Handel - Palmers: Das letzte Hemd

Handel: Das letzte Hemd - Jetzt haben die Enkel von Ludwig Palmers verkauft

Jetzt haben die Enkel von Ludwig Palmers verkauft

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Der stumme Zeitzeuge hat ausgedient. Alt, abgegriffen, wertlos. Geht es nach den neuen Herren im Haus, so soll der schlichte Schreibtisch im zehnten Stockwerk der Palmers-Zentrale im niederösterreichischen Wiener Neudorf demnächst entsorgt werden. Er steht im Weg. Bis vor dreißig Jahren noch, so will es die Legende, war dieser Tisch so etwas wie die Schaltzentrale der Macht gewesen. An ihm hatte kein anderer als Walter Michael Palmers, Sohn des Firmengründers Ludwig Palmers, jeden Tag Platz genommen. Um an diesem Platz jene Entscheidungen zu treffen, die das Schicksal seines Unternehmens nachhaltig prägen sollten. Nach Walters Tod 1983 waren neue Möbel angeschafft worden. Bloß an dem hölzernen Mahnmal wagten sich seine Erben nicht zu vergreifen.

Den Job erledigen jetzt andere.

90 Jahre nachdem der Wiener Kaufmann Ludwig Palmers mit einem kleinen Gemischtwarenhandel in Innsbruck den Grundstein zu Österreichs größtem Wäschekonzern gelegt hatte, haben die Enkel das Erbe zu Geld gemacht.

Am 13. September 2004 haben die Investmenthäuser Lead Equities (Wien) und Quadriga Capital von den Altaktionären (Frankfurt) sämtliche Aktien der Palmers Textil AG übernommen. Kolportierter Kaufpreis: 70 bis 80 Millionen Euro. Die neuen Eigentümer ließen nichts anbrennen. Noch am Tag der Vertragsunterzeichnung setzten sie den amtierenden Vorständen Joachim Knehs und Walter Wölfler den Schweizer Thomas Weber als neuen Vorstandsvorsitzenden vor die Nase. Der wiederum in seinem ersten Interview eines klarstellte: Für Sentimentalitäten ist in dem Unternehmen mit seinen 468 Standorten, 1800 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von zuletzt 160 Millionen Euro kein Platz mehr. Weber: „Palmers muss wieder spannender werden.“

An Spannungen hatte es in den vergangenen zwei Jahren freilich ohnedies nicht gemangelt. Im Jahresverlauf 2002 war es innerhalb des Managements zu ernsten Auseinandersetzungen gekommen, welche auf die Eigentümer übergriffen und die einst verschworene Industriellenfamilie schließlich in zwei rivalisierende Lager spalteten. Der in der Vorwoche retirierte Palmers-Aufsichtsratschef Paul Tanos: „Der Verkauf war eine logische Folge dieser Unstimmigkeiten.“

Kaum 24 Monate haben ausgereicht, um das über Jahrzehnte verfestigte familiäre Gefüge völlig zu destabilisieren.

Palmers wurde nicht etwa verkauft, weil die Eigentümer gar so dringend Bares benötigt hätten. Die Mitglieder des heute über halb Europa verstreuten Palmers-Clans gelten ausnahmslos als bestens situiert. Das Unternehmen wurde vor allem deshalb verkauft, weil niemand etwas damit anfangen konnte. Oder wollte. Oder beides. Ein enger Freund der Familie: „Sie haben sich nie wirklich für Palmers interessiert, sondern nur für die Dividenden. Solange die gestimmt haben, war die Welt in Ordnung.“

Und das war sie fraglos für eine sehr lange Zeit.
1978 setzte sich Walter Michael Palmers im Alter von 75 Jahren und fünf Jahre vor seinem Tod zur Ruhe. Drei Jahrzehnte zuvor, kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs, hatte er das väterliche Einzelhandelsunternehmen mit seinen damals 45 Filialen zwischen Wien und Innsbruck übernommen. Walters Brüder Theodor, Harry und Hans-Joachim waren für den Handel nicht zu begeistern und gingen getrennte Wege.

Um den kleinwüchsigen Mann mit den wachen Augen ranken sich bis heute Legenden. Er soll noch im hohen Alter jeden Morgen um 7 Uhr an seinem schlichten Schreibtisch gesessen und den früheren Unternehmenssitz in der Lehargasse Nummer 9–11 (der Umzug nach Wiener Neudorf erfolgte 1983) erst spät abends wieder verlassen haben. Lang gediente Palmers-Angestellte erzählen ehrfurchtsvoll, der „Alte“ hätte jeden Mitarbeiter persönlich gekannt. Das Unternehmen, sagt man, sei gleichsam seine zweite Familie gewesen.

Dass Walter Michael Palmers auch jenseits der 70 noch hart zu schuften hatte, verdankte er möglicherweise jener schicksalhaften familiären Konstellation, die ihn einst anstelle seiner Brüder an die Spitze des Unternehmens gebracht hatte. Walters Kinder Christian Michael und Elisabeth sollen schon damals kein gesteigertes Interesse an einem Einstieg ins Geschäft mit Strümpfen und Dessous gezeigt haben. Christian Michael Palmers, kurz CMP, hatte Biologie studiert und 1972 mit der in Fachkreisen viel beachteten Arbeit „Interhemisphäre Suppression bei der Taube“ dissertiert; Tochter Elisabeth heiratete früh und brachte zwischen 1973 und 1975 ihre Töchter Astrid und Birgit zur Welt; auch Walters Neffen, allesamt Söhne seines Bruders Hans-Joachim, schienen in dieser Phase eher keine verlässliche Alternative zu sein. Michael Alexander Palmers, kurz MAP, etwa zog den Lebensstil eines Gunter Sachs dem seines Onkels vor. Bruder Hans Palmers wiederum hatte sich bereits früh altruistischeren Zielen verschrieben. Sein Engagement für Tiere würde ihm später die Obmannschaft des Vereins gegen Tierfabriken einbringen.

Mit anderen Worten: Walter Michael Palmers hatte keinen Nachfolger.

Dann kam jener unheilvolle 9. November 1977. Der greise Unternehmer vor seiner Villa entführt und fast einhundert Stunden in einen engen Holzverschlag gesperrt (siehe Kasten: „Vier Tage Dunkelheit“ auf Seite 49). Walter Palmers kam gegen ein Lösegeld von 31 Millionen Schilling frei, die Entführer wurden gefasst und verurteilt. Von den körperlichen und seelischen Qualen sollte sich der Industrielle allerdings nie wirklich erholen. Wenige Wochen nach dem Drama zog sich der große alte Mann aus allen Funktionen zurück.

Humers Aufstieg. Sein letzter beruflicher Wille brachte schließlich jenen Mann an die Spitze des Konzerns, der die jüngere Palmers-Geschichte nachhaltig prägen sollte: Rudolf Humer, Sohn von Palmers’ Finanzchef und langjährigem Weggefährten Friedrich Humer. Der junge Humer, damals 34, hatte zu diesem Zeitpunkt bereits mehrere Jahre im Palmers-Rechnungswesen gearbeitet und galt als enger Freund der Familie. Mehr noch: Er soll in den Verhandlungen mit den Entführern 1977 eine tragende Rolle gespielt haben. Angeblich hatte ausgerechnet Humer jene Manöver ausgeheckt, die Polizei und Medien lange genug täuschten, um die unblutige Freilassung des Patriarchen zu erwirken. Ein Freund: „Sein kühler Kopf und der Erfolg der Aktion haben ihm damals das uneingeschränkte Vertrauen der Familie eingetragen. Man könnte sogar sagen, sie waren ihm ergeben.“

Es lässt sich heute nicht sagen, was aus dem Unternehmen Palmers geworden wäre, hätten die Erben ein wenig mehr merkantiles Talent gezeigt – oder andersrum etwas weniger Vertrauen in Rudolf Humer gehabt.

Tatsache ist, dass der groß gewachsene Mann, obschon kein Familienmitglied, den Konzern in den darauf folgenden 25 Jahren nahezu unbehelligt führen konnte.

Tatsache ist, dass Humer aus einem großen Wäschehandel eine sehr große Textil- und Immobiliengruppe formte und die Aktionäre – im Laufe der Jahre fielen ihm selbst elf Prozent zu – jahrelang mit Dividenden verwöhnte. Tatsache ist aber auch, dass es Humers einsame Entscheidungen waren, die letztlich sowohl den Clan als auch den Konzern spalten sollten.

Freunde des Hauses berichten, die Mitglieder der Familie hätten sich nach Walter Palmers Ableben 1983 selten bis gar nicht mehr am Stammsitz Wiener Neudorf blicken lassen. In der hermetisch abgeriegelten zehnten Etage des verglasten Kubus – der Zutritt ist bis heute einer handverlesenen Anzahl von Personen vorbehalten – hatten sich zwar neben Humer auch Christian Michael Palmers und seine Cousins Michael Alexander und Hans eigene Büros eingerichtet. Wirklich genutzt haben sie diese allerdings kaum. Es geht das Ondit, der hochflorige grüne Teppich, der das gesamte Stockwerk seit Jahren durchzieht, sei in den Räumlichkeiten der Herren Palmers „wie neu“.

Einzig Walters Palmers Witwe Gunilla soll in den ersten Jahren nach dem Tod des Patriarchen regelmäßig nach dem Rechten gesehen haben. Ihre Besuche dürften allerdings vorwiegend dem mit der Koordination unerlässlicher gesellschaftlicher Verpflichtungen mitbefassten Vorstandssekretariat gegolten haben.

Sehr wohl waren die Mitglieder der Familie zu jedem Zeitpunkt in den Gremien der einzelnen Konzerngesellschaften vertreten. Graue Haare dürften ihnen auch darob nicht gewachsen sein. Ein ehemaliger Manager: „Ich habe die Sitzungen in angenehmer Erinnerung. Die hatten meistens den Charakter eines Kaffeekränzchens.“ So gesehen, müssen die Aktionärsversammlungen der Palmers-Gruppe veritable Häkelrunden gewesen sein. Dem Vernehmen nach ist in den Hauptversammlungsprotokollen früherer Jahre keine einzige nennenswerte Bemerkung eines Palmers-Familienmitglieds vermerkt.

Wozu auch.
Humer war als Manager der Gruppe höchst erfolgreich. Und die Damen und Herren Palmers hatten ohnehin alle Hände voll damit zu tun, ihre Tage standesgemäß zu organisieren.

Die liebe Familie. Christian Michael Palmers, heute 62, ist seit Jahren einer der eifrigsten Go-Spieler des Landes – bei dem japanischen Brettspiel geht es, vereinfacht gesagt, darum, den Gegner mit den eigenen Steinen zu umzingeln. Mitte der neunziger Jahre wollte sich CMP vorübergehend als Betreiber eines „Go & Sushi“-Lokals in der Wiener Innenstadt versuchen. Mit höchst überschaubarem Erfolg.

Auch Cousin Michael Alexander wagte sich in den achtziger Jahren an das Abenteuer Wirtschaft: Sein Textilhandelsprojekt „MAP“ scheiterte allerdings bereits nach kurzer Zeit. Michael Alexander Palmers ist heute 68 und soll bei einer gewissen Sportwagenmarke aus Zuffenhausen ein echter Auskenner sein.

Seinem Bruder Hans Palmers, 56, wiederum nahm als Langzeit-Obmann des „Vereins gegen Tierfabriken“ und Vizepräsident des Schweizer Pendants mehr Anteil am Schicksal gequälter Nerze als an der Verarbeitung von Textilfasern zu halterlosen Strümpfen.

Natürlich hätten Walter Palmers Erben, rückblickend betrachtet, vieles früher infrage stellen sollen und müssen. Rudolf Humer hatte das Unternehmen nach 1995 in eine atemberaubende Expansion gehetzt, die Umsatz und Mitarbeiterzahl zwar beinahe verdoppelte – die Gewinne aber nicht. Vor allem die Übernahme der chronisch defizitären Gerngross-Gruppe 1996 sollte die bis dahin solide Basis der Gruppe erheblich ausdünnen. Zudem konnte oder wollte Humer der wachsenden Größe des Konzerns nicht durch entsprechende Personalmaßnahmen Rechnung tragen. Bis zu seinem Ausscheiden hatte er in allen wesentlichen Gesellschaften entweder Vorstandsfunktionen oder zumindest Aufsichtsratsmandate innegehabt. „Letzten Endes“, so ein ehemaliger Kollege, „liefen alle Entscheidungen über ihn. Und ich meine alle.“

Zeugen berichten, dass die Berge an unerledigten Akten auf Humers Schreibtisch zuletzt bedrohliche Ausmaße angenommen hätten. Hinzu kamen schließlich handfeste Wickel in den eigenen Reihen. Bereits Ende der neunziger Jahre hatte Humer zwei Frauen in den Vorstand der Konzernholding „P“ Beteiligungs AG gehievt, die ihm in unterschiedlichen Funktionen über Jahre verbunden gewesen waren: die Finanzexpertin Monika Freiberger und die Juristin Astrid Gilhofer. Beide etwa gleich alt, höchst ambitioniert und einander nicht grün. Hinter vorgehaltener Hand wird bei Palmers bis heute über den „Zickenkrieg“ gespöttelt. Freiberger und Gilhofer haben den Konzern im Vorjahr verlassen. Sie wollen darüber nicht sprechen. Bis heute halten sich hartnäckig Gerüchte, eine der beiden habe nach 2002 begonnen, ausgerechnet den arglosen Christian Michael Palmers gezielt mit brandheißen Informationen aus dem Unternehmen zu versorgen. Das angebliche Ziel: die Konkurrentin und mit ihr Rudolf Humer aus dem Unternehmen zu bugsieren. Der Zeitpunkt schien jedenfalls günstig. Palmers war im Gefolge der kostspieligen Expansion erstmals überhaupt tief in die roten Zahlen gerutscht – will heißen: keine Dividende für die Eigentümer.

Späte Neugier. Mit einem Mal begann sich die Familie für die Gebarung der Palmers-Gruppe zu interessieren. Wenngleich mit höchst unterschiedlichen Interessenlagen. Während Christian Michael Palmers das Wirken von Rudolf Humer immer kritischer beäugte, schlugen sich die Cousins Michael Alexander und Hans auf Humers Seite. Aus der Zerreißprobe gingen in letzter Konsequenz alle als Verlierer hervor. 2003 mussten sowohl Humer als auch Gilhofer und Freiberger das Haus verlassen, der ehemalige Wienerberger-Manager Paul Tanos wurde mit der Sanierung des Konzerns beauftragt. „Das jahrelange Vertrauen“, beschreibt er die Atmosphäre, „ist irgendwann in Misstrauen gekippt.“

Humers Abgang freilich brachte die Palmers-Gruppe wieder in eine ähnliche Situation, in der sich der Konzern schon 1978 befunden hatte. Niemand aus der Familie sah sich imstande, die Geschäfte, zumal nicht eben florierend, eigenverantwortlich zu führen.

So gesehen, war der nun erfolgte Verkauf nicht mehr als die zwingende Folge des innerfamiliären Unvermögens. Oder Desinteresses. Oder eben beidem.

Ganz bereinigt sind die Troubles auch mit dem Rückzug aus dem Textilgeschäft nicht. Der Familie Palmers und Rudolf Humer selbst bleibt neben einer rund 40-prozentigen Beteiligung am börsenotierten Strumpfhersteller Wolford vor allem ein auf 220 Millionen Euro taxierter Liegenschafts- und Immobilienbesitz – darunter die Konzernzentrale in Wiener Neudorf, der ehemalige Firmensitz in der Wiener Lehargasse sowie die Kaufhaus-Gruppe Gerngross. Und die hat schon länger keine Dividenden mehr ausgeschüttet.