„Ich bin jetzt Staats- feind Nummer Eins“

„Ich bin jetzt Staatsfeind Nummer 1“

Interview: Rakhat Aliyev vor seiner Verhaftung

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profil: Herr Aliyev, als wir vor ein paar Tagen miteinander gesprochen haben, waren Sie Botschafter von Kasachstan in Österreich – jetzt werden sie per internationalen Haftbefehl als angeblicher Mafia-Boss gesucht. Was ist passiert?
Aliyev: Mein einziges Verbrechen ist, dass ich eine Meinung geäußert habe, die ein wenig von der Meinung des Präsidenten abweicht. Ich habe durchblicken lassen, dass ich selbst als Staatschef kandidieren möchte und dass ich Reformen befürworte. Deshalb wird an mir jetzt ein Exempel statuiert.
profil: Ihnen werden aber andere, schwere Vorwürfe gemacht: unter anderem Entführung und Erpressung.
Aliyev: All diese Anschuldigungen sind erfunden. So geht Präsident Nasarbajew eben gegen mögliche Konkurrenten und Oppositionspolitiker vor, wenn sie nur daran denken, ihn herauszufordern. Das Exempel ist auch eine Warnung an alle anderen erfolgreichen Geschäftsleute in meiner Heimat. Die Botschaft lautet: Wendet euch nicht gegen den Präsidenten, sonst verliert ihr alles.
profil: Sie sind Hauptaktionär einer Bank und Besitzer von TV- und Radiosendern, Zeitungen, Internetdiensten, Werbeunternehmen …
Aliyev: Ich bin es nicht, ich war es. In Kasachstan habe ich bereits meinen gesamten Besitz verloren. Außerdem wurden der Chef meines Fernsehsenders und sein Stellvertreter verhaftet und sind seither verschwunden.
profil: Und all das bloß wegen Ihrer politischen Ambitionen?
Aliyev: Es gibt klarerweise noch andere Hintergründe. Der Präsident hat mich immer wieder aufgefordert, meine Medienbeteiligungen an Günstlinge aus seiner Umgebung zu übertragen. „Das ist mein Land“, sagte er zu mir. „Jeder hier macht, was ich will, nur du gehorchst mir nicht.“ Nasarbajew will alle Massenmedien unter seine Kontrolle bringen. Bevor der Haftbefehl gegen mich ausgestellt wurde, waren sein Privatsekretär und ein Staatssekretär in Wien. Ihr Angebot war klar: Du überschreibst uns deine Medienbeteiligungen, wir legen den Fall ad acta.
profil: Haben Sie es getan?
Aliyev: Nein. Nicht zuletzt, weil sie mir vorgeschlagen haben, meine Leibwächter als Sündenböcke für die angebliche Entführung des Bankiers zu präsentieren. Und ich verrate meine Freunde nicht. Ich halte mein Wort, und deshalb werde ich hoch geschätzt. Meine Sicherheitsleute haben sich umgekehrt entschieden, an meiner Seite zu bleiben – egal, was passiert.
profil: Glauben Sie noch an eine Lösung für Ihren Konflikt mit Präsident Nasarbajew?
Aliyev: Ich will eine finden. Die ganze Sache ist politisch und wirtschaftlich ein echtes Problem. Wir bieten derzeit ja ein Bild, das alle Klischees aus dem Film „Borat“ bestätigt. Aber mittlerweile geht es für mich persönlich nur in zweiter Linie um Politik und Geschäft. In erster Linie ist die Situation privat schwierig: Sie wollen meine Familie zerstören. Meine Frau, meine siebenjährige Tochter und mein 22-jähriger Sohn samt seiner jungen Familie sind in Kasachstan – als Geiseln, wenn man so will. Mein 16-jähriger Sohn und ich sind in Wien. Ich muss befürchten, dass wir nie mehr zusammen sein können. Auch auf meine Eltern wurde Druck ausgeübt, bei meinem Vater fand eine Hausdurchsuchung statt, um ihn einzuschüchtern, weil auch er die politische Linie des Präsidenten in Zweifel zu ziehen gewagt hat. Nasarbajew führt sein Land und den Geheimdienst ganz im Stil der alten Sowjetunion.
profil: Sie waren doch selbst Vizechef dieses Geheimdienstes.
Aliyev: Ja, aber ich habe wie ein Manager agiert und versucht, das System zu ändern und kontrollierbar zu machen. Es gibt Seilschaften im Geheimdienst, die mich bis heute dafür hassen. Jetzt werden sie aktiv. Aus ganz Europa sind kasachische Agenten nach Wien eingeflogen, sie haben hier hinter dem Rücken der österreichischen Behörden Ermittlungen durchgeführt. Und sie haben sogar versucht, mich zu kidnappen und mit einem Charter-Jet nach Kasachstan zu bringen. Ich danke den österreichischen Behörden, dass sie mir jetzt Schutz gewähren. Ich weiß nicht, was sonst passiert wäre. Ich bin jetzt Staatsfeind Nummer eins. Und das will ich nicht sein.
profil: Fürchten Sie um Ihr Leben?
Aliyev: Sicherlich. Der Präsident wurde 2005 mit unglaublichen 91 Prozent wiedergewählt. Vor Kurzem wurde in Washington die Freigabe von über 100 Millionen Dollar, die auf Schweizer Konten eingefroren waren, ausverhandelt. Und weil alle Beschränkungen für weitere Kandidaturen zum Präsidenten gefallen sind, ist Nasarbajew de facto Staatschef auf Lebenszeit. Seither glaubt er, dass er tun kann, was immer er will – es ist wie im Film „Titanic“, wo Leonardo di Caprio am Bug steht und ruft: „Ich bin der König der Welt.“
profil: … und Sie haben im vergangenen Herbst die Idee präsentiert, das Land in eine Monarchie umzuwandeln.
Aliyev: Moment! Das war reine Ironie. Ich hatte zuvor eine Auseinandersetzung mit dem Präsidenten. Es ging darum, dass er immer mehr herrschen wollte wie ein Monarch – was er als Präsident auf Lebenszeit jetzt ja auch tut. Ich habe ihn beschworen, sich zu besinnen. Die Welt wird das nicht akzeptieren, habe ich ihm gesagt. Wir müssen europäische Standards entwickeln. Es hat nichts genutzt, und deshalb wollte ich eine öffentliche Debatte darüber anstoßen. Ich wollte, dass die Menschen erfahren, was er vorhat, ohne ihn direkt anzugreifen. Es gibt ein asiatisches Sprichwort, das lautet: Wenn du willst, dass etwas nicht passiert, dann sag, dass es bereits geschehen ist.
profil: Bei unserem Gespräch vor ein paar Tagen haben Sie noch vehement bestritten, dass es Machtkämpfe rund um den Präsidenten gebe. Was sagen Sie jetzt dazu?
Aliyev: Nach meinem Verständnis gibt es keine echten Machtkämpfe. Nasarbajew ist von Leuten umgeben, die seit 20 Jahren wissen, was er hören will. Und das sagen sie ihm.
profil: Ist der Bruch mit ihrem Schwiegervater endgültig?
Aliyev: Ich bin nicht direkt gegen ihn. Nach dem Ende der Sowjetunion war es wichtig, einen starken Staatschef zu haben. Ich verstehe, dass das Land Stabilität braucht, und ich will keine orange- oder andersfarbigen Revolutionen. Aber jetzt ist es Zeit, die Macht zu teilen, das Parlament zu stärken und eine Gewaltentrennung einzuführen. Es ist dringend notwendig, dass die Judikative, die Legislative und die Exekutive nicht länger in nur einer Hand liegen und die Gerichte endlich unabhängig werden. Es sollte eine jüngere, offene Generation an die Macht. Sonst sitzen die alle im Gefängnis oder im Ausland. Präsident Nasarbajew will, dass alles gleich ist. Er ist wie ein Gärtner, der als Werkzeug nur den Rasenmäher kennt und jeden Grashalm auf gleiche Länge stutzt.
profil: Sie waren fast zwei Jahrzehnte lang Teil seines Systems. Betrachten Sie sich inzwischen selbst als Oppositionellen?
Aliyev: Sagen wir so: Ich verstehe, was es heißen kann, in Kasachstan einer zu sein. Aber ich kann nicht sagen, dass ich ein Oppositionsführer bin – die radikale Opposition bei uns denkt falsch, sie arbeitet gegen das Land und für ihren eigenen Vorteil. Wir sollten Kasachstan unterstützen, nicht schädigen.
profil: Können Sie eigentlich guten Gewissens sagen, dass Ihre Hände im Laufe der vergangenen Jahre sauber geblieben sind?
Aliyev: Ich habe Medizin studiert und als Chirurg praktiziert. Da lernt man, seine Hände sauber zu halten. Ich weiß, was persönliche und moralische Sauberkeit bedeutet. Und insofern habe ich auch ein reines Gewissen.
profil: Wie wollen Sie jetzt weiter vorgehen? Bei der Staatsanwaltschaft Wien ist inzwischen ein Auslieferungsantrag eingetroffen. Werden Sie um politisches Asyl in Österreich ansuchen?
Aliyev: Vorerst nicht – das wäre eine, aber nicht die beste Möglichkeit. Österreich hat mir erst vergangenes Jahr das Silberne Ehrenzeichen für meine Verdienste um das Land verliehen: Ich habe viel für die bilateralen Beziehungen getan. Ich habe unter anderem ein Doppelbesteuerungsabkommen und eine wirtschaftliche Kooperationsvereinbarung ausgehandelt und mich zuletzt um ein gegenseitiges Investitionsschutzabkommen bemüht. Und ich war hier auch als Geschäftsmann erfolgreich, ich bin an mehreren erfolgreichen Unternehmen beteiligt. Mein Wunsch wäre daher die österreichische Staatsbürgerschaft, da ich sehr gerne in diesem schönen Land bleiben möchte, dem ich mich sehr verbunden fühle.
profil: Sie glauben tatsächlich, dass Sie eingebürgert werden?
Aliyev: Es wäre eine von vielen Möglichkeiten. Ich wünsche mir, dass ich und mein Sohn in Österreich bleiben können. Ich habe nicht vor zu fliehen. Ich liebe Österreich, ich zahle viel Steuern hier, aber ich zahle sie gerne. Und eines müssen die Behörden hier schon sehen: Das Verfahren, das in Kasachstan gegen mich läuft, ist nicht fair und basiert auf rein politischer Motivation. Ich wehre mich nicht gegen eine Untersuchung, ich habe nichts zu verbergen. Aber es scheint, dass beim Präsidenten das Urteil über mich längst gefallen ist. Jetzt vertraue ich auf das internationale Recht und auf Österreich: Ein Verdächtiger hat bis zum allfälligen Beweis seiner Schuld als unschuldig zu gelten. Österreich soll mich nicht an ein System ausliefern, in dem mein Leben und das Leben meiner Familie in Gefahr ist.

Interview: Martin Staudinger