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Helmut A. Gansterer Seitenblicke und „Krone“

Seitenblicke und „Krone“

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„Fernsehen ist Kaugummi für die Augen“ Orson Welles

„Die heutige Presse hat nichts so nötig wie einen Geistesblitz­ableiter“
Ephraim Kishon

Meine klugen Leserinnen und schönen Leser können es nicht wissen, aber „Seitenblicke“, „Chili“, „Life“, „Leute“ etc. sind TV-Formate des deutschsprachigen Kulturraums. Ich lerne betrübt aus tausend Gesprächen, dass sie von ­keinem Menschen gesehen werden, so wie die „Kronen Zeitung“ von keinem gelesen wird.

Die hohen Einschaltquoten der einen und die Drei-Millionen-Reichweite jener anderen wirken daher auf den ersten Blick merkwürdig. Ein Schwindel in der Erhebung der Zahlen und deren Darstellung ist auszuschließen. In der Medienwelt wurde noch nie statistisch gelogen. Die Erklärung liegt darin, dass im Sinne von Stefan Zweigs „Sternstunden der Menschheit“ ein Einzelner oft alle anderen aufwiegt. Dieser Einzelne ist im vorliegenden Fall in meiner Person zu suchen. Ich wurde als Durchschnittsösterreicher erkannt, gehirnverdrahtet und zum gläsernen Menschen gemacht. Ich bin die so genannte Stichprobe, deren Seh- & Lesegewohnheiten auf die Gesamtheit hochgerechnet werden. Das ist ein preiswertes Verfahren und insofern vernünftig, als ich im Falle beider Medien in tätiger Hilfe unterwegs, also sachverständig bin.

Am Beispiel der „Kronen Zeitung“: Ich habe sie dreifach segensreich gestützt. Als ich einst begriff, dass ich der einzige „Krone“-Leser bin, habe ich aus Barmherzigkeit geholfen, das Blatt ein wenig ins Licht zu rücken. Ich wich einem euphemistisch so genannten „Journalistenkrieg“ mit Dichand-Vater selig (und seinem damals noch bellenden Kolumnisten Nimmerrichter) nicht aus. Das rief Günter Traxler auf den Plan, den einzigen zweiten „Krone“-Leser, der für seine preisgekrönte „Standard“-Kolumne „Blattsalat“ alle Zeitungen lesen darf, ohne beschimpft zu werden. Er nahm als Robin Hood die Partei des Zwerges gegen die Riesen ein, was viele linksliberale Intellektuelle bewog, zum ersten Mal in ihrem Leben das Kleinformat in die Hand zu nehmen. Hunderte riefen mich an, versicherten mich ihrer Treue und erzählten, was ihnen an der „Krone“, die sie nicht lasen, schon immer missfallen hatte.

Meine zweite Aktion pro „Krone“: Nach dem Prinzip „Nur wer gerecht lobt, darf auch grob kritisieren“ lobte ich die „Krone“ als große Plattform (damals also: für Traxler und mich) meines verwichenen Freundes DDr. Günther Nenning. Die teils entlegene Thematik und Sichtweise Günthers fand profil-Chefredakteur Herbert Lackner „zuweilen besorgniserregend“ (womit wir einen dritten „Krone“-Leser namentlich kennen). Ich führte dann gern Nennings Serie „Krone der Dichtung“ in der Sonntags-„Krone“ an, die mehr versunkene, österreichische Literaturschätze hob als die Magazine ­profil, „Falter“, „Wespennest“ und „Kolik“ miteinander.

Die dritte Aktion, mit der ich bis heute die „Krone“ unterstütze, spielt in meinen Büros, also den Bars und Kaffeehäusern. Wenn ich, beispielsweise im Rauchersalon des „Café Tirolerhof“, bei der Lektüre des telemax anmutig lächle oder peinlich entzückt aufschreie, eilen unverzüglich fünf andere Gäste zum Zeitungsständer. Das erinnert an Touristen, die immer das fotografieren, was ihr kreativster Begleiter im Sucher hat. Dort spricht man von Bildraub. In meinem Fall liegt telemax-Raub vor. Gleichviel: In diesen Momenten, korrekt hochgerechnet, liegt die Reichweite der „Krone“ bei zirka 15 Millionen Lesern unter acht Millionen Einwohnern.

Nun zu den TV-Society-Formaten, mit denen mich eine geräumige Tradition verbindet. Viele hundert Male habe ich dort meinen Kren gerieben, aus einem von drei Gründen. Entweder war ich nicht zu umgehen, weil ich den „Seitenblicke“-Event mit einer Laudatio begleitete, in frommen Jubiläen, Vernissagen und Buchpremieren. Oder ich war grad in der „richtigen“ Premiere in Burg, Oper und Kabarett. Oder ich wurde extra für ein Statement eingeladen, was eine Erklärung verlangt. Die TV-Kollegen waren früher extrem entspannt, schufen aber mit heimlichem Ehrgeiz Meisterwerke. Wenn ihnen ein gewisser „Sound“ zur Vollendung fehlte, riefen sie einfach an: „Ich brauche deinen pfiffigen Satz.“ Sie vertrauten auf Kollegenhilfe. „Quasi Gewürz“ würde Wolf Haas’ Krimi-Held Brenner sagen.

Das geht heute nicht mehr. Die correctness ist jetzt immer und überall. Außerdem findet man mich eh auf dem Gehsteig vor dem Society-Event-Lokal. Erstens gehe ich als Streuner abends dorthin, wo sich der Himmel rot färbt. Zweitens habe ich mit dem zehnten Sturz von meinen Harley-KTM-Ducatis den Geschmacksinn für Speisen und Getränke eingebüßt. Wie eine Hyäne wittere ich nun entzückt die elenden kalten Buffets und die letzten, schlechten Weine, die zu finden nicht leicht sein kann. Dies als Tipp der Woche für die TV-Kollegen. Einfach pfeifen, schon stehe ich da, mit wedelndem Schwanz, den Mund zur Wortspende gespitzt.

Meine Erfahrung reicht heute aus, Botox und, sagen wir, Stimmungsaufheller in einer so genannten und oft mit Recht so genannten High Society nach Kilo und Gramm abzu­schätzen. Doch gibt es auch good news. Ich wittere unter der Oberfläche der Oberflächlichen eine frische Quelle, durch den Zufluss jüngerer Kräfte, denen alles Blöde einfach zu blöd wird, und zu alt. Ein schlechter Zyklus sättigt sich, ein guter Zyklus hebt an. Welche Indizien dafür ­sprechen, erzähle ich in vierzehn Tagen – same time, same station, be good, howdy.

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