Händchen halten mit Alice Schwarzer

Interview: Udo Jürgens über Frauenfeindlichkeit

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profil: Welche politischen Ereignisse haben Sie im vergangenen Jahr schockiert?
Jürgens: Schockieren kann mich die Politik schon lange nicht mehr. Beklemmend finde ich aber den Umgang mit dem Terrorismus. Im Weißen Haus hat man erstaunlicherweise noch immer nicht begriffen, dass mit jedem ermordeten Terroristen drei neue geboren werden.
profil: Welchen Umgang mit der Problematik würden Sie vorschlagen?
Jürgens: Man muss sich mit den Leuten, mit denen man bislang nicht gewillt war zu verhandeln, an einen Tisch setzen und Brücken schlagen zwischen dem Islam und der westlichen Lebensweise.
profil: Ein solcher Kuschelkurs ist von George W. Bush wohl eher nicht zu erwarten.
Jürgens: Bushs Mischung aus strenger Religiosität und konsequenter Gewaltbereitschaft ist ein riesiges Problem. So kann das nicht mehr weitergehen. Wenn die USA eine moralische Rolle in der Welt spielen wollen, dann müssen sie auch in puncto Menschenrechte ein Musterbeispiel geben. Dass eine Weltmacht geheime Foltergefängnisse einrichtet, unschuldige Menschen verschleppt oder gar hinrichtet, darf nicht mehr länger geduldet werden.
profil: Schwenken wir nach Deutschland. Was für einen Wahlausgang hätten Sie sich dort gewünscht?
Jürgens: Ich hätte mir Schwarz-Gelb-Grün gewünscht. Nicht nur, weil ich Jamaika schön finde, aber das wäre für Deutschland eine wirkliche Alternative gewesen. Jetzt hat es Merkel viel schwerer. Man stelle sich vor – acht sozialdemokratische Minister, die bis vor Kurzem noch ständig von der sozialen Kälte gesprochen haben. Soziale Kälte ist für mich ja das Unwort des Jahres 2005.
profil: Angesichts der deutschen Arbeitslosenrate ist dieser Begriff möglicherweise nicht ganz von der Hand zu weisen.
Jürgens: Wir müssen uns alle darüber im Klaren sein, dass ein Staat, der für jedes Zahnweh zur Verantwortung gezogen wird, nicht mehr machbar ist. Das ist nicht mehr zu bezahlen. Dass es nicht erlaubt ist, sich von einer schwachen Arbeitskraft zu trennen, empfinde ich als unmoralisch. Wenn bei uns Freiberuflern ein Cellist nicht spielen kann, dann muss ich ihm sagen können: Danke, dass Sie da waren, aber jetzt packen Sie bitte Ihr Instrument ein und rufen nach Möglichkeit nie wieder an.
profil: Heißt das, dass die Verantwortung für die sozial Schwachen privatisiert und von vermögenden Industriellen, wohlhabenden Showgrößen und reichen Erben übernommen werden sollte?
Jürgens: Ganz ehrlich: Von Showgrößen kann sich die Welt nichts erhoffen.
profil: Sprechen Sie da auch von sich?
Jürgens: Nun ja, ich habe eine Stiftung und mache, was innerhalb meiner bescheidenen Möglichkeiten ist. Aber Showgrößen geben nun einmal selten politische Anreize, sondern sind eher mit einem exzentrischen Lebensstil und einem unerhörten Pomp um ihre eigene Person beschäftigt. Wenn da Charity-Veranstaltungen organisiert werden, dienen sie mehr dem eigenen Image als sonst was.
profil: Spielen Sie damit auf „Live 8“ an?
Jürgens: Ich möchte nicht wissen, wo bei „Live 8“ das ganze Geld geblieben ist. Bei diesen Großveranstaltungen geht es ja vor allem erst einmal um das Happening und um die Publicity für die eigenen Platten. Ich weiß jedenfalls, wie groß die Schwierigkeiten schon bei meiner kleinen Stiftung sind. Bei einem Kinderheim, das wir in der Ukraine gebaut haben, sind zum Beispiel erstmal gleich die Fenster gestohlen worden.
profil: Sie meinen also, dass es Bob Geldof oder Sting in erster Linie um die eigene Publicity ging?
Jürgens: Ich spreche niemandem den Idealismus ab, schon gar nicht Sting oder Geldof. Nur: Von einem englischen Schloss aus betrachtet, sehen soziale Probleme ganz anders aus. Die Ansprechpartner für soziale Verantwortung werden in Zukunft die Reichen und Superreichen sein.
profil: Wo liegt in dieser Utopie der Aufgabenverteilung die Rolle des Staates?
Jürgens: In den sozialpolitischen Konzepten. Es ist einfach unverantwortlich, dass, wie in Deutschland, eine Verschuldung erreicht ist, wo an eine Rückzahlung nicht mehr zu denken ist.
profil: Wie hoch ist diesbezüglich Ihr Vertrauen in Angela Merkels Fähigkeiten?
Jürgens: Ich halte sie für eine exzellente Politikerin, die weiß, was sie tut, und überhaupt keinen Wert auf Showeffekte legt. Und ich finde es ausgesprochen begrüßenswert, dass in einer ganz schwierigen Stunde eine sehr kompetente Frau zur Kanzlerin gemacht wurde.
profil: Etwas zugespitzt formuliert, heißt das, die Geschlechtszugehörigkeit von Frau Merkel kommt einer Art von Behindertenbonus gleich?
Jürgens: So würde ich das nie ausdrücken. Mitleid muss keiner mit ihr haben, weil sie den meisten Politikern ohnehin gnadenlos überlegen ist. Ich kenne sie auch persönlich. Wenn sie lächelt, hat sie ein sehr charmantes, zauberhaftes Gesicht. Sie ist überhaupt nicht das Trutscherl, als das sie gerne hingestellt wird.
profil: Dennoch generierten Frau Merkels Frisurveränderungen und ihre Kostümchen längere Zeit hindurch mindestens ebenso große Aufmerksamkeit wie ihre politischen Positionen.
Jürgens: Besonders lächerlich. Dass Frauen nur an ihrem Äußeren gemessen werden, ist generell eine wirkliche Unverschämtheit. Offensichtlich hat noch niemand bemerkt, dass unzählige Männer in der Öffentlichkeit abstoßende Bäuche und aufgedunsene Gesichter haben.
profil: Alice Schwarzer würde Ihnen jetzt ein Plus ins Klassenbuch eintragen.
Jürgens: Alice Schwarzer hat mich auch als gigantischen Macho bezeichnet. Inzwischen hat sich trotz aller Verschiedenheit zwischen uns eine richtige Freundschaft entwickelt. Wenn wir zusammen ein Lokal betreten, werden sofort die Köpfe zusammengesteckt. Das macht uns natürlich eine besondere Freude. Unlängst haben wir in der Paris Bar in Berlin sogar Händchen gehalten. Dort sitzen ja wirklich alle – Sabine Christiansen, Klaus Wowereit und so weiter. Da hat die Tuschelei kein Ende mehr genommen.
profil: Alice Schwarzer musste als deutsche Paradefeministin mit Kosenamen wie „Frustzicke“ leben lernen. In Ihren Interviews haben auch Sie sich in der Vergangenheit häufig nicht gerade als feministischer Mustermann gezeigt.
Jürgens: Ich möchte auch nicht bestreiten, dass auch ich in einer Bierlaune beim Oktoberfest auch schon feministisch unkorrekte Bemerkungen gemacht habe. Doch in den Phasen meines Lebens, in denen ich einigermaßen klar bei Verstand bin, würde ich solche Äußerungen nicht machen – und zwar aus tiefster Überzeugung. Ich bin aber auch davon zutiefst überzeugt, dass Frauen und Männer Riesenprobleme miteinander haben und im Grunde genommen nicht zusammenpassen.
profil: Im vergangenen Jahr haben Sie mit Ihrer Aussage in der „Bild“-Zeitung, dass Frauen ab 40 sowieso keinen Sex mehr haben, bestenfalls Verständnislosigkeit ausgelöst. Wie kann einem PR-Profi Ihres Kalibers ein solcher Fehltritt passieren?
Jürgens: So habe ich das natürlich nicht gesagt. Ich habe lediglich erklärt, dass ab dem 40. Lebensjahr der Umgang mit Sexualität nachdenklicher wird. Sowohl bei Frauen als auch bei Männern. Vor meinem 40. Lebensjahr habe ich es getrieben, ohne auch nur eine Sekunde darüber nachzudenken. Das war für mich damals völlig normal. Inzwischen bin ich ja mehrfach Vater geworden – auch ungewollt. Und da beginnt man auch mehr nachzudenken. Und dann hat man mir eben ein Bein gestellt. Ich möchte jetzt aber keinen neuen Konflikt mit „Bild“ heraufbeschwören.
profil: Sind Sie nicht in einer Lebensphase, wo Sie sich solche Konflikte, wie Sie ihn mit der „Bild“-Zeitung hatten, leisten könnten?
Jürgens: Klar könnte ich das. Aber andererseits: Es ist ja nicht wirklich etwas geschehen. Wir wissen, dass derartige Zeitungen ja vor allem wegen ihres Unterhaltungswerts gelesen werden. Und der besteht auch darin, dass Prominente durchs Dorf getrieben werden.
profil: Auch Ihre Scheidung von Corinna Reinhold wurde 2005 als schnelles Unterhaltungshäppchen am Boulevard feilgeboten.
Jürgens: Das lief vergleichsweise recht friedlich. Manche Menschen haben eben nicht das Glück, eine ewig glückliche Ehe zu führen. Das finde ich nicht weiter tragisch, sondern eigentlich recht normal.
profil: Widerspricht das Konstrukt einer dauerhaften Beziehung Ihrem Naturell?
Jürgens: Es ist doch vollkommen normal, eine Ehe nicht bis zum Ende durchzustehen. Und ich möchte fast sagen: Oft ist es auch besser so. Ich möchte zum Beispiel nicht, dass meine Frau vor mir stirbt. Und ich möchte auch nicht eine Frau mit einem Pflegefall Udo belasten. Da bin ich lieber in der Lage, jemand für meine Pflege bezahlen zu können. Auseinander geht es sowieso immer, und manchmal eben auch durch den Tod.
profil: Erstaunt es Sie nicht, dass wir in diesem Interview Jörg Haider noch gar nicht erwähnt haben?
Jürgens: Diese ständigen Haider-Fragen waren mir immer sehr unangenehm. Ich kenne den ja noch aus der Zeit, in der er politisch noch unbedeutend war. Da war er einfach der Jörg, zu dem man Servus gesagt hat. Bei seinen späteren Äußerungen ist mir das Blut in den Adern gefroren. Einmal saß ich in einem österreichischen Restaurant in New York, als Steine durchs Fenster flogen, weil diese Nazi-Geschichten so hochgespielt wurden. Und bei einer Pressekonferenz in Peking betraf die erste Frage sofort Haider. Da dachte ich, jetzt fliege ich vom Stuhl. Ich musste erst mal den Leuten erklären, dass wir in einer Demokratie leben, dass wir hier keinen Faschismus haben, auch in Kärnten nicht, sondern dass es eben eine rechtsgerichtete Partei gibt.
profil: Wie sehr gefriert Ihnen das Blut, wenn Sie mit dem Weltbild von Heinz-Christian Strache konfrontiert werden?
Jürgens: Ein paar Äußerungen haben mich entsetzt. Das waren die gleichen Tiraden, die wir von Haider kannten und sich nahe am faschistischen Gedankengut bewegen.
profil: Strache hat bei seinem Stimmenfang vor allem mit Ausländerfeindlichkeit operiert. Wie stehen Sie zum Thema Zuwanderung?
Jürgens: Wir wissen längst, dass wir hier nicht Millionen von Afrikanern aufnehmen können. Wir müssen aber auch begreifen, dass Zuwanderung eine Realität ist, die auch Haider oder Strache nicht wegreden können. Doch das vermitteln die anderen nicht ausreichend. Und dann kommt einer und schreit: „Jetzt red i! Die gehören alle raus!“ Die Sprachlosigkeit der anderen Politiker, die es verabsäumen, ihre Botschaften loszuwerden, machen sich solche Scharlatane dann zunutze.
profil: Heißt das, Sie halten Strache für einen Scharlatan?
Jürgens: Ich möchte vermeiden, dass in der Überschrift dieses Interviews steht: „Udo Jürgens: Strache ist ein Scharlatan!“ Ich kenne ihn nicht persönlich, aber ich habe Interviews mit ihm gelesen, die mich erschreckt haben, weil sie sehr undemokratisch und uneuropäisch waren. Mit einer solchen Politik wird er auch in Österreich keinen Erfolg mehr haben. Wir müssen begreifen, dass wir in einer großen Völkergemeinschaft leben – auch die Kurzsichtigen.
profil: Wäre ein EU-Beitritt der Türkei in diesem Prozess hilfreich?
Jürgens: Dass die Türkei mit Gefängnissen, in denen Folter an der Tagesordnung ist, im Moment nicht beitrittsfähig ist, ist auch den Türken klar. Als Endziel würde ich mir wünschen, dass die Türkei EU-Mitglied wird, weil der europäische Kulturraum mit seinen christlichen Religionen eine Art Bindeglied braucht – ein Scharnier, das islamisch geprägt ist, damit die wechselseitigen Feindbilder abgebaut werden.
profil: In Ihren Liedern widmen Sie sich eher dem Privaten als dem Politischen. Nur der verstorbene Papst bekam mit dem Refrain „Gehet hin und vermehret euch“ kritische Töne von Ihnen zu hören. Was halten Sie von seinem Nachfolger?
Jürgens: Mir ist er, bei all meiner religionsskeptischen Grundhaltung, ausgesprochen sympathisch. Der jetzige Papst wird zwar die alten Werte hüten, trotzdem glaube ich, dass er Signale für einen Dialog setzen und vielleicht sogar ein Miteinander unter den Religionen erwirken kann.
profil: Papst Benedikt XVI. verkörpert aber auch eine sehr starre Haltung hinsichtlich der Sexualität und der Rechte der Frauen in der Kirche.
Jürgens: Gegen dieses Gedankengut kämpfe ich, seit ich denken kann. Frauenfeindlichkeit ist nämlich keine Erfindung der Machos, sondern hat religiöse Wurzeln. Sowohl das Christentum als auch der Islam haben den Mann zum Herrscher erwählt und die Frau als dessen Dienerin positioniert. Diesen unangenehmen Strumpf mussten wir uns alle anziehen. Dass das alles unerträglich ist, steht außer Frage. Dass Sexualität, ob hetero- oder homosexuell, ein ganz normaler Teil des menschlichen Leben ist, muss endlich auch die Kirche begreifen. Darum hat ja auch fast jeder Pfarrer seine Köchin und mit ihr die gleichen Streitereien wie Ehemänner mit ihren Frauen.

Interview: Angelika Hager und Sebastian Hofer

Udo Jürgens, 71
Mit unsterblichen Hits wie „17 Jahr, blondes Haar“, „Griechischer Wein“ oder „Aber bitte mit Sahne“ schuf der gebürtige Klagenfurter (Taufname: Udo Jürgen Bockelmann) Lieder, die längst ins Standardrepertoire des deutschsprachigen Gassenhauertums eingegangen sind. Seit seinem Aufstieg zum Schlager-Superstar, eingeläutet mit dem Sieg beim Grand Prix Eurovision de la Chanson 1966 in Luxemburg, hat Jürgens weit über 70 Millionen Tonträger verkauft, unzählige Preise und Auszeichnungen (darunter eine Ehrenprofessur, zwei Goldene Kameras, drei Amadeus Awards und das deutsche Bundesverdienstkreuz 1. Klasse) erhalten und auf seinen Tourneen vor insgesamt fast 5,5 Millionen Menschen gespielt. Daneben betätigt sich der „Poet für Sachbearbeiter“ („Süddeutsche Zeitung“) seit den frühen sechziger Jahren als Komponist für internationale Showgrößen, etwa für Shirley Bassey, Rex Gildo, Catarina Valente, Sammy Davis jr. oder Bing Crosby. Bis heute wird Jürgens nicht müde, seine Lieder in ausgedehnten Konzerttourneen unters Volk zu bringen.

Im Jänner startet deren zwanzigste, die ihn Anfang März für fünf Termine auch nach Österreich führen wird (7. und 8.3. Stadthalle Wien, 9.3. Neue Stadthalle Graz, 11.3. Stadthalle Wels, 12.3. Salzburg Arena).