlich? Zehn Tage vor den Parlamentswahlen sucht man in Athen vergeblich nach Veranstaltungen mit ihrem Spitzenkandidaten Antonis Samaras. Der Eventkalender auf der Website www.nd.gr ist leer. „Wir planen noch unsere nächsten Schritte und geben Bescheid“, antwortet Chrisostomos Pikazik, ein Pressesprecher von Parteichef Samaras, am Montag, am Dienstag und auch am Mittwoch vergangener Woche auf Anfrage von profil. Gibt es vielleicht kleinere Wahlkampfveranstaltungen ohne den Parteichef Samaras? „Im Moment nichts, nein.“

Nikos Lisidakis, mit seinen 27 Jahren eine der Zukunftshoffnungen der Nea Dimokratia, sitzt in einem Kaffeehaus vor der Zentrale der Parteijugend und blickt unentwegt auf sein Handy. Gerade eben erst hat er mit Parteichef Antonis Samaras telefoniert und ein paar Wahlstrategien besprochen. Er weiß, warum Diskretion anstatt Rummel angesagt ist. Es ist nicht leicht für einen Politiker einer der beiden Traditionsparteien Nea Dimokratia und Pasok, in der Öffentlichkeit aufzutreten. Viele Leute da draußen hassen uns abgrundtief.“

So könnte der Bestfall in Griechenlands unmittelbarer Zukunft aussehen: eine verhasste Regierung, gestützt von der verabscheuten Troika und den verachteten Deutschen – der dreiköpfige Kerberos, der Höllenhund der Antike.

Am 17. Juni, dem Wahltag, führen alle Wege in den Hades – und nur einer wieder heraus: Wenige Tage später könnte Griechenland bei der Fußball-Europameisterschaft im Viertelfinale spielen. Möglicher Gegner: Deutschland.