Die verlorenen Tugenden Amerikas

Interview: „Das sind Plünderer“

Gore Vidal im Interview über den „Despoten“ Bush

Drucken

Schriftgröße

profil: Herr Vidal, in den achtziger Jahren haben Sie einen Verfassungszusatz vorgeschlagen, wonach keinem Präsidenten erlaubt sein sollte, an ein Leben nach dem Tod zu glauben.
Vidal: Ja, da war ich meiner Zeit voraus.
profil: Jetzt haben Sie immerhin einen Präsidenten, der Jesus schon einmal begegnet ist.
Vidal: Jesus kümmert sich wirklich um unsere Trunkenbolde. Wahrscheinlich ist er Bush in einer Bar begegnet.
profil: Sie haben keine allzu hohe Meinung von Ihrem Präsidenten, stimmt’s?
Vidal: Natürlich nicht, ich kenne auch keinen intelligenten Menschen, der eine gute Meinung von ihm hat. Er stiehlt uns unsere Freiheiten, unsere berühmte Bill of Rights. Er kann anordnen, jemanden ohne Anklage ins Gefängnis zu stecken, wenn der des Terrorismus verdächtig ist. Er kann sogar Amerikanern ihre Staatsbürgerschaft aberkennen und sie aus dem Land deportieren. Das sieht alles der Patriot Act vor. Dafür alleine würde Bush die Amtsenthebung verdienen.
profil: Despotismus haben Sie das genannt – ein ziemlich hartes Wort.
Vidal: Wie soll ich das sonst nennen? Da wird einer Präsident, um die Interessen der Öl- und Gasindustrie zu vertreten, mit dem Plan in der Schublade, Saddam Hussein anzugreifen – und nützt den 11. September schamlos aus. Dann bricht er einen Krieg vom Zaun, in dem amerikanische Soldaten getötet werden und amerikanisches Geld verpulvert wird.
profil: Despoten nennt man üblicherweise Leute wie Hitler oder Stalin; ist es nicht ein wenig gewagt, Bush da dazu zu zählen?
Vidal: Hitler wurde gewählt, und die Deutschen wussten zu Beginn auch nicht, wohin das führt. Stalin war anfangs nur einer der üblichen orientalischen Despoten. Ich finde, die Typen gleichen sich ziemlich.
profil: Bush steht für Sie gegen all das, was Amerika verkörpert?
Vidal: Vor 150 Jahren hätte man Bush und Justizminister John Ashcroft nicht einmal als amerikanische Bürger betrachtet, weil sie so quer zu den Werten der amerikanischen Republik liegen. Sicher, wir hatten immer einen Streit darüber, wohin das Land sich entwickeln soll. Schon vor 1856 haben wir Mexiko überfallen, um uns Kalifornien zu holen. Aber wir hatten noch nie so ein radikales Regime. Das sind Plünderer.
profil: Allerdings haben Sie jede US-Regierung in den vergangenen 50 Jahren kritisiert ...
Vidal: Das ist doch nicht wahr. Ich habe immer den imperialen Zug unserer Politik kritisiert.
profil: Würde es einen Unterschied machen, wenn John Kerry Präsident wird?
Vidal: Es würde einen Unterschied machen. Allerdings ist auch Kerry ein Imperialist. Er ist nicht prinzipiell gegen außenpolitische und militärische Abenteuer. Er redet auch vom Krieg gegen den Terror. Dabei gibt es diesen Krieg doch nur in Bushs Kopf. Bush will das Krieg nennen, denn in Kriegen konnte der Präsident immer schon fast alles machen, was er wollte. „Ich bin ein Kriegspräsident, ich bin ein Kriegspräsident!“, schreit Bush immerzu.
profil: Aber die Amerikaner ...
Vidal: ... haben ihn nicht gewählt, wie Sie sich erinnern.
profil: Jetzt haben sie sehr wohl den Eindruck, dass sie im Krieg sind und Bedrohungen ausgesetzt sind.
Vidal: Weil ihnen das die Medien einreden, die von der Geschäftswelt kontrolliert werden. Natürlich müssen wir uns gegen Leute wie Bin Laden verteidigen. Wie tut man das am besten? Man geht zu Interpol, die sind dafür da! Wenn die Mafia eine Bank ausraubt, bombardieren wir ja auch nicht Palermo.
profil: Gibt’s keine Hoffnung?
Vidal: Die imperiale Politik wird aufhören, wenn wir bankrott sind.
profil: Warum sind Sie so pessimistisch? Es gibt Gore Vidal, es gibt Noam Chomsky, es gibt Michael Moore, und jetzt gehen sogar Bruce Springsteen und R.E.M. auf Anti-Bush-Tour. Die Kulturszene ist doch erstaunlich vital.
Vidal: Unter anderem deshalb, weil ich alle Präsidenten der USA mit Ausdauer kritisierte, was Sie mir jetzt vorhalten. Ich werde nicht müde, zu sagen, was dieses Land einmal war, was es heute ist und was es sein sollte.
profil: Sie wurden berühmt als Autor historischer Romane, aber auch als Modernist. „The City and the Pillar“, 1948 erschienen, war der erste große Homosexuellenroman der USA. Sind Sie nun ein progressiver Linker oder ein nostalgischer Konservativer, der den Tugenden des alten Amerika nachtrauert?
Vidal: Ach, die europäischen Intellektuellen, die leider auch ziemlich selten sind, wollen für jeden eine Kategorie und am besten ziemlich einfache: „Er ist ein Linker“ oder „Er ist nur ehrgeizig“. Wir hatten in Amerika nie eine Linke, und wenn es eine gäbe, bin ich nicht sicher, ob ich dazugehören wollte. Was für mich allein zählt, sind die Freiheitsrechte.
profil: In letzter Zeit haben Sie aber weniger mit Romanen oder literarischen Essays für Aufsehen gesorgt als mit Ihren politischen Pamphleten. Elektrisiert Sie Politik heute mehr als früher?
Vidal: Ich habe vor fast fünfzig Jahren zwei-mal für ein politisches Amt kandidiert, einmal sogar für den Kongress. Die Vereinigten Staaten sind einfach mein Thema, immer schon. Einer muss ja warnen.
profil: Sex war auch immer Ihr großes Thema. Zuletzt haben Sie mit Ihrer Autobiografie Einblicke in Ihr Privatleben gewährt. „Palimpsest“ handelt von den ersten 39 Lebensjahren und ist eine Liebeserklärung an Ihren ersten Lover Jimmie Trimble.
Vidal: Ich hatte große Schwierigkeiten damit. Über mich zu schreiben passt gar nicht zu mir. Das ist mir zu persönlich.
profil: Dafür haben Sie aber ziemlich viel von sich hergegeben.
Vidal: Ach, das ist gar nicht wahr. Aber wenn man mit dem Schreiben einer Autobiografie beginnt, muss man es eben ordentlich machen.
profil: Wird es eine Fortsetzung geben?
Vidal: Ich weiß nicht: Alles Interessante spielt sich in den ersten vierzig Jahren ab, der Rest ist Wiederholung.
profil: 1972 sagten Sie in einem Interview: „Es gibt kein Problem, das nicht gelöst werden könnte, wenn die Leute auf meinen Rat hören würden.“
Vidal: Oh nein, da habe ich doch nur einen Witz gemacht! Alle waren empört: „Er glaubt, er weiß alles! Und er ist nicht einmal ein Professor!“ Dabei habe ich nur gescherzt.
profil: Was wäre nun Ihr Ratschlag: Wie kommt Amerika aus dem Schlamassel im Nahen Osten wieder raus?
Vidal: Raus, sofort. Wir sind kaum fähig, uns selbst zu regieren, geschweige denn andere.
profil: Wenn die Amerikaner abziehen, gibt es Chaos.
Vidal: Um Gottes willen! Wie schrecklich!
profil: Wäre es um den Nahen Osten besser bestellt, wenn die Amerikaner abziehen?
Vidal: Soll ich Ihnen etwas sagen? Es interessiert mich nicht! Wir haben dort nichts verloren. Und man will uns dort auch nicht. Das reicht.