Dirigent Franz Welser-Möst

Interview: „Es krankt überall“

über Profitgier und komplizierte Kollegen

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profil: Herr Welser-Möst, es ist noch nicht einmal acht Uhr in der Früh.
Welser-Möst: Ich bin Frühaufsteher. Das ist bei meinem Beruf ein echtes Problem, weil ich erst spät ins Bett komme. Ich wäre wohl besser Bäcker geworden.
profil: Sie sind seit einem Jahr Chefdirigent des Cleveland Orchestra, das der Tageszeitung „Washington Post“ als das „vielleicht beste Orchester der USA“ gilt.
Welser-Möst: Das Cleveland Orchestra ist einfach herrlich. Es schnurrt wie eine fein abgestimmte Maschine, bei der ein Rad minutiös ins andere greift. Die Musiker reagieren aufeinander so sensibel wie ein Kammermusikensemble. Das ist untypisch für ein amerikanisches Orchester, die normalerweise viel üppiger und fetter klingen.
profil: Was haben Sie dann noch zu tun?
Welser-Möst: Jeder Dirigent hat seine Persönlichkeit, und das Cleveland Orchestra ist gerade dabei, sich an meine zu gewöhnen. Ich habe die Aufstellung des Orchesters geändert, um einen wärmeren Sound zu erhalten. Außerdem soll sich das Orchester an die Freiheit und Spontaneität gewöhnen, die ich als Operndirigent gerne habe. Ganz abgesehen davon, dass ich im Jahr rund 55 Konzerte dirigiere, für das Programm sämtlicher Gastdirigenten verantwortlich bin und entscheiden muss, welche Musiker ins Orchester aufgenommen werden und welche nicht.
profil: Was bedeutet Ihnen einen solche Machtfülle?
Welser-Möst: Wenn man führen will, ist Macht etwas Notwendiges. Aber sie ist gefährlich, weil sie einen leicht korrumpiert. Etwa indem man seinen Mitarbeitern nicht mehr jenen Respekt bezeugt, der angemessen wäre. Machtmissbrauch beginnt im Alltag.
profil: Ihr Vorgänger Christoph von Dohnanyi lehnte es strikt ab, sich bei Sponsoren mit einem Empfang zu bedanken. Haben Sie eine Schwäche für Society?
Welser-Möst: Ich habe am Attersee ein Haus, wo ich meist den Sommer verbringe. Dennoch hat mich noch niemand auf einer Party der Salzburger Festspiele gesehen. Wenngleich bestimmte Verpflichtungen einfach unvermeidbar sind. Vor eineinhalb Jahren spendete jemand dem Cleveland Orchestra zehn Millionen Dollar. In so einem Fall ist klar, dass der Musikdirektor mit dem Sponsor abendessen gehen muss. Da fällt keinem ein Stein aus der Krone.
profil: Zu Ihrem Amtsantritt sah sich das Cleveland Orchestra zum ersten Mal seit zehn Jahren mit einem Budgetdefizit konfrontiert: Stolze 1,3 Millionen Dollar fehlten in der Kassa. Hat sich die Situation inzwischen verbessert?
Welser-Möst: Es ist nicht leichter geworden, im Gegenteil. Aber im Moment haben alle amerikanischen Orchester finanziell zu kämpfen. Das Los Angeles Philharmonic etwa sieht einem prognostizierten Defizit von 13 Millionen Dollar entgegen. Insofern geht es uns noch relativ gut.
profil: Wer ist an der Situation schuld?
Welser-Möst: Der Einbruch am Finanzmarkt, der sich schon vor dem 11. September abzeichnete und durch den Terroranschlag noch beschleunigt wurde, wirkt sich auf Non-Profit-Organisationen, die wie wir von Sponsorengeldern leben, zeitverzögert aus. Wenn ein Investor Aktien verliert, sagt er ein Jahr später, dass er heuer nicht spenden wird. Wir befinden uns jetzt dort, wo die Finanzwelt kurz nach dem 11. September war: in der Talsohle. Gleich zu Beginn meiner ersten Saison haben das Management und ich uns zehn Prozent des Gehalts gekürzt.
profil: Die Klassikbranche steckt in der Krise: Auch Sie nehmen deutlich weniger CDs auf. Lässt sich mit Klassik noch Geld verdienen?
Welser-Möst: Die gesamte Plattenbranche ist in der Krise, nicht nur die Klassikabteilungen. Es wäre aber falsch, zu behaupten, dass die klassische Musik in der Krise wäre. Denn sonst würden die Menschen ja nicht mehr in Konzerte gehen. Und die sind voll.
profil: Welche Macht haben Klassik-Labels heute noch?
Welser-Möst: Viel weniger als früher, praktisch keine mehr.
profil: Man kann auch ohne Plattenvertrag zum Star werden?
Welser-Möst: Auf jeden Fall, und das ist gar nicht schlecht. Auch allmächtige Künstleragenturen haben deutlich an Einfluss verloren. Statt raffinierter Marketing-Tricks zählt wieder die musikalische Leistung. So könnte unser Betrieb gesunden, der Musik oft nur noch als Vehikel für hohe Renditen benutzte. Die letzte Manipulativkraft, die es gibt, sind die Medien. Doch auch denen geht das Geld aus. Viele Zeitungen können es sich nicht mehr leisten, etwa zur Eröffnung der Disney Hall nach Los Angeles zu fliegen.
profil: Sind die Künstler mit ihren ho-
hen Gagenforderungen an der Krise mit-schuldig?
Welser-Möst: Natürlich, da krankt es überall. Wenn ich aus dem Wiener Musikverein höre, dass ein Künstler innerhalb von vier Jahren seine Gagenforderungen um 40 Prozent nach oben schraubt, kann ich nur den Kopf schütteln.
profil: Sie stehen mit der Plattenfirma EMI in Verhandlungen über DVD-Produktionen aus dem Zürcher Opernhaus. Wer will Opern auf dem TV-Schirm sehen?
Welser-Möst: Anscheinend genügend Leute, denn die DVDs verkaufen sich gut. Vor ein paar Jahren, als ich noch Musikchef der Zürcher Oper war, haben wir eine Nachmittagsaufführung der „Zauberflöte“ live nach Japan übertragen. Wir hatten mehrere Millionen Zuschauer. Das hat mich selbst überrascht.
profil: Was lieben Sie an der Gattung Oper?
Welser-Möst: Ich habe in Zürich zwischen 1995 und 2002 über 500 Aufführungen von 40 Opern dirigiert und mich mit dem Opernvirus infiziert. Mir ist klar, dass Oper grauenvoll sein kann. Aber wenn eine Produktion gelingt, ist es die vollkommenste Kunstform der Welt. Man kann extreme Gefühle ausleben: Hass, Mord, Verzweiflung, Liebe, Eifersucht. Das ist doch toll!
profil: Die Hysterie der Gattung geht Ihnen nie auf die Nerven?
Welser-Möst: Nein, weil jede Oper, selbst Wagner, irgendwann vorbei ist. Oper lebenslänglich – das wäre unerträglich.
profil: Sie haben Giuseppe Verdis „La Traviata“ über 50-mal dirigiert. Können Sie die Oper noch hören?
Welser-Möst: Wenn man in den Orchestergraben steigt und sich denkt: Okay, das dauert drei Stunden, ich klopfe diese Oper jetzt runter, und das Konto ist wieder etwas dicker, dann ist mein Job langweilig. Aber für mich ist jede Aufführung eine Herausforderung, es besser zu machen. Dann wird es nicht langweilig.
profil: Der Vertrag von Staatsoperndirektor Ioan Holender wurde vergangene Woche bis 2010 verlängert. Freuen Sie sich?
Welser-Möst: Es imponiert mir, wie Holender es geschafft hat, zum längstdienenden Direktor in der Geschichte der Wiener Staatsoper zu werden. Er ist ein alter Fuchs und kennt sämtliche Tricks, die man kennen muss, um in Wien zu überleben.
profil: Holender sagte vor einem Jahr, dass er sich Franz Welser-Möst „als Musikchef der Staatsoper für die Zeit nach Seiji Ozawa“ wünschen würde. Chefdirigent Ozawa dürfte die Staatsoper 2007 verlassen.
Welser-Möst: Natürlich ist die Wiener Staatsoper eine Versuchung. Aber solange Herr Holender oder der Bundeskanzler – wer auch immer dafür zuständig ist, denn das weiß ich nicht einmal – nicht zu mir kommt und sagt: „Möchten Sie nicht?“, werde ich nicht darüber nachdenken. Im Übrigen habe ich in Cleveland einen Vertrag bis 2012.
profil: Warum hat es 16 Jahre gedauert, bis Sie nach Ihrem Staatsoperndebüt 1986 wieder im Haus am Ring dirigierten? Anfang September gaben Sie Richard Wagners „Tristan“.
Welser-Möst: Das müssen andere beantworten. Wobei Holender seit einigen Jahren versucht, mich wieder zurückzuholen. Dass ich nun den „Tristan“ dirigiert habe, war reiner Zufall.
profil: Sie sind für Ihren Kollegen Christian Thielemann eingesprungen, der plötzlich absagte.
Welser-Möst: Holender suchte dringend einen Ersatz und hat den Zürcher Opernchef Alexander Pereira um Hilfe gebeten. Pereira rief ihn zurück und sagte: „Ich habe hier jemanden, der dir das machen kann.“ Dann gab er mir den Hörer in die Hand. „Grüß Gott, Herr Holender“, habe ich gesagt. Stillschweigen. „Hier ist Welser-Möst“, sagte ich. Wieder Stillschweigen. Und dann sagte Holender: „Jetzt kann ich nur auf die Knie fallen.“ „Das müssen Sie nicht“, antwortete ich, „erklären Sie mir erst einmal, worum es geht.“
profil: Sie waren mit Ihrem Dirigat eine Viertelstunde schneller im Ziel als Thielemann. Warum hatten Sie es so eilig?
Welser-Möst: Es gibt die alte Weisheit, dass man den zweiten Akt nicht zu langsam machen darf, weil der Sänger der enorm schwierigen Tristan-Partie sonst im dritten Akt eingeht. Die Sänger waren, glaube ich, dankbar. Deborah Voigt, die die Isolde sang, sagte zu mir in der Garderobe: „Ich höre, wir können heute Abend etwas früher nach Hause gehen. Großartig.“
profil: Was denken Sie, wenn Isolde ihren Liebestod stirbt: endlich Feierabend?
Welser-Möst: Nein, eine Aufführung schwingt stundenlang nach. Nur wenn es schlecht war, sollte man sie möglichst schnell vergessen. Gute Aufführungen hingegen vergrößern mein Schlafproblem: Ich wache immer wieder auf. Meine Festplatte ist einfach zu überladen mit Musik.
profil: Christian Thielemann kam in letzter Zeit meist dank spektakulärer Absagen in die Schlagzeilen. Warum müssen Dirigenten so kompliziert sein? Hilft das dem Marketing?
Welser-Möst: Möglicherweise, aber ich glaube nicht daran.
profil: Sind Sie kompliziert?
Welser-Möst: Jeder hat seine Ecken und Kanten, und ich reagiere etwa auf Schlamperei allergisch. Aber wenn unser Betrieb jegliche Handschlagqualität verliert, wird es schwierig.
profil: Warum haben Sie Angebote der New Yorker Metropolitan Opera und der Salzburger Festspiele ausgeschlagen?
Welser-Möst: Ich kann als Chef des Cleveland Orchestra nicht irgendwelche Repertoire-Vorstellungen nachdirigieren. Und etwas anderes hat mir die Met nicht angeboten. Die Salzburger Festspiele wollten mich für die Wiederaufnahme der „Zauberflöte“ engagieren. Ich hatte leider keine Zeit. Schließlich haben sie mir Mozarts „Zaide“ angeboten, eine Oper, die mich einfach nicht interessiert.
profil: Schadet Ihnen diese Verweigerungshaltung?
Welser-Möst: Warum soll ich Dinge machen, für die ich meine Seele verkaufen müsste. Warum sollte ich eine „Zaide“ dirigieren, von der ich nicht überzeugt bin. Nur weil es die Salzburger Festspiele sind? Dann bin ich korrupt. Natürlich hat mir diese Haltung schon sehr oft kurzfristig geschadet. Langfristig macht es sich bezahlt, wenn man bei dem bleibt, woran man glaubt.