Eatdrink: Klaus Kamolz

eatdrink von Klaus Kamolz Le Beisl existe!

Le Beisl existe!

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Es war ausgerechnet eine radikale Negation, die den Wiener Essayisten Franz Schuh vor Jahren dazu verlockte, in einem sehr schönen Text über das Abgestrittene zu sinnieren. Der französische Psychoanalytiker Jacques Lacan hatte, zu Besuch bei Schuh in Wien, aus heiterem Himmel ausgerufen: "Le Beisl n’existe pas!“ Es kam darüber, über diesen im Grunde dadaistischen Anfall des Freud-Interpreten, angeblich sogar zum Bruch zwischen den beiden; ein Derivat dieser Episode ist jedenfalls Schuhs Essay "Das Beisl im Eck“, in dem er die damals geltenden Kriterien für das sehr wohl existierende Beisl definierte: öliger Fußboden, wuchtige Schank, schwere Flaschen (vulgo Doppler), auf Resopal klatschende Spielkarten und die dazugehörenden "Wos liegt, des pickt“-Rufe, fahrlässig gezapftes Bier.

Ich möchte das gerne noch ergänzen: Schlecht frequentierte Lage (man muss in so ein Beisl hinwollen oder gleich ums Eck wohnen), äußerst mittelmäßige Küche, die auf einer - du meine Güte, das gab’s ja auch einmal - hektografierten Speisekarte angekündigt wird, und, besonders wichtig: Wenn man nach dem Beisl-Besuch einen frischen Fisch über Nacht in den Jackenärmel steckte, musste der am nächsten Morgen kalt geräuchert sein.

Seit der boboeske Hedonismus und verhatschte, aber immerhin doch etwas strengere Rauchergesetze sich in Wien breitgemacht haben, tun sich solche Beisln schwer. Wer aber Gespür hat für die neuen Bedürfnisse der Gäste, kann mit einem Beisl durchaus reüssieren. Das vor wenigen Wochen eröffnete "Gasthaus Wolf“ ist, ich sage es gleich, ein lange nicht mehr da gewesener Glücksfall in authentischer Lage, nämlich dort, wo der Bobo-Planet Naschmarktviertel ausläuft und man von dieser Scheibe in die Vorstadt stürzt; Laufkundschaft gibt es hier kaum, nur Wolf-Geher.

Jürgen-Wolf-Geher. Der Wirt und Koch ist in der Stadt kein ganz Unbekannter. Er leitete das Kulturcafé im ORF-Funkhaus und hatte da und dort schon eigene Beisln. Am bedeutendsten erscheint mir aber der Stall, aus dem er kommt; es ist der des mittlerweile verstorbenen Grande-Cuisine-Doyens Rudi Kellner. Und der galt nicht als einer, dem man mit Pseudokreativität und Schnickschnack kommen brauchte.

Deshalb gibt es heute im "Gasthaus Wolf“ beglückende Gerichte. Fangen wir mit dem hinreißenden Hühnerleberparfait an: schnittfest, in eine hauchdünne Fettschicht gehüllt, rosa strahlend, absolut perfekt abgeschmeckt, mit knusprigem Brioche serviert. Und draußen, auf der bordeauxroten Schank, hängt eine Kreidetafel, auf der steht: "Pinot Gris 2003, Lentsch“. Er kommt aus der Magnum und scheint wie für dieses Parfait gemacht; allein diese Kombi ist den Besuch wert. Es gibt derzeit auch kaum ein besseres Kalbsrahmbeuschel in Wien. Und wo bitte gibt es noch ein mit dem Kopffleisch gefülltes gebackenes Schweinsohr mit hübsch süßsaurem Radigemüse? Mehr als satisfaktionsfähig sind auch die geröstete Kalbsleber und das mit Burgunder geschmorte Ochsenschleppragout (Aber hoppla, da ist was passiert: Die Polentascheiben dazu darf man bitte nicht heillos verkokeln).

Reservieren ist jedenfalls angezeigt; ach, und die Sache mit dem Räucherfisch aus der Jacke funktioniert auch: Im Schankraum darf um die Wette gequalmt werden. Le Beisl existe encore.

Gasthaus Wolf
Große Neugasse 20/Rienößlgasse 1040 Wien
Tel.: 01/581 15 44
So. geschlossen
www.gasthauswolf.at
Hauptgerichte: 8,80 bis 24,80 Euro

[email protected]