Peter Michael Lingens

Gusenbauers Scheitern

Gusenbauers Scheitern

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Der „Kurier“ konzentrierte sich in der Titelzeile noch vorsichtig auf „Die Frau, die sich was traut“, als Gabi Burgstaller den „Vize“ der SPÖ hinschmiss – erst im Untertitel sah er die „Führungsdebatte voll entbrannt“. „Österreich“ war solche Vorsicht fremd: Es kam schon Donnerstag mit dem Titel „Kanzler vor dem Sturz?“ auf den Markt. Das Fragezeichen ist nicht sehr groß: Die Partei steht nicht mehr hinter Alfred Gusenbauer, denn sie weiß, dass sie kommende Wahlen mit ihm nur verlieren kann. Nur glaube ich, dass sie auch mit Burgstaller oder Fay­mann nicht gewinnen wird. Auch wenn Gusenbauer für seine Funktion besonders ungeeignet ist, ist das nur ein Teil des roten Problems.

Die Kür des anständigen, uncharismatischen Sekretärs zum Parteivorsitzenden war von Beginn an eine Notlösung: Es bot sich einfach niemand anderer an. Aber es bietet sich in Wahrheit – mit Ausnahme von Michael Häupl, der nicht will – auch jetzt niemand an: Burgstaller oder Faymann haben nur das Glück, dass sie telegener sind und diese Regierung nicht anführen mussten. Burgstaller hat darüber hinaus noch den raren Vorzug gut berechneter Zivilcourage – aber den hatte seinerzeit auch Josef Cap.

Dass die SPÖ 2007 dennoch die Wahl gewann, lag teils an der Überzeugung zu vieler bürgerlicher Wähler, dass die ÖVP sie sicher gewinnen würde, teils an durchwegs unhaltbaren roten Versprechungen: Es war klar, dass der Kauf der Eurofighter nicht rückgängig gemacht werden konnte, es war klar, dass die ÖVP nicht von den Studiengebühren abgehen würde, und es war klar, dass man an der Pensionsreform nicht rütteln konnte. Auch jeder andere rote Kanzler an der Stelle Gusenbauers hätte daher ständig „umfallen“ müssen, wenn er eine „große Koalition“ eingegangen wäre. Dass die ÖVP auch noch nach Kräften obstruiert hat, war nur die Draufgabe. Das Obstruieren fiel ihr so leicht, weil sie den Finanz­minister stellt. Nicht umsonst wird das Budget auch „das in Zahlen gegossene politische Programm“ genannt – niemand konnte erwarten, dass der schwarze Wilhelm Molterer das rote Parteiprogramm umsetzt.

Ohne die Bestellung Molterers zum Finanzminister wäre die große Koalition aber nicht zustande gekommen, weil es in der Mechanik dieses Zustandekommens liegt, dass der kleinere Partner auch die größte Forderung durchsetzt. (Sonst ist er eben nicht zur Partnerschaft bereit.)
Auch Burgstaller oder Faymann hätten in einer großen Koalition einen schwarzen Finanzminister akzeptieren müssen, auch Burgstaller und Faymann hätten gegen ihn keine rote Politik machen können. Ich persönlich bin der Meinung, dass alle Koalitionen von Parteien mit unterschied­lichen Programmen aus diesem Grund scheitern müssen – aber zwei Drittel der Österreicher sehen es genau umgekehrt und werden auch in Zukunft die „große Koalition“ für die ideale Regierungsform halten.

Erst nach allen diesen strukturellen Gründen des Scheiterns kommt die Persönlichkeit Gusenbauers ins Spiel. Wenn ich seine heutige Lage beschreiben soll, reizt es mich, einen Witz abzuwandeln, der ursprünglich auf den kurz­fristigen ÖVP-Obmann Josef Taus gemünzt war: Verärgert über die ständige kritische Berichterstattung zu seiner Person und über das Misstrauen, das seinen Fähigkeiten auch in den eigenen Reihen entgegengebracht wird, beschließt Gusenbauer, wie Jesus übers Wasser zu gehen. Ein Jahr lang trainiert er verbissen, dann lädt er alle wichtigen Parteifreunde und Journalisten zu einer Vorführung auf die Donauinsel: „Jetzt werds aber schaun“, sagt er und überquert die Wasseroberfläche zwischen den beiden Ufern. „Österreich“-Aufmacher des folgenden Tages: „Kein Genosse folgte Gusenbauer!“

„Taus kann nicht schwimmen!“ hat es im Original zündender, aber die aktuelle Situation nicht ganz so treffend beschreibend, geheißen.
Tatsächlich besteht zwischen den beiden erfolglosen Parteiobmännern beträchtliche Ähnlichkeit: Wie Alfred Gusenbauer hatte sich Josef Taus aus kleinsten Verhältnissen hochgearbeitet und war darauf allzu sichtbar stolz. Wie Gusenbauer imponierte er allen, die persönlich mit ihm zu tun hatten, durch seine hohe Intelligenz und seine Sachkundigkeit, ohne in der Lage zu sein, das im Fernsehen über die Rampe zu bringen. Wie Gusenbauer kam er beim breiten Publikum schon rein optisch nicht an und wurde gerade vom kleinen Mann für überheblich gehalten. Da er weder imstande war, politische Erfolge zu erringen, noch einen Schutzwall unerschütterlicher Parteifreunde um sich zu errichten, ging er ziemlich rasch und ruhmlos unter. (Wenn auch zu seinem großen persönlichen Vorteil, denn er wurde zu einem der erfolgreichsten Unternehmer des Landes, was man von Gusenbauer eher nicht erwarten dürfte.)

Allerdings war Taus’ Widersacher kein Geringerer als Bruno Kreisky, der es fertig brachte, den Spitzen-Wirtschaftsmann selbst in wirtschaftspolitischen Diskussionen alt aussehen zu lassen, indem er die ungleich schlechteren ­Argumente ungleich besser präsentierte. Alfred Gusenbauer dagegen hat Wilhelm Molterer zum Gegenspieler und keineswegs die schlechteren Argumente für sich gehabt: Dass er das Match dennoch so hoch verloren hat, wird ihm zu Recht zur Last gelegt. Er steht vor dem Sturz.