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Jazzer Wolfgang Muthspiel tritt als Singer-Songwriter auf

Pop. Jazzer Wolfgang Muthspiel tritt als Singer-Songwriter auf

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Von Philip Dulle

Auf wie vielen Jazzalben Wolfgang Muthspiel bisher mitgewirkt hat, weiß er selbst nicht mehr so genau. Wahrscheinlich sind es 29, es könnten aber auch ein paar mehr sein. Es sei übrigens kein Zufall, dass es an der Zeit war, etwas Neues zu probieren. Obwohl „neu“ auch nicht der richtige Begriff ist, denn auf seine Gitarre kann und will der aus der steirischen Kleinstadt Judenburg gebürtige 47-Jährige weiterhin nicht verzichten; ­allerdings erweitert er nun sein musika­lisches Spektrum um eine bedeutende ­Facette: seine Stimme.

Alles andere als einfach sei es gewesen, den gewohnten Rahmen, das sichere Feld des Instrumentalisten und versierten Jazzgitarristen, zu verlassen, sagt Muthspiel; nicht nur ihm selbst erschien das alles ungewohnt, sondern auch seinem Pressebetreuer, der bei den ersten Hörproben des neuen Albums so nervös war, als hätte er einen Debütanten vor sich und nicht einen der profiliertesten Musiker der europäischen Jazzszene.

Im Interview mit profil, das im stickigen Hinterzimmer eines Hotels in Wien-Neubau stattfindet, wirkt Wolfgang Muthspiel dann aber entspannt, checkt noch schnell ein paar lästige, leider notwendige E-Mails (er betreibt nebenbei sein eigenes Mu­siklabel), changiert zwischen freund­lichem Du und professionellem Sie und versucht das Herantasten an seine neue Stimmlichkeit so zu erklären: „Die Position des Singer-Songwriters, der auf Gitarre und Text reduziert ist, fasziniert mich seit Langem“, schwärmt er; er habe es sich „nur nie zugetraut und daher ausschließlich für andere Musiker getextet. Dabei sei der Prozess des Komponierens, des Textens und Liedersuchens genau der Rausch, nach dem er sich sehne. Und auch wenn es sich um eine Arbeit im Stillen, um ein introvertiertes Experimentieren handle, fühle er sich dabei doch alles andere als einsam. „Das Suchen und Finden eines Songs ist das Schönste – das Elixier, die Nahrung und der Grund, warum ich Musiker bin. Als ich begann, für meine eigene Stimme zu komponieren, war das ein äußerst inspirierender, ein kathartischer Moment.“

So verwandelte sich der Musikprofi Muthspiel, der bereits als Sechsjähriger zur Violine gegriffen und mit 15 zur Gitarre gewechselt hatte, wieder in den Schüler Muthspiel, der vor eineinhalb Jahren bei einer klassischen Sängerin Gesangsstunden zu nehmen begann und sich erstmals mit dem körperlichen Prozess der Stimmfindung befassen musste. Auf „Vienna Naked“ spiegelt sich dieser Lernprozess wider: Muthspiel konfrontiert sein improvisierendes, nervöses Gitarrenspiel mit sympathisch amateurhaftem Gesang, und die in englischer Sprache gehaltenen Texte ­geben viel Persönliches wieder; von der namensgebenden dunklen Ballade über seine aktuelle Wahlheimat Wien („Vienna“) bis zur Liebesabrechnung („Lonely Together“) und der Angst vor dem Alleinsein („Empty House“). „Ich versuche bewusst nicht mit jenen Dingen zu punkten, die ich bereits beherrsche“, stellt er lakonisch fest.

Für Muthspiel, der in Gedanken ohnehin schon in seinem nächsten Projekt steckt, ist die Arbeit an „Vienna Naked“ abgeschlossen; im Rahmen der Live-Präsentation in einigen Wochen wird er es bereits mit eigenem Trio vorstellen. Für sein nächstes Album tüftelt Muthspiel, der 15 Jahre lang in Boston und New York lebte, an einer musikalischen Reise, die zu befreundeten Musikern rund um den Globus führen soll. „Vielleicht zieht es mich ja wieder nach New York“, mutmaßt Wolfgang Muthspiel noch, zündet sich nachdenklich eine Zigarette an und überlegt kurz – „oder doch zurück in die Steiermark? Wer weiß das schon.“

Live gastiert Wolfgang Muthspiel am 30. Juni im Rahmen des Jazz Fest Wien im WUK.