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Helmut A. Gansterer Zen und Zennerin

Zen und Zennerin

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„ES zeichnet sich“ / „ES malt sich“ / „ES trifft“ / „ES schreibt sich“

Ich opfere meine klugen Leserinnen und schönen Leser ­einem Experiment. Ich springe in eine Kolumne, von der ich nichts weiß. Sie hat kein Thema. Oder besser: Sie hat schon eines, nämlich die buddhistische Art ihres Werdens. Ich fürchte, man wird dies näher erklären müssen. Etwa so: Ich sitze auf einer Hausmeisterinsel namens Gran Canaria, die zwei Vorteile und einen Nachteil hat. Vorteil 1: Sie fördert die körperliche Gesundheit, weil sie das HNO-System und die Lunge putzt. Auch die Leber, die mit ihren Aufgaben wuchs, findet wieder zur idealen Größe. Vorteil 2: Sie fördert die geistige Gesundheit, weil du keinem Wiener ­Intellektuellen begegnest. Der Nachteil: Auf dieser Insel fällt dir nichts ein, schon gar nicht in Playa del Inglés und Maspalomas. Wenn du diese Strandorte betrittst, gibst du das Gehirn an der Garderobe ab. Das ist zwar auch ein Vorteil, weil du die Touristen anders gar nicht ertragen könntest, aber ein Nachteil, wenn du eine profil-Kolumne schreiben musst und dein Moleskine-Notizbuch daheim vergessen hast, in dem die Ideen schlummern.

Die einzige Hilfe verhieß ein Notizzettel, den ich vor Jahren in meiner alten Strand-Bermuda vergessen hatte. Auf diesem standen vier Sätze – siehe die Einstiegs-Zitate. Sie stammen, wie unschwer zu erraten ist, aus meiner zen-buddhistischen Epoche. Das war einst ein kurzer, aber reißender Fluss, dem ich nur mit Mühe ans Ufer entrann. Andernfalls wäre ich als profil-Autor längst gekündigt und beim „trend“ exkommuniziert. Obwohl es lange her ist, kenne ich noch alle vier Bücher, aus denen ich diese Sätze abschrieb, allerdings nur noch ­einen der Autoren. Die Bücher waren „Zen und die Kunst des ­Sehens“ (von einem amerikanisch-niederländischen Zen-Meister), „Zen in der Kunst des Malens“ (asiatischer Zen-Meister), „Zen und die Kunst des Bogenschießens“ (deutscher Zen-Meister) und Martin Walsers „Tagebücher“ (Untertitel: ­„Leben und Schreiben“).

Es mag sinnvoll sein, meine Erfahrungen mit diesen Büchern zu schildern. Vielleicht ist es glücklicher Zufall, dass ich den Zettel gerade jetzt fand. In Zeiten der Krisenängste wächst erfahrungsgemäß der Hunger nach spirituellem Futter. Die Einwände der Naturwissenschafter gegen alles Unbeweisbare waren immer eindimensional, hoffärtig und unsympathisch. Wahrscheinlich haben sie stets das Gegenteil bewirkt. Sie trieben die esoterisch Anfälligen noch tiefer ins Kernholz des Unterschwelligen und Übersinnlichen. Sofern sie dort Trost fanden, wurden sie stärker. Die psychosomatischen Effekte waren günstig.

Als Helmut Zilk und ich einander noch gut waren, gelang ihm ein Statement, das für einen Ex-Unterrichtsminister verblüffend war. Aus der Erinnerung zitiert: „Mir ist wurscht, was die Leute lesen und denken, solange sie wenigstens noch lesen und denken. Alles Weitere pendelt sich mit wachsender Lebenserfahrung zum Klügeren aus.“ Ich bin ihm dafür heute noch dankbar. Vor drei Tagen sah ich die Buchregale im Duty-free des Flughafens Schwechat zur Hälfte mit Paulo Coelho belegt. Dank Zilk bin ich befähigt, dazu weise zu schweigen. Abgesehen davon hat Coelho mit Zen nichts zu tun. Seine Zuckerwatte verhält sich zu Zen wie ein Blumenbeet voll Nonnen zu einem nordkoreanischen Trainingslager.

Sind sie zu stark, bist du zu schwach“, heißt es in der Werbung für Fisherman’s Friend. Zen war meine schärfste Theorie-Liebe. In der Praxis war ich zu schwach dafür. „Zen und die Kunst des Sehens“ verlangte beispielsweise, nur die Schatten einer Szene wahrzunehmen. Mir wurde gleich schwarz vor den Augen. „Zen in der Kunst des Malens“ verlangte meditatives Eindringen in das innerste Wesen des Bambus, der Pflaumenblüte, der wilden Orchidee und der Chrysantheme, um sie dann mit einem einzigen wissenden Pinselwirbel schwarz-grau-wasserweiß und feucht-trocken darzustellen. Ich drang ein wie kein Zweiter. Mein Strich wäre sicherer gewesen als jener des Weltmeisters Markus Prachensky. Leider kriegte ich den Pinsel nicht mehr hoch.

Fürs Bogenschießen kaufte ich um den Preis einer gebrauchten Ducati die Sportwaffe der Olympioniken. Nichts sollte den Pfeil hindern, trotz der geschlossenen Augen des Zen-Meisters ins Goldene zu treffen. Mein Kater namens Kreisky („Kusch, Kreisky“ war eine unwiderstehliche Alliteration) humpelte fortan bis an sein selig’ Ende. Martin Walsers „ES schreibt sich“ war reines Zen, besonders schön formuliert. Es bedeutet: In guten Schreibwerken überholt der Inhalt den Autor und führt ihn dann. Man darf sich nur nicht wehren.

Am Ende der Kolumne müssen wir fragen: Was haben wir von ihr gehabt? Was nehmen wir mit? Ich würde sagen: Zuversicht. Und vielleicht den Vorsatz, mit Zen vertrauter zu werden. Auch wenn man kein Meister darin wird, gewinnt man Gelassenheit in kritischen Situationen. Wenn rundherum kein Ausweg mehr sichtbar ist: Der Ausweg ins Innere steht immer frei. Im ärgsten Getöse kann man untertauchen in die Luftschutzkeller des eigenen Ich. Nur dort ist Stille zu finden. Man kann dort, wie uralte Zen-Mönche sagen würden, die Festplatte reinigen oder neu formatieren, die Arbeitsspeicher aufrüsten, die Prioritäten-Software umschreiben. Um dann mit neu gebündelten Kräften wieder an die Oberfläche des Alltags zu schweben und allen Feinden in den Arsch zu treten.

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