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Interview: „Wir haben keine Aktienkultur“

Börse-Vorstand Stefan Zapotocky: „Wir haben keine Aktienkultur“

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profil: Der Leitindex der Wiener Börse, der ATX, erklimmt seit Monaten fast jede Woche neue Rekordhöhen. Haben Sie sich schon daran gewöhnt?
Zapotocky: Nein, daran gewöhnt man sich nicht. Wir haben viel für diese verbesserte Kapitalmarktsituation in Österreich gearbeitet.
profil: Sie sagen in letzter Zeit aber immer wieder, dass die Wiener Börse langsam normal wird. Wann wird diese Normalität erreicht sein?
Zapotocky: Wir haben einen normal entwickelten Markt, wenn die Börsenkapitalisierung, gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP), im Schnitt gut entwickelter Länder liegt. Das ist bei einer Börsenkapitalisierung von über 30 Prozent des BIP der Fall. Wir waren vor vier Jahren bei etwa 15 Prozent, haben jetzt 22 Prozent erreicht und wollen in weiteren vier Jahren die 30 Prozent überschritten haben, also bei 75 Milliarden Euro Marktkapitalisierung liegen. Dieses Ziel können wir erreichen, wenn die Privatisierung über den Kapitalmarkt fortgesetzt wird.
profil: Warum gilt der österreichische Kapitalmarkt bisher als unterentwickelt?
Zapotocky: Weil wir viel zu spät mit der Privatisierung begonnen haben. Die österreichische Börse in der Form einer Aktienbörse gibt es eigentlich erst seit 1987 wieder. Vorher waren zwar Aktien notiert, es gab aber kaum Transaktionen. Ab 1987 begannen die Privatisierungen, fast ein Jahrzehnt später als in anderen europäischen Ländern. Der Grund dafür ist, dass der Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg im Wesentlichen mittels Fremdfinanzierungen, etwa mit Krediten, durchgeführt wurde. Das angloamerikanische Marktmodell, bei dem sich Unternehmen von Anfang an Kapital über den Markt holen, hat bei uns 50 Jahre lang nicht gegriffen.
profil: Und das hat sich nun geändert?
Zapotocky: Jetzt sind wir langsam auf dem Weg, das Interesse der Unternehmen am Kapitalmarkt ist sprunghaft gestiegen. Wir haben jede Woche mindestens drei Gespräche mit interessierten Börsekandidaten und rechnen heuer mit acht bis zehn Neuemissionen.
profil: Warum gerade jetzt?
Zapotocky: Erst jetzt ist eine Dimension erreicht, wo der Markt wahrgenommen wird. Wir konnten 2003 das vierte Mal in Folge alle anderen westeuropäischen Märkte mit unserer Performance übertreffen, und das fällt den wichtigen internationalen Investoren auf. Es hat einige Jahre gedauert, aber jetzt sehen sie, dass es Sinn macht, hier zu investieren. Das motiviert wiederum neue Emissionskandidaten und inländische Investoren.
profil: Wer sind diese wichtigen internationalen Investoren?
Zapotocky: Wir haben eine ganz große Nachfrage aus Großbritannien. Englische und schottische Investmentfonds sind für Europa sehr wichtig, weil sie am schnellsten auf Marktveränderungen reagieren. In zweiter Linie sind es amerikanische Investoren wie etwa Pensionsfonds. Von zunehmender Bedeutung sind auch Fonds, die in Unternehmen mit geringerer oder mittlerer Marktkapitalisierung investieren, wie wir sie in Österreich haben. Solche Investoren muss man speziell suchen.
profil: Wie lang geht der Aufwärtstrend des ATX noch weiter?
Zapotocky: Wir haben aus drei Gründen nach wie vor ein beachtliches Aufwärtspotenzial. Erstens gibt es den großen neuen Wachstumsmarkt der EU-Beitrittsländer. Da ist Österreich geografisch begünstigt. Zweitens haben sich österreichische Unternehmen schneller als andere auf die schwierigeren wirtschaftlichen Verhältnisse der letzten Jahre eingestellt und sehr effizient Kosten gesenkt. Diese teilweise schmerzlichen Eingriffe rentieren sich jetzt. Drittens haben sie auf attraktive Produkte gesetzt, die sich nach den Fehlentwicklungen der New-Economy-Euphorie als die richtige Strategie herausgestellt haben. Klassische Aktienwerte reüssieren jetzt wieder, und darauf ist die österreichische Industrie bestens eingerichtet.
profil: Was heißt das konkret für den ATX?
Zapotocky: In den nächsten zwei Jahren werden österreichische Aktien im Vergleich etwa zu amerikanischen noch 20 bis 30 Prozent günstiger bewertet sein. Wir werden die Differenz wahrscheinlich nicht voll wettmachen können, weil es bei kleineren Märkten einen gewissen Liquiditätsabschlag gibt. Aber ich sehe ein Wertsteigerungspotenzial von mindestens 20 Prozent.
profil: Das würde, umgelegt auf den ATX, knapp 2200 Punkte bedeuten.
Zapotocky: 2000 Punkte erscheinen erreichbar, wenn wir noch mehr Liquidität in den Markt bekommen. Es hat sich überall gezeigt, dass Unternehmen wie Andritz, Böhler-Uddeholm oder VoestAlpine, die ihren Streubesitz steigern, neues Kurspotenzial bekommen. Österreich hat auch deswegen in den letzten Jahrzehnten eine schlechtere Performance gehabt, weil der Streubesitz oft nur bei 30 bis 40 Prozent lag. Dadurch waren die Aktien einfach unzugänglich für das Publikum. Auf den gut laufenden Weltmärkten liegt der Schnitt bei 70 bis 80 Prozent. Zuletzt ist erfreulicherweise Wienerberger in die Kategorie der Unternehmen mit 100 Prozent Streubesitz aufgestiegen.
profil: Von solchen Unternehmen hätten Sie also gerne mehr?
Zapotocky: Natürlich ist es in vielen Fällen wichtig, einen Kernaktionär zu haben, der Stabilität garantiert. Aber eine Steigerung auf über 50 Prozent Streubesitz wäre auf jeden Fall gut.
profil: Hat auf Ihr Ziel, bis 2008 eine Marktkapitalisierung von 75 Milliarden Euro zu erreichen, nicht auch die Konjunktur erheblichen Einfluss?
Zapotocky: Ja, aber die ist jetzt hoffentlich in positiver Verfassung. Wenn die Unternehmen stagnieren und kein Kapital brauchen, haben wir ein Problem. Aber mit der EU-Erweiterung eröffnen sich ja große Wachstumschancen in Zentraleuropa, sodass aus mittleren österreichischen Betrieben große europäische Unternehmen werden können.
profil: Wenn die Unternehmen nach der Steuerreform weniger Körperschaftsteuer zahlen müssen, brauchen sie aber weniger Kapital.
Zapotocky: Sie haben grundsätzlich Recht, dass dadurch die Bildung von Eigenkapital erleichtert wird. Aber ich glaube, dass die Senkung der Körperschaftsteuer für das Kursniveau an der Börse sehr unterstützend wirkt und
sicher einige Prozentpunkte zu seiner Steigerung beigetragen hat. Sie war ein langjähriger Wunsch der Börse und ein richtiger Schritt der Regierung.
profil: Was ist das größte Problem des österreichischen Kapitalmarkts?
Zapotocky: Wir haben keine wirkliche Aktienkultur in Österreich. Wir haben etwa übermäßig lang damit gewartet, das Pensionsvorsorgesystem in Richtung Kapitalmarkt zu ergänzen. Andere Länder haben schon lange Pensionsfonds aufgebaut, die in die eigene Wirtschaft investieren. Erst jetzt gibt es bei uns das Zukunftsvorsorgeprodukt. Ich hoffe, dass es greift.
profil: Ist es nicht riskant, in das Zukunftsvorsorgeprodukt einzusteigen, wenn die Aktienkurse schon so hoch sind?
Zapotocky: Nein. Wichtig ist nur, das Produkt den Anlegern ganz genau zu erklären. Da müssen die Versicherungen und Banken noch einiges tun. Aber das Volumen der Zukunftsvorsorge treibt in keinster Weise die Aktienkurse, dafür sind die Dimensionen zu klein.
profil: Ab wann besteht Ihrer Meinung nach die Gefahr einer Spekulationsblase? Der ATX ist schon einmal, nachdem die Osteuropa-Euphorie geendet hatte, kräftig abgestürzt.
Zapotocky: Ja, aber damals hatten wir völlig andere Strukturen. Beim Absturz nach der russischen Rubelkrise 1998 waren wir sehr abhängig von Finanztiteln, die Gewichtung der Banken im ATX lag weit über 40 Prozent. Heute ist der Markt nicht mehr so einseitig wie noch vor zehn Jahren, außerdem ist die Liquidität viel höher. Börsen werden sich immer in beide Richtungen entwickeln, aber Wien wird sich in Zukunft vom internationalen Umfeld nicht mehr so leicht abkoppeln können.
profil: Besitzen Sie selbst Aktien?
Zapotocky: Ja, ausschließlich von der Telekom Austria.
profil: Da gab es ja vor kurzem einige Aufregung um einen plötzlichen Kurssprung der Telekom-Aktie in Zusammenhang mit einem Aktienoptionsprogramm für das Management.
Zapotocky: Es ist Aufgabe der Finanzmarktaufsicht, das zu überprüfen, nicht die Aufgabe der Börse. Wir geben die Informationen nur weiter und beurteilen das nicht.
profil: Was halten Sie von solchen Optionsprogrammen?
Zapotocky: In Österreich hat man damit leider noch wenig Erfahrung. Diese Instrumente sind in Westeuropa und im angloamerikanischen Raum seit Jahrzehnten gang und gäbe. Man muss aus den Fehlern und Übertreibungen dort lernen. Aber insgesamt haben derartige Prämienprogramme eine Berechtigung, weil sich Manager und Mitarbeiter stärker mit einem Unternehmen identifizieren, wenn sie an seinem Erfolg beteiligt sind. Allerdings sollte die Entlohnung von Führungskräften nicht nur an den Aktienkurs gekoppelt sein, sonst denken sie zu kurzfristig in Richtung Kurssteigerung.