Papiertiger

Die Zeitungen stehen in einem schweren Existenzkampf

Medien. Die Zeitungen stehen in einem schweren Existenzkampf – auch in Österreich

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Das Blatt hatte Storys aus Frankreich, Italien, England und Polen, Mitarbeiter berichteten aus der Türkei, Ungarn und Siebenbürgen. Nicht schlecht für die erste Zeitung der Geschichte. Man schrieb 1605, und der Redaktionssitz dieser „Relation aller Fuernemmen und gedenckwürdigen Historien“, die fast dreißig Jahre lang Woche für Woche erschien, war Straßburg.

In den folgenden Jahrhunderten sollte dieses Medium die Welt verändern: Für seine Freiheit fegten Revolutionen über den Kontinent, Zeitungen riefen zu Kriegen auf, schickten ihre Berichterstatter auf alle Schlachtfelder und suchten danach die Schuldigen der Gemetzel. Sie logen, betrogen, überführten Betrüger und klärten auf. Zeitungen machten Geschichte.

Jetzt könnten sie bald selbst Teil dieser Geschichte sein. In praktisch allen Industrieländern verfallen die Verkaufszahlen – teilweise sogar dramatisch. Die Verluste treffen Qualitätspresse wie Boulevard. Die deutsche „Bild“, Mutter aller Boulevardzeitungen, büßte im dritten Quartal 2012 gegenüber dem Vorjahr 5,5 Prozent ihrer verkauften Auflage ein, „Bild am Sonntag“ verlor gar acht Prozent. Minus fünf Prozent schlagen beim „Stern“ zu Buche, im Kioskverkauf setzte es ein Minus von 15 Prozent. Bei der „Bunten“ grübelt man über verlorene zehn Prozent an Reichweite. „Brigitte“ traf es mit minus elf Prozent. Auch der qualitätsbewusste „Spiegel“ musste Federn lassen: minus sieben Prozent im Freiverkauf, minus vier bei den Abos.

Den ultimativen Schock setzte es vergangene Woche: Ab Jänner sei „News­week“ nur noch digital verfügbar, die Printausgabe werde eingestellt, so der New Yorker Verlag. „Newsweek“, der Leuchtturm im Magazin-Meer – ein Untergang mit Symbolkraft.

Nichts ist mehr sicher: Der Verlag der deutschen Rechtschreibbibel Duden kündigte 170 seiner 190 Mitarbeiter, für die Online-Variante reichen 20 Leute. Der Kinderklassiker „Fix und Foxi“ ist seit vergangener Woche in Form von E-Books und Apps, aber nicht mehr auf Papier zu haben. Besonders frappierend: Clark Kent, die Tarn-Identität der Comicfigur „Superman“, kündigte in der am Mittwoch erschienenen Ausgabe seinen Job als Reporter beim „Daily Planet“ und wurde zum Blogger.

Nur konsequent erschien es da, als Mathias Döpfner, Vorstandschef des deutschen Springer Verlags, unlängst einen Investitionsstopp für das traditionelle Printgeschäft verkündete.

Wie tief die dunklen Krisenwolken auch über Österreich hängen, demons­trierte die Branche am Donnerstag der Vorwoche selbst: Fast alle Tageszeitungen des Landes erschienen mit einem aufrufartigen Ganzseiten-Inserat am Titel, in dem der Verband Österreichischer Zeitungen (VÖZ) etwas verzweifelt um den Goodwill der Leser warb: „Was wäre die öffentliche Meinung ohne jemanden, der sie veröffentlicht?“

Dabei ist die Lage in Österreich auf den ersten Blick weit besser als in den meisten anderen Ländern: Noch immer lesen 70 Prozent der über 14-Jährigen wenigstens hin und wieder eine Tageszeitung. International ist das ein Spitzenwert: In Großbritannien schmökern gerade 55 Prozent in einer Daily, in Italien 45 und in den USA gar bloß 38 Prozent.

Doch hinter der hierzulande immer noch hohen Leserzahl verbergen sich bittere Wahrheiten. So verliert die Branche seit fast 30 Jahren ständig Jobs. Als Mitte der achtziger Jahre alle Zeitungen von Blei- auf Fotosatz umstellten, wurden schlagartig traditionsreiche Berufe wie der des Schriftsetzers und des Metteurs abgeschafft. Bald folgten Drucker und Fotolaboranten. Viele der Betroffenen waren jahrelang arbeitslos. Wer Glück hatte, wurde zum Bildschirm-Layouter umgeschult oder in die Frühpension geschubst.

Die so erzielten Produktivitätssteigerungen und die vergleichsweise lebhafte Konjunktur bescherten den Verlagen schöne Gewinne. Die Mediaprint, die gemeinsame Vertriebs- und Anzeigentochter von „Kurier“ und „Kronen Zeitung“, verdiente zu Beginn der Nullerjahre stets um die 35 Millionen Euro. Zuletzt waren es nicht einmal mehr zehn. Große Verlagshäuser verlangten in jenen rosigen Jahren von ihren Töchtern Umsatzrenditen im zweistelligen Bereich. Heute kann sich glücklich schätzen, wer keine Verluste einfährt.

Die hohe Reichweite der österreichischen Tageszeitungen ist ein Potemkinsches Dorf: Wohl greifen noch zwei von drei Erwachsenen zu einer Zeitung, aber bereits jedes vierte Exemplar ist ein Gratisblatt – hochgepusht durch üppige Regierungsinserate.

Die Auflagen der Kaufzeitungen gingen durchwegs zurück, zum Teil dramatisch: Die „Kronen Zeitung“ verkauft heute im Tagesschnitt immer noch 812.000 Stück – aber das sind um 100.000 weniger als vor zehn Jahren. Der „Kurier“ setzt um 30.000 Stück weniger ab, die „Presse“ verlor 20.000 Käufer und hält sich gerade noch knapp über der 70.000er-Marke. Nur eine einzige Kaufzeitung, die in der Regionalberichterstattung der Steiermark und Kärntens unschlagbare „Kleine“, gewann seit 2002 leicht hinzu.

„Im internationalen Vergleich sind die Auflagen in Österreich immer noch hoch, weil die Zeitungen bei uns so hohe Abo-Anteile haben“, befundet Gerald Grünberger, Geschäftsführer des Zeitungsverbands. Tatsächlich beziehen 80 Prozent der „Krone“-Leser ihr Kleinformat im Abonnement. Beim „Kurier“ liegt der Abo-Anteil mit 70 Prozent nur wenig darunter.
Nicht die Immer-schon-Leser, sondern die Jungen gingen den Zeitungen in den letzten Jahren verloren. Die Generation 60 plus blieb dem Papier treu, in allen anderen Alterskategorien wird weniger Zeitung gelesen als früher (Grafik Seite 22). Je jünger potenzielle Leser sind, desto häufiger informieren sie sich im Internet, und immer öfter tun sie das ausschließlich im Internet und via Smartphone – 28 Prozent der Besitzer nehmen ihres sogar auf die Toilette mit, ergab kürzlich eine Umfrage.

2008 hatte das Netz in Österreich erstmals eine größere Reichweite als das Fernsehen, voraussichtlich 2013 wird es auch die Tageszeitungen überholen. Nur das gute alte Radio – 82 Prozent der Österreicher horchen täglich mindestens einmal hinein – wird wohl noch länger Reichweitenkönig bleiben.

Die österreichischen Printmedien-Verlage reagieren auf die Malaise mit gravierenden Einsparungen.

So soll etwa bei „Presse“ und „WirtschaftsBlatt“, beide im Portefeuille des kircheneigenen Styria Verlags, nach Allerheiligen ein einschneidendes Maßnahmenpaket verkündet werden. Im Gespräch ist die Zusammenlegung von Ressorts, auch von rund 40 Kündigungen wurde gemunkelt. In der „Presse“-Redaktion stoßen solche Pläne auf Bitterkeit: Immerhin stampfen die Mitarbeiter seit drei Jahren eine bemerkenswerte Sonntagsausgabe aus dem Boden, ohne dafür mehr bezahlt zu bekommen.

Die Diskussion über das Styria-Spar­paket verlief hinter den Kulissen offenbar einigermaßen heftig. Im August wurde die Führungsgarnitur beider Blätter – „WirtschaftsBlatt“-Vorstandschef Hans Gasser, „WirtschaftsBlatt“-Chefredakteur Wolfgang Unterhuber, „Presse“-Chefredakteur Michael Fleischhacker und „Presse“-Geschäftsführer Reinhold Gmeinbauer – abgelöst. „Wir gehen die Veränderungen jetzt aus einer Position der finanziellen Stärke an, haben eine Investitionskraft wie nie zuvor“, verkündete Finanzvorstand Malte von Trotha damals ein Projekt, das so gar nicht dem jetzt kolportierten ähnelt.

Auch in der Austria Presse Agentur müssen bis Ende 2015 mehr als 1,5 Millionen Euro eingespart werden. In der Maximalvariante würde das den Verlust von 25 Dienstposten bedeuten. Im News Verlag, zu dem auch profil gehört, werden die Redaktionen bereits seit Jahren schrittweise verkleinert. In einigen Verlagseinheiten wurden die Budgets trotz durch Kollektivverträge steigender Kosten eingefroren.

Der „Standard“ zieht im Dezember aus dem Palais in der Wiener Herrengasse in das ehemalige Haus der Zentralsparkasse beim Bahnhof Wien-Mitte. Print und Online werden dann erstmals unter einem Dach sein. Skeptiker in der Redaktion erinnern an die bei Übersiedlungen von Medien übliche Praxis, auf dem Weg vom alten ins neue Quartier einige Mitarbeiter zu „verlieren“.

Eng werden Print und Online künftig auch im „Kurier“ verzahnt. Räumlich möglich wird das durch den geplanten Umzug aus der alten Heimat Wien-Neubau in einen Komplex bei der U-Bahn-Station Heiligenstadt. Dort werden, das wurde der Belegschaft bereits mitgeteilt, um 25 Mitarbeiter weniger als heute einen Schreibtisch beziehen. Schon 2011 hatte der „Kurier“ 36 Mitarbeiter gekündigt.

Für „Kurier“-Geschäftsführer Thomas Kralinger sind dafür zwei Faktoren maßgeblich: „Erstens fließt immer mehr Werbegeld ins Netz, und außerdem haben wir jetzt den zweiten Wirtschaftseinbruch in kurzer Abfolge.“ Um fünf Prozent steigen laut Kralinger im „Kurier“ die Personalkosten pro Jahr, während Großinserenten ihre Etats kappen, die Telekom Austria zuletzt um 60 Prozent.

Wie immer in Krisenzeiten steigt auch bei Österreichs Printmedien der Druck auf die Löhne. Vor allem um jene der Online-Redakteure und der freien Mitarbeiter ging es vergangenen Montag bei der ersten Journalisten-Demo der österreichischen Geschichte: Gut 500 Schreiber waren vor dem Haus des Zeitungsverbands aufmarschiert, um ihre Verhandler zu unterstützen. Die Verleger hatten vor drei Wochen den Kollektivvertrag gekündigt, eine für österreichische Verhältnisse äußerst drastische Maßnahme. Die Journalisten haben der Arbeitgeberseite überdies einen bösen Trick aus dem Jahr 1999 nicht verziehen: Die Gewerkschaft hatte damals einer starken Abflachung der Quinquennien für Printjournalisten (zehn Prozent mehr alle fünf Jahre) zugestimmt, wenn im Gegenzug die Online-Mitarbeiter in den Journalisten-Kollektivvertrag aufgenommen werden. Die Verleger gliederten den Online-Bereich dennoch in eigene Gesellschaften aus, wo bis heute der – weit schlechtere – Kollektivvertrag für EDV- und IT-Services gilt. Gewerkschaftspräsident Franz C. Bauer: „Das ist so, wie wenn du einen Büroangestellten nach Tischlerkollektivvertrag zahlst, weil er an einem Schreibtisch sitzt.“

Dass einige der Probleme der Zeitungen hausgemacht sind, zeigt das Beispiel der Mediaprint, der gemeinsamen Anzeigen-, Vertriebs- und Druckgesellschaft von „Krone“ und „Kurier“. In ihr haben die Familie Dichand (als 50-Prozent-Eigner der „Krone“), Raiffeisen (als 51-Prozent-Besitzer des „Kurier“) und die Westdeutsche Allgemeine Zeitung WAZ (hält 49 Prozent am „Kurier“ und 50 Prozent an der „Krone“) je zwei Sitze.

Dichand-Gruppe und WAZ liegen seit Jahren im Dauerstreit. Und weil der für die WAZ äußerst unglücklich formulierte Beteiligungsvertrag von 1987 deren Stimmbindung an Dichand vorsieht – man darf einander in der Mediaprint nicht überstimmen –, geht dort gar nichts mehr. Überdies sieht der Vertrag einen „Vorabgewinn“ für Dichand vor: Unabhängig vom Geschäftsverlauf stehen der Gründerfamilie 710.000 Euro monatlich als Fixum zu. Der darüber hinausgehende Gewinn wird später zugewiesen. Als das Geschäft in einem Jahr besonders schlecht lief, musste die WAZ in die eigene Tasche greifen, um Dichand den garantierten Gewinn auszuzahlen. Der Fixgewinn geht laut Vertrag nach dem Tod des Patriarchen an dessen Kinder und danach an die Enkelgeneration über.

Die WAZ würde ja aus dem Vertrag aussteigen, will aber für ihre 50 „Krone“-Prozent 350 Millionen Euro. Und die zahlt heute niemand mehr für eine Zeitungshälfte, noch dazu, wenn er dort nichts zu reden hat.
Indes wird das bemerkenswerte Gerücht kolportiert, die Dichands hätten Interesse am Fernsehsender ATV, an dem sie sich via „IP Österreich“ (einer gemeinsamen Vermarktungstochter von „Krone“ und RTL) beteiligen könnten. Genährt wird das Ondit durch die Entsendung des bisherigen IP-Österreich-Geschäftsführers Gerhard Riedler auf einen „Krone“-Sitz in der Mediaprint.

ATV gehört Herbert Kloiber, Chef der Tele-München-Gruppe. Der aus Wien stammende Kloiber hatte sich zuletzt in Interviews unzufrieden mit dem Geschäftsgang bei ATV gezeigt.

Dennoch liegt das neue Aufmarschfeld der gebeutelten Printmedien nicht beim TV, sondern im Internet. Von dessen Beginn an hatten die Zeitungen versucht, einen Fuß ins neue, weltweite Netz zu bekommen. Am konsequentesten war dabei der „Standard“, der eine der führenden Info-Sites des Landes betreibt. Ein Viertel des Umsatzes des Hauses macht heute standard.at. Mit der Internetseite wurde überdies zusätzliches Publikum erschlossen: Deren User überschneiden sich nach hausinternen Untersuchungen nur zu 15 Prozent mit den „Standard“-Lesern. Dennoch sei es „immer noch schwer, Online-Werbung zu verkaufen“, sagt standard.at.-Chefin Gerlinde Hinterleitner.

Auch „Kurier“-Geschäftsführer Thomas Kralinger glaubt nicht an das Paradies im Netz. Würde man die derzeit gratis abrufbaren Inhalte hinter einer Paywall verschwinden lassen, wie das einige österreichische Zeitungen bereits versuchsweise praktizieren, werde das die Einbußen im Printbereich auf absehbare Zeit nicht wettmachen können, glaubt Kralinger. Internationale Erfahrungen in durchaus machtvollen Medienhäusern geben ihm Recht: Als Rupert Murdoch 2010 „Times“ und „Sunday Times“ hinter eine Bezahlwand steckte, verschrumpelten ihre Online-Reichweiten auf ein Zehntel.

Als erfolgreiches Gegenbeispiel wird stets die „New York Times“ genannt. Im zweiten Anlauf – einer war 2009 gescheitert – scheint das Online-Abo-Modell zu funktionieren. Derzeit haben bereits 550.000 Abonnenten subskribiert. Preis: je nach Variante 15 bis 35 Dollar im Monat. Waren vorher die Vertriebserlöse der „New York Times“ jährlich um acht Prozent gesunken, freut man sich heuer über eine Erlössteigerung von ebenfalls acht Prozent. Wegen der Einbrüche im Anzeigengeschäft wird die „NYT“ dennoch auch heuer wieder Verluste machen. Ende September protestierten 400 Mitarbeiter in der Lobby des Redaktionsgebäudes in der 8th Avenue, weil ihnen die Verlagsleitung schon wieder Sparmaßnahmen angekündigt hatte.

In Österreich sind Bezahlschranken für Zeitungsinhalte im Netz auch wegen der Dominanz des ORF nicht wirklich erfolgversprechend: Warum sollte ein User für Nachrichten auf Zeitungs-Websites bezahlen, wenn sie der gebührenfinanzierte ORF gratis ins Netz stellt?

Die Verleger rufen in dieser Not den Staat zu Hilfe: Schon bei der letzten Jahrestagung hatten sie eine Erhöhung der Presseförderung von zehn auf fünfzig Millionen Euro gefordert. Zu deren Finanzierung denkt man sogar über eine neue Steuer nach: Im Unterschied zu Werbung in Print, Fernsehen und Radio wird die digitale Werbung derzeit nicht von einer Anzeigenabgabe erfasst. Und die Hälfte des auf 200 bis 250 Millionen Euro geschätzten Online-Werbevolumens geht an den US-Konzern Google, der in Österreich so gut wie keine Steuern bezahlt. VÖZ-Geschäftsführer Grünberger: „Es müsste halt gelingen, das legistisch zu fassen.“ Ebenfalls vorstellen kann man sich eine Art „Festplattenabgabe“, wie sie zuletzt die Autoren gefordert hatten. Eine ähnliche Abgabe auf Leerkassetten gibt es seit 1980.

Und wenn gar nichts mehr hilft, gibt es ja immer noch neue Geschäftsfelder. Sie sind derzeit dort zu finden, wo sie noch vor wenigen Jahren niemand vermutet hatte: Das heute mit Abstand erfolgreichste Magazin Deutschlands heißt „Landlust – die schönsten Seiten des Landlebens“. Seine Auflage ist im Vorjahr um 25 Prozent gestiegen und durchstieß kürzlich die Millionengrenze. Die aktuelle Ausgabe beschäftigt sich mit Weihnachtssternen, Winterküche und Wildkatzen. Da können Faymann, Spindel­egger und Stronach zugegebenermaßen nicht mithalten.