Eatdrink: Klaus Kamolz

eatdrink von Klaus Kamolz Nächster Halt: „Diverso“

Nächster Halt: „Diverso“

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Unschlüssigkeit, worüber ich diesmal zuerst referieren sollte. Nahe läge ja, über einen Koch zu berichten, der in seinen besten Momenten Gerichte aus der Küche schiebt, die man nicht so schnell vergisst – und das in durchwegs positivem Sinne. Man könnte sich allerdings auch die Frage stellen, ob dieser Koch ein gutes Händchen hat für die Auswahl der Herde, an denen er sich verwirklichen will. Und verwirklichen will sich der, keine Frage. Nicht zuletzt könnten auch tote Ecken das Thema sein – Grätzeln, in denen bitterer Mangel herrscht an satisfaktionsfähigen Speisehäusern, wobei Henne und Ei darüber in Streit geraten mögen, ob in solchen Gegenden nicht einmal das „Steirereck“ funktionieren würde, kurzum: Ist die Ecke tot, weil es hier keine Lokale gibt, oder gibt es keine Lokale, weil die Ecke tot ist?

Mommsengasse, Wien-Wieden, knapp vor dem Gürtel, wo sich diese endlose Weite hinzieht, die früher einmal der Südbahnhof war. Hier trägt die Vorstadt ihre Sonntagsfassaden, damit man nicht merkt, dass sie letztlich doch Vorstadt ist.
Vor etwa zwei Jahren sperrte in dem Viertel ein Italiener auf, der sich vor allem durch sein Design von jenem Italiener ab­setzen wollte, der ­vorher in diesen Räumen seinen Geschäften nachging. Wuchtige Industrielampen, ein wenig Beton, viel Holz. Und keinerlei Schnickschnack. Eben ein wenig anders als die meisten Italiener.

„Diverso“ – so heißt das Restaurant, in dem seit Kurzem Alexander Mayer kocht. Jener Alexander Mayer, der an dieser Stelle immer wieder auftaucht, weil er mit viel Enthusiasmus eine Küche übernimmt, sich bald darauf vom Erdboden verschlucken lässt und irgendwo anders wieder auftaucht. Zuletzt durfte Mayer vor zwei Jahren hier davon schwärmen, dass er endlich einen Partner gefunden hat, der ihn nicht zurechtkujoniert, wenn er kompromisslos hochwertig einkauft. Das war im „Martin“ in der Wiener Gumpendorfer Straße. Aber bald danach ging ich dort vorbei und entdeckte ein Schild, auf dem stand, dass wegen eines Wasserrohrbruchs vorübergehend geschlossen sei. Nun ja, heute habe ich so meine Vermutungen, wer Mr. Wasserrohrbruch damals war.

Jedenfalls wurde für Mayer im „Diverso“ das Küchenkonzept über den Haufen und die Italianità über Bord geworfen. Mayer macht so was nicht, er fühlt sich einer klassischen Linie verpflichtet, deren Wurzeln in Frankreich liegen. Deshalb hat er auch seine Klassiker mit übersiedelt: eines der besten Beef Tatar der Stadt oder die großartige Bouillabaisse von Süßwasserfischen. Man findet solche Gerichte auf der Karte im Kapitel
„AM Classics“: An Selbstbewusstsein mangelt es Mayer nicht. Aber es gibt auch Dinge, die ich noch nicht kannte: eine dicke Schnitte von der Forelle, auf der Haut gebraten, mit eingelegten Steinpilzen und gelierten grünen Paradeisern. Ein Taschenkrebstatar mit Karfiolpüree und Rettich. Oder einen gebackenen Kabeljau mit einer Remoulade, in der Gurken, Kapern, Eier und Rote Rüben stecken. Dieser Kabeljau ist, wie auch andere Fischgerichte, bis auf den kleinen glasigen Kern auf den Punkt gegart.

Luftig hebt sich die knusprige meersalzige Panier vom Fisch ab – mit der fein abgeschmeckten Remoulade ein perfekter Fischgang. Das machen ihm in Wien nicht viele nach. Trotzdem wirkt Mayers Küche manchmal ein klein wenig läppisch: Da sind die Pünktchen, die er auf Scheibchen von Rettich und sonstigem Gemüse malt, die Anordnungen auf den Tellern, bei denen die einzelnen Komponenten verloren im Raum schweben wie die Figuren auf einem Bild von Miró. Ich würde sagen: Nineties.

Weit herumgesprochen dürften sich Mayers feine Kreationen im „Diverso“ allerdings noch nicht haben. Um 20 Uhr haben die letzten Botschaftsangestellten aus dem Grätzel ihr leichtes Abendessen hinter sich gebracht. Das Restaurant ist nahezu leer, es wird sehr leise. Kurz nach zehn schließt die Küche, Mayer geht nach Hause. Man darf gespannt sein, wie oft er wiederkehrt. Seine Küche ist jedenfalls einen Besuch wert; das entspannte Gefühl, einen schönen Abend in einem stimmungsvollen Restaurant zu verbringen, das die Franzosen Le Fooding nennen, stellt sich hier aber nicht ein.

Restaurant Diverso
Mommsengasse 2, 1040 Wien
Tel.: 01/945 10 16
Sa., So., Fei. geschlossen
www.diverso.at
Hauptgerichte: 18,50 bis 25 Euro

[email protected]