Hot Pants und Ukulele

Pop. Tonträger-Monopolist EMI präsentiert neue Stars als letztes Aufgebot eines auslaufenden Geschäftsmodells

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Von Robert Rotifer

„Da hätte ich gleich in Paris bleiben und mir das Ganze auf Video ansehen können“, klagt eine junge Frau, als sie auf den Bildschirm blickt, über den das Bühnengeschehen der geschlossenen Veranstaltung gleich übertragen werden soll.

„Na komm“
, entgegnet ihre Gesprächspartnerin. „Warst du schon einmal hier? Das ist doch das Mekka!“ Das Mekka ist der geheiligte Boden des Studio 2 der Abbey Road, jener Aufnahmeraum, in dem die Beatles einst den Großteil ihrer musikalischen Großtaten auf Band verewigten.

Doch an diesem Abend dient der historische Raum einzig als Bar für Menschen mit silbernen Bändchen ums Handgelenk. Einige hundert aus der ganzen Welt angereiste Journalisten sowie zig Mitarbeiter der EMI, neben Warner, Sony und Universal eines der großen noch existenten Major Labels, erwarten den großen Moment.

Regeneration.
Anfang des Jahres hatte es noch so ausgesehen, als würde es zu diesem Zeitpunkt nur mehr drei Tonträger-Multis geben. Vor drei Wochen jedoch, erzählt ein erleichterter Mitarbeiter der Londoner Zentrale an der Bar, sei schließlich die Meldung gekommen, dass die Finanzierung der EMI für ein weiteres Jahr ­gesichert ist. 365 Tage Existenzsicherheit, das klingt in der Welt der morbiden Musikindustrie fast schon wie eine Ewigkeit. Zum freudigen Anlass des eigenen Überlebens zog man nun alle Register und feierte sich vergangenen Donnerstag selbst – mit einem Showcase von sieben neuen Acts in der Abbey Road. Beharrliche Gerüchte über den Verkauf des Londoner Paradestudios hatten vor Monaten noch Kauf­angebote von Andrew Lloyd ­Webber bis zum National Trust provoziert; die EMI stellte jedoch klar, dass man lediglich nach Partnern für eine „Regenera­tion“ der Abbey Road suche, bei der „die Öffentlichkeit“ eine große Rolle spielen solle. Wie die Red-Bull-Bar an einem Ende des gewaltigen Studiosaals nahelegt, scheint die Suche Früchte getragen zu haben.

Dann hebt sich einer der schwarzen Vorhänge, und der älteste Act des Abends, das Hip-Hop-Kollektiv Roll Deep, leitet das Programm ein. Die Aufforderung eines der Rapper, die Hände in die Luft zu heben, scheitert an der Journalistendichte im Publikum. „Ich will, dass alle von euch dieses Album im Auto haben“, ruft der Mann. „Und im Schlafzimmer.“ Er lässt den Blick durchs Auditorium kreisen. „Und im Büro“, resigniert er schließlich. Es folgt Eliza Doolittle, eine junge Londonerin in Hot Pants mit einer höchst adretten, aus Ukulele, Kontrabass und Schlagzeug bestehenden Band in karierten Rundkragenhemden und Chinos. Ihr kompakt arrangierter Sound erinnert einerseits an Kate Nash, andererseits an Lily Allen sowie an koketten, älteren Sixties-Soul.

Überhaupt scheint Kompaktheit in ökonomisch knapper Zeit oberstes Gebot zu sein: Das Duo Chiddy Bang aus Philadelphia kommt mit Schlagzeug, Backing Tracks aus der Dose und einem Mikro für den MC aus. Die hörbar der Carol-King-Schule entstammende US-Singer-Songwriterin Diane Birch pflückt lockere Septakkorde aus ihrem E-Piano, während ihr vielbeschäftigter Gitarrist und Beat-Lieferant das Loop-Pedal steuert, mit dessen Hilfe die Sängerin ihre „Uhuuhs“ zu mehrstimmigen Background-Chören auffächert. Die in Form akustischer Gitarrenduos vorgetragenen, larmoyanten Lebensweisheiten des Justin Nozuka wiederum erinnern an die frühen Neunziger. Der neue Jeff Buckley ist er jedoch nicht.

Der Abend schließt mit zwei authentischen Vertretern des zeitgemäßen Sounds englischer Sozialbausiedlungen. Zuerst ist der aus dem Stall von Mike „The Streets“ Skinner abgeworbene Rapper Professor Green am Start, der mit ausladenden Samples aus „Need You Tonight“ von INXS einen Hit erzwungen hat. Den Schlusspunkt setzt der derzeit die Urban Music Charts anführende, mit seiner Kombination aus purem Kaugummi-Pop und rüden Grime-Sounds bestechende Rapper Tinie Tempah.

Sinkendes Schiff. Alle Acts firmieren unter den von EMI mittlerweile nur mehr als bloße Markennamen geführten Sub-Labels Virgin und Parlophone. Von jenen Rockbands, die letzteres, ganz dem Beatles-Ruhm verpflichtetes Label aufzubauen pflegten, ist nichts mehr zu sehen. Thom Yorke von Radiohead, die sich nach sechs zunehmend experimentellen Alben bei Parlophone selbst in die Unabhängigkeit entließen, meinte jüngst, es werde eher Monate als Jahre dauern, ehe das alte Musik-Establishment völlig zusammenbreche. Jungen Künstlern riet er deshalb: „Fesselt euch nicht an dieses sinkende Schiff.“

Sind die Jungtalente, die sich für die EMI-Leistungsschau hergeben und sich in Bühnenansagen zugleich artig bedanken („EMI, Virgin, ihr habt mir so viel Liebe gezeigt“), also in Wahrheit nur das letzte Aufgebot eines sterbenden Geschäftsmodells?

Selbst wenn hier nominell ein Plattenlabel operiert, stammen die meisten Worte, die an diesem Abend in der Abbey Road fallen, eher aus der Werbe- denn aus der Musikbranche. Oft zu vernehmen ist das Wörtchen „Sync“, als Kürzel für das konzertierte Zusammenspiel von Aufbau eines Künstlers und Einsatz von dessen Musik in Fernsehwerbungen und Filmsoundtracks. „Testimonial“, die Verbindung von Künstler­identität mit Markenprodukt, schwirrt ebenfalls durch die Luft.

Sex und Wetter.
Thom Yorke hat Recht, aber auf eine andere Weise, als er glaubt. Die Musikindustrie herkömmlicher Prägung ist bereits tot, ersetzt durch eine die traditionsreichen Namen fortführende, auf musikalische Mittel spezialisierte Service-Industrie innerhalb der Marketingbranche.

Das wird spätestens offensichtlich, als ein Mitglied von Chiddy Bang das Publikum nach Themen fragt, zu denen er freestylen, also einen Rap improvisieren soll. „Sex!“, ruft jemand. „Abbey Road!“ „Das Wetter!“
„Und was noch?“, fragt der MC. „Red Bull!“