Zeit ist für Politiker ein äußerst relativer Begriff. Manch ein Problem liegt jahre- oder jahrzehntelang auf Eis und auf einmal kann es mit der Lösung gar nicht schnell genug gehen. Wilhelm Molterer, Klubobmann der ÖVP im Parlament, hat es derzeit besonders eilig. Bei der Rehabilitierung von Wehrmachtsdeserteuren hoffe er auf einen möglichst raschen Konsens, sagte er am 22. April. Molterer würde es absolut begrüßen, wenn diese Einigung noch im ersten Halbjahr 2005 gelänge. Die ÖVP, so der Klubobmann, werde jedenfalls ihren Beitrag dazu leisten.
Vier Tage zuvor hatte der mittlerweile zurückgetretene BZÖ-Bundesrat Siegfried Kampl die Wehrmachtsdeserteure als zum Teil Kameradenmörder bezeichnet. Kann gut sein, dass Molterers plötzliche Eile damit in Zusammenhang steht.
Keine Eile. Bisher war bei diesem Thema von übertriebener Hast jedenfalls keine Rede gewesen. 60 Jahre nach Kriegsende warten die wenigen noch lebenden Deserteure aus Hitlers Wehrmacht nach wie vor auf eine angemessene Form der Rehabilitierung. Im großen Gedenkjahr 2005 soll es nun endlich so weit sein.
Doch ob es, wie von der ÖVP angestrebt, wirklich noch vor dem Sommer zu einer 4-Parteien-Lösung kommen wird, ist äußerst fraglich. SPÖ und Grüne sind zwar dafür, aber die FPÖ blockierte bisher den großen Schulterschluss. Das BZÖ-geführte Justizministerium ließ erst vor Kurzem ausrichten, es bestehe juristisch kein Handlungsbedarf.
Die grüne Nationalratsabgeordnete Terezija Stoisits, die sich seit Jahren für die Rechte der Deserteure einsetzt, befürchtet nun, dass die ÖVP wieder auf den Regierungspartner Rücksicht nehmen wird. Doch nach all den Jahren dürfe kein fauler Kompromiss herauskommen, sagt Stoisits. Sie könne nur zustimmen, wenn es zu einer umfassenden, kollektiven Rehabilitierung komme.
Wie viele Österreicher aus der Hitler-Armee geflohen sind, ist nicht genau feststellbar. Wissenschaftler schätzen, dass es rund 10.000 österreichische Deserteure gegeben habe. Jeder einzelne ging ein enormes Risiko ein, denn die NS-Justiz verfolgte die Fahnenflüchtigen mit unglaublicher Brutalität: Mehr als 20.000 Todesurteile wurden insgesamt ausgesprochen, 15.000 vollstreckt. Die übrigen Delinquenten landeten in Todesarbeitslagern oder wurden als Kanonenfutter an die Front geschickt. Wer den Krieg überlebte, musste sich daheim oft als Verräter beschimpfen lassen. Nur wenige erreichten eine Aufhebung ihrer Verurteilung durch Einzelanträge.
Erst im Jahr 1999 raffte sich der Nationalrat zu einer Prüfung der Sachlage auf. Auf Initiative der Grünen kam es damals zu einem Entschließungsantrag. Mit der Zustimmung von vier Parteien (SPÖ, ÖVP, Grüne und Liberales Forum) und gegen die Stimmen der Freiheitlichen wurde beschlossen, die Verurteilungen von Österreichern durch die NS-Militärgerichte historisch aufzuarbeiten und an-schließend formell aufzuheben.
Altes Gesetz. Im Juni 2003 wurden die Forschungsergebnisse der Historikerkommission präsentiert. Sie enthielten eine Überraschung: Schon 1946 waren die Urteile der NS-Justiz in der so genannten Befreiungsamnestie aufgehoben worden. Seither stand das Justizministerium auf dem Standpunkt, dass man Verurteilungen, die nicht mehr gelten, auch nicht aufheben könne.
Maria Fekter, VP-Nationalratsabgeordnete und Vorsitzende des Justizausschusses, sieht das im Prinzip genauso. Sie räumt aber ein, dass die Problematik nicht nur durch Paragrafen zu lösen ist. In Wirklichkeit geht es um ein Signal. Der Gesetzgeber muss klarstellen, wie er zu der Frage steht. Auch eine Neufassung des Gesetzes könne sie sich vorstellen.
Bereits vor drei Jahren haben die Grünen einen Gesetzesvorschlag des Linzer Universitätsprofessors Reinhard Moos als Antrag im Nationalrat eingebracht. Seither wird das Papier herumgeschoben, wir haben zig Kompromissvorschläge gemacht, aber nichts ist passiert, klagt Terezija Stoisits. Ein Fristsetzungsantrag der Grünen wurde erst in der Vorwoche mit den Stimmen von ÖVP, FPÖ und BZÖ abgelehnt.
Am gleichen Sitzungstag machte jedoch Herbert Haupt, der als FP-Sozialminister stets gegen eine pauschale Rehabilitierung der Deserteure gewesen war, einen bemerkenswerten Schwenk. In seiner Ansprache erklärte er verschwurbelt wie immer: Ich bin überzeugt, dass wir aus Anlass des 60. Jahrestages der Wiedererrichtung der Republik und aus der Tatsache 85 Jahre Kärntner Volksabstimmung ( ) eine gemeinsame Beschlussfassung im Parlament zustande bringen werden, die einerseits den Opfern Recht gibt und zum Zweiten für jenen Teil des Bundeslandes Kärnten, wo die Volksabstimmung gegeben war, zu einer ( ) Abstimmungsjubiläumsspende führen wird.
Heißt übersetzt: Wenn für den Kärntner Abwehrkämpferbund etwas herausschaut, dann vielleicht auch für die Deserteure.
Von Rosemarie Schwaiger