IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn im Gespräch

IWF-Chef Strauss-Kahn über panische Banker und die Zukunft Griechenlands

Interview. Über panische Banker in Österreich, die Zukunft Griechenlands und warum er gern der Sündenbock ist

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Sein Kopf ist immer ein Stück voraus. Er ist schneller als der kleine Körper, der versucht, ihm in eiligen Trippelschritten zu folgen; so, als ginge es darum, ein Rennen zu gewinnen. Der schwarze Lederstuhl auf dem Podium des Hörsaals der polnischen Eliteschmiede Warsaw School of Economics, der Dominique Strauss-Kahn zugewiesen wird, ist für den Chef des Internationalen Währungsfonds (IWF) nur ein unerwünschter Zwischenstopp. Sobald der Universitätsrektor seine Grußworte losgeworden ist, springt der agile Franzose auf: „Good morning, Warsaw!“, ruft er den Studenten zu. Er hält kurz inne, um zu warten, ob ihm bereits die ersten Herzen zufliegen.

Dominique Strauss-Kahn will gemocht werden. Kein leichtes Ziel, wenn man Chef des ungeliebten Internationalen Währungsfonds ist. Einer Organisation, die sich in den 66 Jahren ihres Bestehens den Ruf erworben hat, ein beinharter Sanierer bankrotter Staaten zu sein, ohne dabei auf die Befindlichkeiten der Bevölkerung zu achten. Doch in den zweieinhalb Jahren, die der französische Wirtschaftsprofessor an der Spitze der internationalen Organisation steht, hat der IWF eine atemberaubende Kehrtwende vollzogen.

Als der französische Präsident Nicolas Sarkozy den Sozialisten Strauss-Kahn im Herbst 2007 nach Washington schickte, glaubte er, einen seiner gefährlichsten ­politischen Gegner auf angenehme Weise losgeworden zu sein. Damals kämpfte der IWF nicht nur gegen den schlechten Ruf, sondern auch gegen die eigene Bedeutungslosigkeit. Doch dann kam die Wirtschaftskrise – und damit die Gunst der Stunde für Dominique Strauss-Kahn. Dass er ein Meister darin ist, Chancen zu nützen, wurde ihm schon nachgesagt, als er noch französischer Finanzminister war. „Er ist wie ein Kater. Wenn man ihn in ­Sitzungen beobachtet, wie er da mit halb geschlossenen Augen in seiner Ecke sitzt, könnte man glauben, er hört nicht zu. Doch dann fährt er plötzlich seine Tatzen aus und schlägt zu“, beschrieb ihn ein damaliger Wegbegleiter in der französischen Tageszeitung „Libération“.

Revolution. Kaum hatte er den neuen Posten angetreten, witterte Strauss-Kahn seine Chance. „Wir haben als Erste bereits im Januar 2008 einen Stimulus für die Wirtschaft gefordert, der mindestens zwei Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung ausmachen sollte. Damals wurden wir noch ausgelacht.“ Als dann später alle nach keynesianischen Konjunkturimpulsen riefen, konnte er sich auf die Schulter klopfen. Doch dass der Wirtschaftsprofessor in diesem Fall das Rennen gemacht hat, ist nicht ausschlaggebend. Entscheidend ist die Tatsache, dass Strauss-Kahn mit diesem Satz eine Revolution beschreibt. Denn bis zum Ausbruch der Finanzkrise ist der IWF noch nie von seinem Spardogma abgewichen – egal, ob es das Wirtschaftswachstum eines Landes abwürgte oder nicht.
Es ist noch keine zehn Jahre her, da der IWF Argentinien einen Kredit versagte, weil die rigiden Sparziele verfehlt worden waren. Als Ausweg blieb dem Land dann nur noch, seine Währung massiv abzuwerten und den Staatsbankrott zu erklären. Ob in Argentinien oder in der Asienkrise – der IWF habe alles nur noch schlimmer gemacht, tönten lokale Politiker, Nichtregierungsorganisationen und namhafte Ökonomen wie Joseph Stiglitz Anfang des letzten Jahrzehnts unisono. Diese Stimmen sind heute leise geworden. Nicht zuletzt, weil ihnen Strauss-Kahn den Wind aus den Segeln nimmt. „Ich will nicht meine Vorgänger wegen ihrer Rolle in der Asienkrise beschuldigen“, sagt Dominique Strauss-Kahn. Das Mikro nah am Mund, drückt er seine ohnehin tiefe Stimme noch weiter nach unten und fährt fort: „Das wäre zu leicht. Wir versuchen, aus unseren Fehlern zu lernen.“

Und tatsächlich tragen die Programme in Osteuropa eine andere Handschrift. In Osteuropas derzeitigem Musterland Polen wurde zum ersten Mal ein Instrument eingesetzt, das gänzlich auf Auflagen verzichtet: Mit einer „Flexible Credit Line“ können sich wirtschaftlich gesunde Staaten seit einem Jahr eine Rückversicherung holen. Polen nutzte die Kreditlinie gar nicht erst aus, es gelang aber, die Refinanzierungskosten für Staatsschulden dadurch deutlich zu senken. In Rumänien, wo der IWF mit 13 Milliarden Euro eingesprungen ist, setzen die Haushaltssanierer auf eine einschneidende Pensionsreform – nicht ohne gleichzeitig höhere Ausgaben für die untersten Einkommen zu fordern. Statt bei 150 Punkten gleichzeitig an­zusetzen, wie es der IWF noch in Indonesien getan hatte, konzentriert man sich nun auf einige wenige zentrale Punkte. Und in Ungarn tolerieren die Wächter aus Washington hohe Budgetdefizite, um zumindest eine zaghafte wirtschaftliche Erholung möglich zu machen.

Es sind nicht nur die Abkehr vom Spardogma und der flexiblere Werkzeugkasten, die den IWF erfolgreicher machen. Die Imagepflege selbst ist Teil der Strategie. Ob ihm bei seiner Tour durch Polen und Rumänien der Imageeffekt wichtiger sei als die Arbeitstreffen mit den Ministerpräsidenten und Notenbankern? „Wissen Sie, das geht Hand in Hand“, sagt der 61-Jährige am Rande der Veranstaltung und zieht die schwarzen Augenbrauen nach oben, die mit seinen weißen Haaren kontrastieren. Das sind seine Ausrufezeichen. Wenn sich die Bevölkerung querlege, könne er mit den Staatslenkern besprechen, was er wolle, fährt er fort. Entscheidend sei, dass die Bürger überzeugt werden könnten.

Dass nichts so wichtig ist wie die Zuneigung des Volks, hat sich in Strauss-Kahns politischem Denken eingebrannt. Wer in seiner Partei, bei den französischen Sozialisten, etwas wird, entscheiden nicht Kader, sondern Umfragewerte. Schenkt man denen Glauben, wäre Strauss-Kahn der Einzige, der Nicolas Sarkozy 2012 bei den Präsidentschaftswahlen vom Thron stoßen könnte. Die Versuchung ist groß. Immer wieder fällt Strauss-Kahn bei seinen Reden aus der IWF-Rolle. Staatsmännisch fordert er mehr Kooperation innerhalb der EU oder gar eine europäische Wirtschaftsregierung. Sätze, die im Textbuch eines IWF-Direktors nicht vorkommen – wohl aber in dem eines zukünftigen französischen Präsidenten.

Doch um für das Amt zu kandidieren, müsste der Wirtschaftsprofessor sein IWF-Mandat vorzeitig niederlegen. Und derartige Entweder-oder-Entscheidungen liegen ihm nicht. „Ich mag am liebsten immer alles“, sagt er augenzwinkernd beim informellen Abendessen in Warschau. Während seine Tischgenossen zwischen Apfel- und Topfentorte gewählt haben, lässt er sich von beiden ein kleines Stück bringen. Noch hat er ein paar Monate Zeit, bevor in Frankreich der Wahlkampf beginnt.

profil: Zuerst wurden Banken gerettet. Dann Industrieunternehmen. Und weil sich die Staaten dabei übernommen haben, müssen Sie sich jetzt vom Internationalen Währungsfonds selbst retten lassen. Wie fühlt es sich an, der letzte Rettungsanker zu sein?
Strauss-Kahn: Das Bild, das sie da zeichnen, gefällt mir … Aber es ist natürlich nicht ganz so. Ja, einige Banken mussten von Staaten gerettet werden. Und viele Staaten müssen sich nun sehr anstrengen, um ihre Schulden wieder abzubauen. Aber es sind nur wenige, die letztendlich den Währungsfonds um Hilfe bitten mussten.

profil: So viele wie nie zuvor. Und einige davon sind osteuropäische Staaten. Trotzdem blieb in dieser Region der große Zusammenbruch aus, den viele vor einem Jahr befürchtet hatten. Warum?
Strauss-Kahn: Drei Dinge waren dafür ausschlaggebend. Erstens haben die Zentralbanken sehr schnell reagiert und haben Liquidität zur Verfügung gestellt. Zweitens hat der IWF schon im Januar 2008 einen weltweiten wirtschaftlichen Stimulus gefordert. Damals sind wir noch von den Regierungen ausgelacht worden, die uns sagten, dass das nicht notwendig sei. Sie glaubten, ihre Wirtschaft besser zu kennen als wir. Das mag zwar stimmen, aber da der IWF einen guten internationalen Überblick hat, waren uns die Zusammenhänge schneller klar als anderen. Und der dritte Grund, warum aus der Krise am Ende keine große Depression wurde, war die internationale Koordinierung der Hilfspakete.

profil: Wenn man mit österreichischen Bankern spricht, hört es sich so an, als wären die damaligen Warnungen nichts als purer Alarmismus gewesen.
Strauss-Kahn: Schicken Sie die Banker zu mir. Ich werde sie daran erinnern, wie ihnen die Panik ins Gesicht geschrieben war. Die so genannte Vienna Initiative (Anm.: eine Plattform aus Regierungen, Geschäftsbanken, Europäischer Entwicklungsbank, Weltbank und IWF zur Koordinierung der Osteuropa-Hilfe) war sehr erfolgreich. Natürlich ist es im Nachhinein immer schwierig zu beurteilen, was ohne bestimmte Eingriffe passiert wäre. Aber zu behaupten, dass es die Krise so gar nicht gegeben hat, bedeutet, die Geschichte im Nachhinein neu zu schreiben.

profil: Welche Lektion sollten die österreichischen Banken – speziell in Osteuropa – von der Krise lernen?
Strauss-Kahn: Es gibt eine Menge Lektionen. Und zwar nicht nur im Sinne von neuer Regulierung. Auch der einzelne Bürger kann lernen. Was ist in Ungarn, in Lettland oder in vielen anderen Ländern passiert? Die Bürger haben sich zu sehr in Sicherheit gewogen und in fremden Währungen Kredite aufgenommen, weil die Zinsen attraktiver waren. Sie haben dabei ausgeblendet, dass die Zinsen nur deswegen in ihrer eigenen Währung höher waren, weil sie risikoreicher war.

profil: Das heißt, eigentlich waren die Leute selbst schuld?
Strauss-Kahn: Natürlich tragen auch die Banken Verantwortung. Sie müssen in Zukunft das einzelne Risiko besser einschätzen und bestimmten Personen von Fremdwährungskrediten abraten, wenn nicht genügend Sicherheiten da sind. Aber ein generelles Verbot von Fremdwährungskrediten halte ich nicht für sinnvoll.

profil: Haben wir das Schlimmste überstanden?
Strauss-Kahn: Die Finanzkrise haben wir möglicherweise überstanden. Aber die wirtschaftlichen Folgen spüren wir noch immer. Und die sozialen Folgen werden wir noch lange spüren. Die Arbeitslosigkeit wird weiter steigen. Gerade in Europa wird die Erholung sehr schleppend verlaufen. Wir dürfen uns noch nicht zurücklehnen.

profil: Was einige osteuropäische Staaten vor einem Jahr erlebt haben, erlebt Griechenland jetzt. Was müssen die Griechen tun, um die Probleme zu lösen?
Strauss-Kahn: Es gibt eine Reihe von Vorgangsweisen. Eine wäre es, die Währung abzuwerten, um Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. Das geht im Fall von Griechenland nicht. Das einzige effektive Mittel, das bleibt, ist Deflation. Genau das hat die Europäische Kommission vollkommen korrekterweise empfohlen. Und das wird schmerzhaft. Das bedeutet sinkende Löhne – und sinkende Preise. Griechenland muss genau den Weg zurückgehen, den es in den vergangenen Jahren eingeschlagen hat.

profil: Der Staat setzt aber die Löhne in der Privatwirtschaft nicht fest …
Strauss-Kahn:
Ja, das stimmt. Löhne kürzen kann der Staat nur im öffentlichen Dienst und in staatsnahen Betrieben. Genau deswegen ist der Plan der EU, den auch der IWF abgesegnet hat, so schwierig umzusetzen. Aber es gibt für die Griechen keinen anderen Ausweg, als kompetitiver zu werden. Schätzungen zufolge hat Griechenland gegenüber Deutschland in den vergangenen Jahren etwa 20 bis 25 Prozent an Wettbewerbsfähigkeit verloren.

profil: Sind die Deutschen an der griechischen Tragödie schuld?
Strauss-Kahn: Nein, man kann keinem anderen Land dafür die Schuld geben. Aber man muss verstehen, dass innerhalb der Eurozone die Länder eng verbunden sind. Deutschland wird nur glücklich, wenn es Griechenland auch ist. Deutschland und Griechenland haben also das gleiche Ziel.

profil: … das sie nur erreichen können, wenn Deutschland seinen Überschuss begrenzt, sprich weniger exportiert und weniger spart?
Strauss-Kahn: In Zukunft muss das Wachstum in der ­Eurozone ausgeglichener sein. Es ist vollkommen klar, dass es Konflikte gibt, wenn ein Land ein enormes Defizit auftürmt.

profil: Sie sprechen Defizitsünder an, nicht aber Deutschland, das unter anderem von Frankreich scharf kritisiert wurde, weil es für den französischen Geschmack zu hohe Handelsüberschüsse produziert. Teilen Sie die Vorbehalte Ihrer Landsleute, die letztendlich ja auch das Exportland Österreich treffen?
Strauss-Kahn: Es wäre unfair, Deutschland den Erfolg zum Vorwurf zu machen. Dennoch muss jedes Land der Eurozone bedenken, welche Konsequenzen seine wirtschaftspolitischen Entscheidungen auf andere Länder haben.

profil: Und dazu reicht der Stabilitätspakt nicht aus?
Strauss-Kahn: Nein, wir brauchen eine gemeinsame europäische Wirtschaftspolitik. Um diese bessere Koordination umsetzen zu können, muss Europa eine neue Regelung schaffen, die im Ernstfall einzelne Länder zwingen kann, sich an die Abmachungen zu halten. Wir brauchen ein Europa, das mehr Zähne zeigt.

profil: Wie könnte das aussehen?
Strauss-Kahn: Eine spontane Idee – und bitte, das soll nicht das eine Beispiel sein, sondern es ist das, was mir gerade als Erstes in den Sinn kommt: Man könnte die Vergabe von Mitteln aus dem Strukturfonds daran knüpfen, wie genau ein Land die Stabilitätskriterien einhält. Warum sollte man nicht positive Anreize schaffen, wenn ein Land die Vorgaben einhält? Dass Koordination fehlt, ist in ruhigen Zeiten akzeptabel. Aber in stürmischen Zeiten kommen die Schwächen klar zum Vorschein.

profil: Viele sehen es als Schwäche an, dass Europa den IWF im Falle Griechenlands zu Hilfe bittet. War es eine gute Idee, den Währungsfonds mit ins Boot zu holen? Die Griechen scheinen davon nicht restlos überzeugt zu sein ...
Strauss-Kahn: Wir stehen bereit, wenn uns ein Mitgliedsland um Hilfe bittet. Aber nicht die EU ist unser Mitglied, sondern Griechenland. Das heißt: Griechenland selbst muss uns bitten – nicht die EU. Erst dann werden wir eingreifen. Ich hoffe, dass es dazu gar nicht erst kommen muss.

profil: Auch alle anderen Euroländer werden in den kommenden Jahren noch tiefer verschuldet sein, als sie es jetzt schon sind. Gibt es einen Ausweg?
Strauss-Kahn:
Ja, der Weg aus der Verschuldung führt in den meisten Ländern über eine Reform der Gesundheits- oder Pensionssysteme. Das gilt besonders für Europa. Denn viele europäische Länder werden in den kommenden Jahren massiv mit dem Problem der alternden Gesellschaft zu kämpfen haben. Wenn sie dabei an den Sozialsystemen ansetzen, können sie Schulden der Zukunft drücken, ohne jetzt sofort sparen zu müssen. Denn das wäre nicht sinnvoll, weil die Krise noch nicht ausgestanden ist.

profil: Das heißt aber, dass mittelfristig kein Platz mehr für den Sozialstaat ist?
Strauss-Kahn:
Doch, aber die Staaten dürfen nicht blind sein. Sie haben weniger Steuereinnahmen durch die Krise, mehr Schulden, und obendrein kommen noch immer mehr Bezugsempfänger auf immer weniger Steuerzahler.

profil: Und die einzige Lösung ist, Pensionen zu kürzen?
Strauss-Kahn: Das bedeutet nicht automatisch eine Kürzung der Bezüge. Das kann auch eine Umverteilung bedeuten. Oder eine Anhebung des Pensionsalters. Das halte ich für eine sehr wichtige Thematik, da ja auch die Lebenserwartung ständig steigt.

profil: Die Staaten könnten sich aber auch über eine höhere Inflation entschulden.
Strauss-Kahn: Nein, Inflation ist nicht der Ausweg. Allerdings schadet eine kleine Inflation um die ein, zwei Prozent nicht.

profil: Sind auch vier Prozent Inflation noch eine kleine, harmlose Inflation?
Strauss-Kahn: Ich weiß, worauf Sie hinauswollen …

profil: IWF-Chefökonom Olivier Blanchard hat kürzlich ein Papier vorgestellt, in dem er zur Diskussion stellt, ob vier Prozent Inflation denkbar wären – statt der bisher von den Zentral­banken angepeilten Inflation von rund zwei Prozent. War das Papier mit Ihnen abgesprochen?
Strauss-Kahn: Natürlich war ich unterrichtet. Das Papier sollte einen Denkanstoß geben. Es sollte hingegen nicht aussagen, dass wir vier Prozent Inflation für gut befinden. Doch wir müssen in den kommenden Jahren diskutieren, wie hoch Inflation sein soll. Diese Frage ist äußerst wichtig. Und ich finde es gut, wenn der IWF neue Ideen hervorbringt und den Anstoß zu einer Diskussion gibt.

profil: Sie haben in Ihrer bisherigen Amtszeit den IWF mit neuen Ideen kräftig umgekrempelt. Kann es sein, dass Sie im Herzen nicht Sozialist, sondern eigentlich ein Revolutionär sind?
Strauss-Kahn: Was für eine Frage! Ich fürchte, ich bin kein Revolutionär. Aber wenn die Frage auf den IWF gemünzt ist: Ja, ich bin bereit, Dinge zu verändern.

profil: Wie zum Beispiel die häufig kritisierte Auflagenpolitik des IWF, die Sie aufgeweicht haben ...
Strauss-Kahn: Wir sind nicht weicher geworden, sondern zielgerichteter. Ja, es stimmt, dass wir aus Fehlern der Vergangenheit gelernt haben. Doch der Fehler war nicht, die finanziellen Hilfen mit Bedingungen zu versehen. Jeder Politiker weiß, dass die Bedingungen unerlässlich sind, wenn das Programm effektiv sein soll. Mit dem IWF ist das wie mit einem Arzt: Wenn er gerufen wird, dann verschreibt er nicht nur Medizin, sondern sagt auch, wie sie angewendet werden muss. Was wir gelernt haben, ist, dass wir nur noch die Krankheiten behandeln, wegen der wir gerufen wurden. Früher neigte der IWF dazu, gleich die Füße mit zu kurieren, wenn der Patient Halsweh hatte. Das hat die Länder vielfach überfordert. Jetzt geben wir in so einem Fall wirklich nur mehr die Halstabletten heraus. Wir sind nicht die „Bad Guys“, als die wir hingestellt werden. Die Politiker suchen in solchen schwierigen Situationen immer jemanden, auf den sie die Verantwortung abschieben können, wenn schmerzhafte Reformen anstehen. Aber ich bin nicht böse, der Sündenbock zu sein. Ich kann das gut verstehen, ich war lange genug selbst Politiker … Und wenn es am Ende dazu dient, dass die Bevölkerung die Maßnahmen ihrer Regierung mitträgt, dann ist das okay.

profil: Hätten Sie den IWF gern als obersten Regulator gesehen, wie er einige Zeit in der Diskussion war?
Strauss-Kahn: Mehr Regulierung und Aufsicht sind dringend notwendig. Aber die Aufgabe des obersten Regulators haben die Staats- und Regierungschefs beim Treffen der G 20 dem Financial Stability Board zugewiesen. Wenn die Vorschläge ausgearbeitet sind, können sie von den Nationalstaaten in eigenes Recht übersetzt werden. Und dann, am Ende des Wegs, stehen wir und werden die Umsetzung dieser Regeln überwachen.

profil: Trotzdem mischt sich der IWF gern in die Diskussion über neue Regulierung ein. Gerade wird ein Papier zur Besteuerung des Finanzsektors vorbereitet.
Strauss-Kahn: Ja, eine solche Besteuerung ist immer schwierig zu definieren und einzuführen, aber die Details, wie eine solche Transaktionssteuer oder eine Bankensteuer aussehen kann, werden wir demnächst veröffentlichen. Denn eins ist klar: Die Banken müssen an den Kosten künftiger Krisen beteiligt werden. Wenn man dieses Instrument geschickt einsetzt, kann man damit aber auch das Ziel erreichen, das Verhalten der Marktteilnehmer zu verändern.

profil: Sie haben eingangs gesagt, dass Ihnen das Bild des Retters gefällt. Würden Sie sich auch in der Rolle des Retters Frankreichs gefallen? Umfragen zufolge hätten Sie die besten Chancen, der nächste französische Präsident zu werden.
Strauss-Kahn:
Ich bin Chef des IWF, und diese Aufgabe füllt mich aus. Es gibt Menschen, die in der Vergangenheit leben, und es gibt Menschen, die in der Zukunft leben. Ich lebe im Hier und Jetzt.