Georg Hoffmann-Ostenhof

Gusenbauer und die Erbsünde

Gusenbauer und die Erbsünde

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Dieser Satz, mit erhobener Stimme in die Menge der Genossen auf dem Rathausplatz gerufen, war der Höhepunkt der Gusenbauer-Festrede am 1. Mai: „Wir werden nicht zulassen, dass irgendjemand glaubt, unserer Jugend eine neue Erbsünde andichten zu können.“ Eine seltsame, bei näherer Betrachtung sogar rätselhafte Aussage. Es ging natürlich um Amstetten. Um das Verbrechen des Josef F. Wer aber will in diesem Zusammenhang der österreichischen Jugend irgendetwas andichten – gar eine Erbsünde? Der SP-Vorsitzende, der in seiner Rede ganz unaufgeregt und sprachlich – sagen wir es freundlich – routiniert über Gerechtigkeit, Steuern und Chancengleichheit sprach, wurde geradezu kämpferisch, als er zum Keller in der Ybbsstraße kam: „Wir lassen nicht zu, dass ganz Österreich, dass unsere gesamte Bevölkerung von einem Einzeltäter in Geiselhaft genommen wird.“ Und: Österreich, „eines der sichersten und besten Länder, lassen wir uns von niemandem, egal wo auf der Welt, miesmachen“. Also sprach der Bundeskanzler und bekundete seine Absicht, das Ansehen Österreichs zu verteidigen. Gegen wen und was soll Österreich bitte verteidigt werden? Haben ausländische Regierungen anlässlich der Untat des Herrn F. böse Worte über unser Land gefunden? Wurde irgendwo gewarnt, nach Österreich zu fahren, weil man riskiere, für Jahre in irgendwelchen Verliesen zu verschwinden?

Was wir erleben, ist ein überwältigendes internationales Interesse an den Amstettener Ungeheuerlichkeiten. Was nicht verwundert, ist doch der Fall des Josef F. einmalig, unheimlich und besonders grotesk. Vereinzelt wird, angesichts der Unbegreiflichkeit des Bösen, das da offenbar am Werk war, versucht, allgemeine Erklärungen zu finden. Mancher Journalist glaubt da, in der „österreichischen Seele“, in den österreichischen Verhältnissen fündig zu werden. Da wird die Parallele zu Natascha Kampusch gezogen, und schließlich erinnern sich Kommentatoren an die anderen Ereignisse und Skandale, die Österreich in den vergangenen 20 Jahren in die Schlagzeilen gebracht haben: Waldheim, der Aufstieg Jörg Haiders, die Bildung der schwarzblauen Koalition und generell die unbewältigte Nazi-Vergangenheit. Da ist es offenbar verlockend, in freier Assoziation von den „Leichen im Keller“, wo auch metaphorisch-freudianisch das Unbewusste brodelt, von der österreichischen Haltung des Nichts-gesehen-nichts-gewusst-Habens, von der Tendenz zur Verdrängung zu schreiben. An all dem mag ein Körnchen Wahrheit sein. Und wahrscheinlich sind autoritär-pedantische Kontrollfreaks und Despoten wie der niederösterreichische Josef F. in vielen anderen Ländern eher auffällige, als Psychopathen erlebte Figuren, bei uns aber noch ein weit verbreiteter, durchaus akzeptierter Charaktertyp. Im Großen und Ganzen sind aber die Versuche, das Verbrechen von Amstetten aus dem österreichischen Wesen zu erklären, wenig schlüssig und eher essayistisch. Und jeder weiß natürlich, dass solche und ähnliche Monstrositäten überall passieren, dass keine Gesellschaft gegen pathologische Kriminalität gefeit ist. Die mögen dem Klischee nach verschieden aussehen: Die Filme des Meisterregisseurs Claude Chabrol zeigen eindringlich, wie unterhalb des diskreten Charmes einer feinen und kalten französischen Bourgeoisie das Böse lauert, in Italien denkt man an die Verschwörungen, bei denen Geheimgesellschaften und -dienste gemeinsam mit der Kirche und der Mafia Morde und Massaker aushecken, Jack the Ripper, der perverse Upperclass-Dandy, prägt bis heute das Bild des unheimlichen britischen Verbrechers, und Amerika wird als das Land des aus guter Familie stammenden Amok­läufers gesehen, der ohne ersichtlichen Grund wahllos Leute niederballert. Die Länderliste könnte fortgesetzt werden.
Außer vereinzelter Versuche, das Unbegreifliche am Verbrechen des Josef F. als typisch österreichisch begreifbar zu machen, wird nirgendwo Österreich wegen Amstetten „miesgemacht“. Da mögen in den nächsten Monaten Menschen auf der Welt, wenn sie von Österreich hören, an den Inzest im Verlies denken – das ist nun mal so in solchen Fällen. Das Ansehen Österreichs wegen der Begebenheiten in Amstetten muss aber mitnichten verteidigt werden. Da gibt es bei Gott andere Aspekte österreichischer Realität, die dem Image des Landes schaden. Deren Aufzählung soll dem Leser hier erspart werden.

Also warum glaubt Gusenbauer, Österreichs Reputation wegen Amstetten verteidigen zu müssen? Die Antwort ist einfach: Er versucht mit seinem Bashing von angeblichen ausländischen Österreich-Feinden einen trotzigen Patriotismus für sich und seine Partei zu mobilisieren. Hat, so mag er gedacht haben, die nationalistische Aufhetzung der Österreicher gegen das böse Ausland, das die „Sanktionen“ über unsere Heimat verhängt hat, nicht einst Wolfgang Schüssel eine zweite Amtszeit verschafft? Warum sollte er, Gusenbauer, nicht Ähnliches versuchen? Er schließt zudem mit seiner seltsamen Metapher der Erbschuld implizit an die rechte Argumentation an, nach der Österreich mit den Nazi-Verbrechen nichts zu tun habe – unter dem Motto: Der Vorwurf der Kollektivschuld ist eine Gemeinheit. Zumindest schwingt das mit. Er wird mit diesem Versuch, aus dem furchtbaren Inzest-Verbrechen politisches Kleingeld zu schlagen, nicht reüssieren. Der Applaus am Rathausplatz klang bei Gusenbauers Amstetten-Passagen recht spärlich. Mit Erbsünde hat das alles, wie gesagt, nichts zu tun. ­Eine Sünde hat aber der Vorsitzende der österreichischen Sozialdemokratie mit diesem erbärmlichen populistischen Schlenker, der obendrein noch ungeschickt inszeniert ist, allemal begangen: eine schwere Sünde wider den politischen Anstand und die politische Vernunft.