Über Gebühr: Auch der ORF ist betroffen

Medien: Über Gebühr

EU-Ermittlungen gegen öffentlich-rechtliche Sender

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Das Dossier umfasst 65 eng beschriebene Seiten und strotzt vor heftigen Anschuldigungen. Von „unerlaubten Quersubventionen“ ist da die Rede, von „mangelnder Transparenz“ und „wettbewerbsverzerrenden Geldflüssen“. Verfasserin des Berichts, der vorvergangene Woche an die Regierungen von Deutschland, Irland und den Niederlanden erging: EU-Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes. Im Zentrum ihrer Kritik: die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten dieser Länder.

Staatliche Sender wie die deutschen Anstalten ARD und ZDF sind zur Einhebung von Rundfunkgebühren berechtigt. Im Gegenzug müssen sie einem gesetzlich definierten Bildungs- und Versorgungsauftrag nachkommen. Laut Darstellung von Kommissarin Kroes bestehe allerdings der begründete Verdacht, dass die Gebühren nicht nur für die Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Auftrags, sondern teilweise auch zweckwidrig eingesetzt würden – zur Finanzierung kostspieliger Internetaktivitäten. Damit würden sich diese Rundfunkanstalten einen „unzulässigen Wettbewerbsvorteil“ gegenüber der privaten Konkurrenz schaffen.

Das 65-seitige Papier ist zwar in dieser Form nur nach Deutschland, Irland und die Niederlande gegangen. Doch längst ist auch der heimische ORF Gegenstand von Kroes’ Interesse. Bereits im Jänner hatte die Kommissarin die Bundesregierung um Auskunft über die Rechtslage in Österreich ersucht. Der Auslöser: eine mit 17. Oktober 2004 datierte Sachverhaltsdarstellung, welche der Wiener Universitätsprofessor für Medienrecht Heinz Wittmann im Auftrag des Verbandes Österreichischer Zeitungen (VÖZ) eingebracht hatte.1)

Wittmann moniert darin fehlende Transparenz der ORF-Finanzgebarung und äußert den Verdacht, dass die Online-Dienste stark aus dem gebührenfinanzierten Kerngeschäft des ORF quer subventioniert würden. Zumal dieser, wie Wittmann errechnet hat, mit durchschnittlich 220 Euro pro Haushalt und Jahr zu den Spitzenreitern bei den Gebühren in Europa zählt (siehe Grafik Seite 51).

Das VÖZ-Material reichte der EU jedenfalls, um auch die Sachlage in Österreich einer genaueren Betrachtung zu unterziehen. Eine Sprecherin der Kommission: „Die Untersuchungen sind jedoch noch in einem sehr frühen Stadium.“

Grenzgang. Die ORF-Spitze reagiert auf die Erhebungen der EU-Kommission vorerst demonstrativ gelassen. „Das war lediglich eine informelle Anfrage“, so ORF-Finanzchef Alexander Wrabetz. „Gut möglich, dass es in unserem Fall zu gar keinem richtigen Verfahren kommt.“

Wrabetz weiß durchaus ein paar gute Argumente auf seiner Seite: Während ARD und ZDF mehr als 80 Prozent ihrer Einnahmen aus Gebühren lukrieren, sind es beim ORF nicht einmal 50 Prozent. Und die Online-Aktivitäten sind, ebenfalls im Gegensatz zu Deutschland, dezidierter Bestandteil des geltenden Rundfunkgesetzes.

Dafür erlaubt sich der österreichische Gebührenfunk auch deutlich mehr Freiheiten. So sind auf den Internetseiten des ORF neben Nachrichten und Programminformation auch Angebote zu finden, die mit dem öffentlich-rechtlichen Bildungs- und Informationsauftrag nur schwer in Verbindung gebracht werden können: Klingeltöne zum Herunterladen, Kontaktbörsen, interaktive Spiele, eine eigene Suchmaschine, Comics, Diskussionsforen und diverse E-Mail-Services.

Woher das Geld für die ausufernde Online-Präsenz kommt, bleibt zumindest für Außenstehende schwer nachvollziehbar. Medienrechtler Wittmann: „Die Finanzierung des ORF war immer ein Tabu. Da fließt alles in einen Topf, und keiner weiß, wie viel wofür verwendet wird. Was wir fordern, ist eine echte Kostentransparenz.“ Der grüne ORF-Stiftungsrat Pius Strobl stellt daher die rhetorische Frage, „ob es notwendig ist, im Online-Bereich auch Geschäftsfelder zu eröffnen, die Private auch machen könnten“.

Der Vorwurf der Kritiker und Mitbewerber: Während die Printmedien ihre Online-Präsenz ausschließlich aus eigener Kraft finanzieren müssen, würde sich der ORF dazu auch aus dem Gebührentopf bedienen, was zu erheblicher Wettbewerbsverzerrung führe.

Tatsächlich erscheint es wenig glaubwürdig, dass der ORF eine 90-köpfige Online-Redaktion nur aus den Einnahmen einiger so genannter „Banner“-Inserate auf den Internetseiten finanzieren kann. Der VÖZ kommt in seiner Sachverhaltsdarstellung zur Ansicht, dass die dem Internetauftritt zuzurechnenden Einnahmen von rund vier Millionen Euro nur einen Bruchteil der Kosten abdecken würden. Zudem stellt auch die Übernahme von Informationen aus dem Radio- und Fernsehprogramm einen Wert dar, der den tatsächlichen Aufwendungen zugerechnet werden müsste. ORF-Finanzchef Alexander Wrabetz widerspricht dieser Argumentation: „Die Rechnung stimmt sicher nicht. In Summe ist es bei uns sogar so, dass wir einen Teil des öffentlich-rechtlichen Auftrages mit Einnahmen aus der Werbung quer finanzieren müssen.“

Wichtig ist die Online-Präsenz für den ORF in jedem Fall. Erwachsene Internetsurfer sollen damit ebenso vor den Fernseher gelockt werden wie Jugendliche – die potenzielle Zielgruppe von morgen. Laut Österreichischer Webanalyse genießt der ORF im Internet Reichweiten von bis zu 63 Prozent. Werte, die im TV-Geschäft schon seit Mitte der neunziger Jahre passé sind. Vor allem im Vergleich mit anderen Medien zeigt sich die Dominanz des Marktführers: Die Webanalyse wies für www.orf.at zuletzt monatlich mehr als zwei Millionen Zugriffe aus, österreichische Printmedien brachten es nicht einmal auf die Hälfte (siehe Grafik Seite 48).
Umso schmerzhafter wären demnach Einschnitte, welcher Art auch immer.

„Üble Entwicklung“. Sollte sich die EU-Kommission aus gegebenem Anlass genauer mit den Aktivitäten und der Gebarung des ORF auseinander setzen, könnte dies reichlich unangenehme Folgen haben. Denn auch im TV- und Radioprogramm selbst gönnt sich die öffentlich-rechtliche Anstalt da und dort ihr kleines Zubrot. Erst am Montag vergangener Woche befasste sich der Publikumsrat, ein 35-köpfiges Kontrollgremium, mit dem Thema Mehrwertnummern. Diese gebührenpflichtigen Telefondienste setzt der ORF immer wieder für Zuseherabstimmungen, aber auch bei einer neuen nächtlichen Quizshow ein. Allein an der jüngsten Vorausscheidung zum Eurovision Song Contest soll der ORF über die Mehrwertdienste 42.000 Euro lukriert haben. Zumal die Tarife pro Anruf zuletzt auf bis zu 50 Cent und mehr angehoben wurden. Harald Glatz, Konsumentenschützer der Arbeiterkammer und Publikumsrat, lässt an diesen Nebengeschäften kein gutes Haar: „Das ist eine üble Entwicklung. Deshalb haben wir uns auch energisch dagegen ausgesprochen.“ Elternvertreter Klaus Daubeck meinte gar: „Ich lehne Sendungen, die Geld abkassieren, in einem gebührenpflichtigen Rundfunk ab.“

Auch selbst oder in Kooperation mit deutschen Privatsendern produzierte Formate wie der „Bachelor“, „Starmania“ und zuletzt „Expedition Österreich“ werfen immer wieder die Frage auf, inwieweit diese ohne Verwendung von Gebühren finanziert werden können. Denn ein Teil der Produktionen dürfte die Kosten bei Weitem nicht eingespielt haben. Und zudem erhebt sich natürlich die Frage, ob eine öffentlich-rechtliche Anstalt Derartiges überhaupt produzieren soll und darf.

Sollte Brüssel ernsthaft darangehen, all dem einen Riegel vorzuschieben, könnte es für den Österreichischen Rundfunk finanziell höchst prekär werden: Die Werbeeinnahmen sind seit Jahren rückläufig, und die Ergebnisprognosen für die kommenden Jahre sind alles andere als erfreulich (siehe Kasten Seite 50). ÖVP-Nationalratsabgeordneter Ferry Maier: „Wenn die Frage der Quersubventionierung und die Widmung der Gebühren nicht geklärt ist, könnte das gemischte Finanzierungssystem gefährdet sein.“ Klaus Pekarek, Chef der Raiffeisenlandesbank Kärnten und Vorsitzender des ORF-Stiftungsrates, befürchtet gar Konsequenzen für die Seher und Hörer: „Bei den Kosten und den Werbeeinnahmen besteht kaum noch Spielraum. Wenn man den ORF in seiner derzeitigen Form erhalten will, bleibt nur ein Ausweg: weitere Gebührenerhöhungen.“

Die aktuellen EU-Untersuchungen könnten noch weitreichendere Konsequenzen haben. In ihrem Brief an die deutsche Bundesregierung hat die Kommission nämlich eindeutig festgehalten, „dass es sich bei der Finanzierung durch Rundfunkgebühren um eine staatliche Beihilfe handelt“. Das bedeutet, dass der Einsatz dieser Mittel völlig transparent dargestellt werden muss. Markus Breitenecker, Geschäftsführer von SevenOneMedia, der Österreich-Vermarktungstochter des privaten TV-Konzerns Pro7Sat1, wittert gar Geschäftschancen: „Der Staat muss letztlich auch darüber wachen, dass der Empfänger der Beihilfen diese so effizient wie möglich verwendet. Im Klartext heißt das, er müsste die derzeit vom ORF erbrachten Leistungen öffentlich ausschreiben und an den Bestbieter vergeben.“

Von Martin Himmelbauer und Robert Zechner