Öko: Der neueste Trend in Silicon Valley

Grüne Scheine

Suche nach alternativen Energiequellen

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Jonathan Wolfson bleibt unnachgiebig. Zum wiederholten Male erklärt er, warum der Reporter die algengrüne Revolution hinter einer weißen Türe nicht besichtigen darf. „Sorry“, meint der Mitgründer der in Menlo Park im Süden San Franciscos ansässigen Start-up-Firma Solazyme. „Das fällt noch unter Betriebsgeheimnis. Aber wir sind zuversichtlich, dass unsere Algenstämme innerhalb weniger Jahre Milliarden Liter Biodiesel und Rohöl produzieren können – vorausgesetzt, wir bekommen dafür das nötige Kapital.“

Wenn es um jungfräuliche Ideen geht, hält man sich im Silicon Valley, der legendären Heimat des Computer- und Internetbooms, traditionell gerne bedeckt. Und das neuerdings umso mehr, weil hier Firmengründer, Risikokapitalisten und Forscher dieser Tage glauben, einen neuen Schatz zu heben: erneuerbare Energien. Ebenso wie Hewlett-Packard, Apple oder Google in dieser Region ihren Siegeszug antraten, halten Risikofinanciers die Zeit jetzt für reif, tief in ihre Taschen zu greifen und die nächste industrielle Revolution anzuschieben. Hoher Ölpreis, wachsender Energiebedarf und Angst vorm Klimakollaps versprechen satte Renditen.
Dementsprechend lassen sich die Investoren nicht lumpen: Allein im vergangenen Jahr, schätzt das Londoner Beratungsunternehmen New Energy Finance, investierten Venture-Capital-Firmen und private Geldgeber weltweit 8,6 Milliarden Dollar in alternative Technologien, um 68 Prozent mehr als im Jahr davor. Dabei entfällt der Löwenanteil der Öko-Start-up-Finanzierungen auf die USA und dort wiederum auf den erfolgreichsten Gewerbepark der Welt, das Silicon Valley.

Start in der Garage. Als Wolfson das Start-up-Unternehmen Solazyme 2003 gemeinsam mit seinem Partner, dem Genetiker und Patentanwalt Harrison Dillon, nach gutem altem Brauch in einer Garage gründete, gab es noch kaum Interesse an grüner Technologie, geschweige denn an Algen. „Die Investoren winkten alle ab“, erzählt Wolfson. Das hat sich inzwischen geändert. Mit rund 15 Millionen Dollar haben sich mehrere Geldgeber in das Unternehmen eingekauft. Sie hoffen, dass Solazymes Methode, Algenstämme genetisch zu manipulieren, um deren Wachstum und deren Ölgehalt deutlich zu erhöhen, eine lukrative Grundlage für Biodiesel und Algenethanol schafft.

Völlig abwegig ist das nicht: Algen besitzen einen höheren Fettanteil als andere Biosprit-Grundstoffe wie Raps oder Getreide. Dieser beträgt schon bei natürlich vorkommenden Algen bis zu 70 Prozent ihres Eigengewichts. Außerdem wird für ihren Anbau weniger Energie, kaum Dünger und vergleichsweise wenig Land benötigt. „Für uns ist es aber auch nicht schwer, das Algenöl zu extrahieren“, antwortet Wolfson auf eine oft geäußerte Kritik. Wie, darüber hüllt er sich jedoch genauso in Schweigen wie bei der Frage, ob er und sein Partner die Algen in Freiluftfarmen oder in transparenten Bioreaktoren züchten wollen. „Abwarten“, meint er kryptisch. Noch im heurigen Jahr wollen die beiden Jungunternehmer der Welt eine Demonstrationsanlage vorführen.
Tatkräftig zur Hand geht dem ökologischen Umbau in Kalifornien Gouverneur Arnold Schwarzenegger. Wenn er auch nicht Präsident der USA werden kann – laut US-Verfassung ist das auf amerikanischem Boden Geborenen vorbehalten –, setzt er sich doch gerne als umweltschützender „Hulk“ an die Spitze einer Ökowelle, die trotz der industriefreundlichen Regierung Bush über die USA hinwegrollt.

Alternativenergien. Erst im vergangenen Jahr hat der neoökologische Steirerman eine Initiative zur Förderung von Alternativenergien verabschiedet. Außerdem segnete Schwarzenegger ein Gesetzeswerk ab, das Kalifornien darauf festlegt, seine CO2-Emissionen bis 2020 um ein Viertel auf das Niveau von 1990 zu senken. 17.000 Arbeitsplätze soll allein diese Maßnahme laut einer Studie der Universität Berkeley schaffen. In vier Jahren will Kalifornien außerdem zwanzig Prozent seines Stromverbrauchs aus erneuerbaren Energiequellen gewinnen. Und mit zwölf weiteren Bundesstaaten ist Kalifornien bis vor das Verfassungsgericht gezogen, um die US-Regierung zu zwingen, Kohlendioxid als Luftschadstoff anzuerkennen – und hat gewonnen.
Dabei weiß der erste Mann im Bundesstaat die Bevölkerung hinter sich. 79 Prozent, ergab eine Meinungsumfrage des Public Policy Institute of California, sehen die Klimaerwärmung als Bedrohung an. Und sie erwarten, dass ihr Staat entsprechende Maßnahmen ergreift, auch wenn es dem fernen Washington oder einigen Unternehmen nicht passt. Trotz der Autoverliebtheit – grünes Denken hat in Kalifornien Tradition. Dort gründete der Naturforscher John Muir 1890 den Umweltschutzverband Sierra Club; im selben Jahr wurde Yosemite zum ersten Nationalpark der Vereinigten Staaten erklärt. In den fünfziger Jahren bemühte sich Kalifornien, den Smog in der Küstenmetropole Los Angeles zu lichten, was später zum bundesweiten Clean Air Act führte. 1961 reglementierte das Land Autoabgase. In den Siebzigern verpflichtete der Bundesstaat erstmals Autohersteller, Katalysatoren in Pkws einzubauen. Eine Maßnahme, die andere Staaten kopierten.

Schließlich hat Kalifornien den Stromverbrauch pro Person in den vergangenen dreißig Jahren beeindruckend gesenkt – fast auf die Hälfte des amerikanischen Durchschnitts. Der Grund: In Kalifornien müssen traditionelle Stromfresser wie Kühlschränke, Klimaanlagen oder Wasserboiler effizient arbeiten. Das genügt den Regulierungsbehörden jedoch längst nicht mehr. In deren Fadenkreuz finden sich Elektrogeräte wie Fernseher und Kaffeemaschinen, die in ständiger Betriebsbereitschaft rund zehn Prozent des Stromkonsums in kalifornischen Haushalten ausmachen. Die großen Stromkonzerne des Landes wissen die Zeichen der Zeit richtig zu deuten: Der Energiekonzern Pacific Gas and Electric beschloss im vergangenen Oktober, aus Kuhmist gewonnenes Biogas zu kaufen, das, auf Erdgasqualität aufbereitet, zunächst einmal 50.000 Haushalte versorgen soll.

Doch ohne das nötige Privatkapital würden all diese Bemühungen wohl ins Leere laufen. Die erste Garde der Finanziers residiert in Häusern im Western-Stil in einer Grüngegend in Menlo Park. Die Investoren geben sich zuversichtlich, was die grüne Zukunft des Westküstenstaates und der USA angeht. Der Platzhirsch unter den Venture-Capital-Firmen, Kleiner Perkins Caufield & Byers (KPCB), hatte bereits bei der Anschubfinanzierung von Amazon, Yahoo oder Google geholfen – jetzt hat sich die Firma sauberen Energiequellen verschrieben.
Vor einem Jahr gründete das Unternehmen das Greentech Innovation Network, ein Netzwerk von Experten, Politikern, Kapitalgebern und Unternehmern, das sich zweimal im Jahr hinter verschlossenen Türen trifft, um neue Entwicklungen in alternativen Energietechnologien zu diskutieren. Al Gore, Ex-Präsidentschaftskandidat der Demokraten, gab gute Ratschläge. Einer davon lautete wohl, politisch tätig zu werden. Mitglieder der Gruppe trafen sich im vergangenen August mit sieben Abgeordneten des kalifornischen Parlaments, um sie davon zu überzeugen, für das bisher strengste Klimagesetz der USA zu stimmen – mit Erfolg. Innerhalb der nächsten zwei Jahre will KPCB 200 Millionen Dollar in Firmenneugründungen im alternativen Energiesektor stecken. Und Bill Joy, Mitgründer von Sun Microsystems und noch vor wenigen Jahren Prophet der High-Tech-Apokalypse, geht jetzt als neuer Partner der Firma mit gutem Beispiel voran: Er lässt sich für 50 Millionen Dollar die erste ökologische, von Windenergie und Hybridmotor angetriebene Superyacht bauen. Name: Ethereal.

Liebstes Vorzeigeunternehmen des KPCB-Portfolios ist die Biotechfirma Amyris, die auf der anderen Seite der San Francisco Bay ihren Sitz hat, unweit der Universität Berkeley, wo einer ihrer Mitgründer und Ideengeber, der Molekularbiologe Jay Keasling, forscht. Anders als Solazyme arbeitet die Firma, wie es ihr Geschäftsführer John Melo gerne ausdrückt, „an Treibstoffen der zweiten Generation“. Biodiesel sei zwar umweltfreundlich, könne aber gefrieren; Ethanol habe zudem einen geringeren Energiegehalt als Benzin und lasse sich nicht durch Pipelines pumpen. Stattdessen, so Melo, habe man sich einige Moleküle herausgepickt, die sich als Alternativen für Kerosin, Biodiesel und Benzin eignen würden – nichts weniger.
Zu den Auswahlkriterien gehörte, dass diese Stoffe einen hohen Energiegehalt besitzen, nicht sonderlich flüchtig und auch wasserunlöslich sein sollten – und tatsächlich experimentiert das Unternehmen derzeit mit solchen Kandidaten. Einer davon ist Butanol. Dieses, so heißt es, sei energiereicher und viel leichter transportierbar als Ethanol. Amyris versucht nicht nur, Organismen genetisch zu optimieren. Das Unternehmen ist auch bekannt dafür, den Stoffwechsel von Hefe- und Kolibakterien so umzubauen, dass deren Gene, wie an einem genetischen Fließband, Schritt für Schritt maßgeschneiderte Moleküle produzieren. Das klingt utopisch, doch für eine Vorstufe des Antimalariamittels Artemisinin ist den Amyris-Tüftlern dieses Kunststück immerhin bereits gelungen. Die Molekulargenetiker konnten den Ausstoß von Artemisininsäure in einer manipulierten Hefezelle um das Millionenfache erhöhen. Das spricht sich herum. Bei der jüngsten Finanzierungsrunde für Amyris standen die Investoren Schlange – und nicht viele nahmen ihr Geld wieder mit nach Hause.

Technologie-Trends. Ohne Risikokapitalgeber würden viele der in langen Labornächten ausgetüftelten Ideen nicht gedeihen. Doch ehe es zu dem gegenwärtigen Ökoboom kam, mussten die Finanziers erst einmal realisieren, welche Gelegenheit sich ihnen bot. „Ende 2002 sah die Lage gar nicht gut aus“, erinnert sich Erik Straser, Partner der Venture-Capital-Firma Mohr, Davidow Ventures in Menlo Park. „Ich überlegte mir, was in den nächsten 25 Jahren die wichtigsten Technologietrends sein würden.“ Ergebnis seiner Überlegung: das Wachstum von Indien und China würde die Nachfrage nach Rohstoffen und Energie nach oben schnellen lassen. Gleichzeitig rückte an den Universitäten der Klimawandel als Problem immer mehr in den Vordergrund. „Eine Antwort für diese beiden Probleme sind innovative Ideen für regenerative Energiequellen. Daher sahen wir uns nach Investitionsmöglichkeiten um“, berichtet der an der benachbarten Stanford University ausgebildete Ingenieur.
Da war der gebürtige Münchner Martin Roscheisen längst mit seiner Firma Nanosolar aktiv. Der seit gut zwölf Jahren in Kalifornien lebende Unternehmer, der bereits mehrere Internetfirmen gegründet und für hunderte Millionen Dollar an Branchengrößen wie Yahoo verkauft hatte, entschied sich 2001 kurzerhand, eine Solarfirma zu gründen. Für Roscheisen war es eine einfache Rechnung. „Die Möglichkeiten für Innovation in der Solartechnik schienen mir nach wie vor groß – und wenn man nur ein einziges Prozent des Energiemarktes besetzen würde, sind das einige Milliarden Dollar“, erklärt Roscheisen im profil-Gespräch an einem angerosteten Gartentisch an der Rückseite eines schmucklosen Flachbaus in Palo Alto. Hinter ihm tönt aus einer offenen Tür eine Kakophonie von Maschinengeräuschen: Nanosolars Forschungs- und Entwicklungslabor.

Die Neuerungen der Solarzellen liegen einmal im Material: statt Silizium nützt Nanosolar Verbindungshalbleiter aus Kupfer, Indium und Gallium. Dann die Herstellungsmethode: Die Solarzelle wird schlicht auf eine Metallfolie gedruckt. Das senkt die Herstellungskosten um das Zehnfache. Der Wirkungsgrad liegt dennoch im zweistelligen Bereich; herkömmliche Solarzellen schaffen nur wenige Prozent mehr.
Das überzeugte nicht nur Straser, der prompt investierte, sondern auch die Google-Gründer Larry Page und Sergey Brin. Im vergangenen Jahr erhielt die Firma eine weitere Finanzspritze von 100 Millionen Dollar. Damit errichtet sie jetzt im kalifornischen San José und in Luckenwalde bei Berlin zwei Fertigungsstätten. Noch heuer sollen die ersten Solarzellen vom Band laufen. „Die Dünnschicht-Methode ist ein Erfolg“, erklärt Straser zufrieden. „Aber auch bei diesem Boom werden einige Leute Geld verlieren. Das ist die Dynamik der neuen Welt."

Von Hubertus Breuer