Michael Spindelegger im Interview

„Meine Frau hat mich trotzdem geheiratet“

Interview. Über neue Steuern für Superreiche und sein Verhältnis zu Erwin Pröll

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Interview: Eva Linsinger, Rosemarie Schwaiger

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Wann haben Sie Josef Pröll zuletzt gesehen?
Spindelegger: Gesehen hab ich ihn länger nicht mehr, er ist ja auf Rehabilitation. Aber gesprochen habe ich ihn vor zehn Minuten. Er hat mir gesagt, dass er guten Mutes ist. Es geht aufwärts, und er freut sich auf ein Wiedersehen.

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Es ist sehr ungewöhnlich, dass ein Spitzenpolitiker so plötzlich und gründlich von der Bildfläche verschwindet. Wie erklären Sie sich das?
Spindelegger: Ich glaube, dass es für ihn persönlich sehr schwer ist, aber wahrscheinlich notwendig. Du kannst nicht langsam Abschied nehmen, das muss eine Zäsur sein. Er hat ja selber erzählt, dass ihm schon auf dem Flug nach Innsbruck im Rettungshubschrauber klar war: Es wird sich etwas in seinem Leben grundlegend ändern. Er hat das ganz konsequent so realisiert.

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Die Wahlergebnisse der ÖVP waren zuletzt schlecht, die Umfragewerte sind niedrig. Wie wollen Sie aus diesem Tief herauskommen?
Spindelegger: Durch konsequentes Arbeiten, das ist die einzige Chance. Wir müssen einerseits in der Regierung zeigen, dass wir etwas bewerkstelligen können. Da braucht es einen Plan, eine größere Logik und Ziele bis 2013. Und andererseits muss es Positionen der ÖVP geben, damit die Partei wieder an Stellenwert gewinnt.

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Das alles hat Josef Pröll auch versucht.
Spindelegger: Ich mache mir jetzt keine Gedanken, warum da bei ihm in welcher Phase was eingetreten ist. Ich muss nach vorne schauen und nicht zurück.

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Mit welchem Wahlergebnis rechnen Sie beim Parteitag?
Spindelegger: Ich hoffe auf ein möglichst gutes. 50 Prozent plus eine Stimme wären mir zu wenig.

profil: Wenn das Ergebnis nicht nach Wunsch ist, könnten Sie es einfach so machen wie bei der Wahl der ÖAAB-Führung und so oft abstimmen lassen, bis es passt.
Spindelegger: So war das nicht, das wissen Sie. Aber Wahlen soll man nicht kommentieren. Letztlich muss jeder selbst wissen, wie er abstimmt.

profil: Die neue ÖAAB-Chefin musste offenbar unbedingt aus Niederösterreich stammen. Müssen Sie Dank abstatten in Richtung Erwin Pröll?
Spindelegger: Nein, überhaupt nicht. Es ging nicht um Niederösterreich oder die Steiermark. Ich will das gar nicht aufkommen lassen. Es kann nicht zum Erfolg der ÖVP führen, wenn man das nach diesen Gesichtspunkten aufbaut.

profil: Josef Pröll ist unter anderem an seinem Onkel gescheitert. Haben Sie Angst vor Erwin Pröll?
Spindelegger: Ich habe keine Angst vor Erwin Pröll, ich hatte meine Erlebnisse mit ihm. 1998 hat er mich als Landesrat verhindert. Aber wir sind mittlerweile sehr gut zusammengewachsen.

profil: Kann man gegen ihn ÖVP-Obmann sein?
Spindelegger: Ich will ja gar nicht gegen ihn Obmann sein, sondern mit ihm und den anderen Landesparteichefs.

profil: Was ist in Ihren Augen das größte, wichtigste Zukunftsprojekt für Österreich?
Spindelegger: Umwelt, gar keine Frage.

profil: Das überrascht uns jetzt.
Spindelegger: Das ist international und in Österreich ein Zukunftsthema. Es ist für uns entscheidend herauszufinden, wie wir auch international Vorbildwirkung haben können. Wir können eine ganz wichtige Rolle spielen.

profil: Sie wissen aber, dass Österreich in der Umweltbilanz nicht gerade toll dasteht. Wir werden unter anderem die Kioto-Ziele deutlich verfehlen.
Spindelegger: Deshalb sollten wir in den kommenden Jahren versuchen, die erneuerbaren Energien auf 34 Prozent zu bringen. Das wird schwierig genug.

profil: Eigentlich hätten wir gedacht, Sie nennen das Thema Europa. Wie geht es Ihnen als überzeugtem Europäer damit, dass jetzt schrittweise die Errungenschaften der EU infrage gestellt werden, etwa die Reisefreiheit und die gemeinsame Währung?
Spindelegger: Damit geht es mir gar nicht gut. Wir müssen das Wesentliche erhalten. Dazu gehört natürlich die Reisefreiheit, außer in besonderen Ausnahmefällen.

profil: Ist Italien ein solcher Fall? Sollte ­Österreich wieder Grenzkontrollen ein-
führen?
Spindelegger: Wenn eine riesige Flüchtlingswelle kommt, kann man das befürworten. Im Augenblick ist es aber nicht notwendig. Da wird eine Grundfrage berührt – ebenso wie bei der Frage der gemeinsamen Währung, die alternativlos ist. Es gibt keinen Plan B.

profil: Vor der Abstimmung über den österreichischen EU-Beitritt hieß es immer, nur wer Mitglied sei, könne auch mitreden. Derzeit sieht es so aus, als würden sich die großen Länder wie Deutschland und Frankreich alles ausmachen, und die kleinen müssen dann mitziehen. Auch beim Treffen zur Euro-Rettung vergangene Woche war Österreich nicht dabei.
Spindelegger: Es kann sich treffen, wer will. Aber klar ist, dass nur Entscheidungen gefällt werden können, wenn alle dabei sind.

profil: Sollen die Euro-Rettungspakete nachgebessert werden?
Spindelegger: Unter strikter Konditionalität: Nur wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, sind auch wir bereit, den Rahmen der Rückzahlung zu strecken.

profil: Wie wollen Sie der Bevölkerung erklären, dass es möglicherweise noch viel teurer wird?
Spindelegger: Da müssen wir einen tieferen Blick darauf werfen, was der Grund war für die Krise in Griechenland, was der Grund war in Irland …

profil: So differenziert werden Sie das kaum diskutieren können. Es gibt schon erste Umfragen, laut denen die Menschen sagen, es reicht.
Spindelegger: Es gibt nicht das eine Argument, mit dem man alle überzeugt. Aber es gibt die Sehnsucht nach der besseren Argumentation. Man kann nicht immer nur sagen: Das ist alles schlecht, und Europa schaffen wir ab.

profil: Offiziell geht es um die Rettung insolventer Länder, aber in Wirklichkeit werden hauptsächlich die dort engagierten Großbanken gerettet. Offenbar hat sich seit Beginn der Finanzkrise nichts geändert.
Spindelegger: Aber was wäre die Alternative? Hätten wir in Österreich den Banken sagen sollen, es tut uns leid, da müsst ihr halt in Konkurs gehen? Hätten wir die Sparguthaben der Österreicher einfach verfallen lassen sollen? Es war richtig, den Banken zu helfen.

profil: In Österreich läuft derzeit eine Art Probewahlkampf zum Thema Steuerreform. Aus der ÖVP kommen widersprüchliche Signale. Maria Fekter hat eine Reform angekündigt, Sie dagegen bremsen. Was gilt jetzt?
Spindelegger: Es gilt, was ich von Anfang an gesagt habe. Einerseits wollen wir ein Signal in Richtung Familien senden, zum Zweiten wollen wir das Steuersystem einfacher und leistungsgerechter gestalten, und drittens müssen wir zuerst etwas erarbeiten, bevor wir es verteilen können. Derzeit schaut es nicht so aus, als könnten wir uns das in dieser Legislaturperiode leisten.

profil: Wonach entscheiden Sie das?
Spindelegger: Wir müssen unter die Maastricht-Grenze von drei Prozent Neuverschuldung kommen, dann können wir über eine Steuerreform reden.

profil: Arbeit wird in Österreich sehr hoch, Vermögen sehr niedrig besteuert. Der ÖVP ist Leistung neuerdings so wichtig – warum werden dann Erbschaften nicht besteuert? Erben ist keine Leistung.
Spindelegger: Das stimmt, Erben ist keine Leistung. Aber ich höre landauf, landab ein sehr starkes Unbehagen, dass sich Leistung nicht niederschlägt. Wer sich etwas erspart und ein Haus baut, hat mit vielen Steuern zu rechnen – die Bodenwertabgabe, die Grundbuchsteuer und hundert andere Abgaben.

profil: Danke, dass Sie das alles aufzählen. Das ist ja genau das Problem: Wer erbt, bekommt alles steuerfrei. Es wäre naheliegend, die Steuern auf Arbeit zu senken und jene auf Vermögen zu erhöhen. ­Warum ist die ÖVP so dagegen?
Spindelegger: Weil wir gesehen haben, wie’s vorher war. Die Erbschaftssteuer wurde als verfassungswidrig aufgehoben und hat außerdem nicht viel gebracht.

profil: Man könnte sie ja besser gestalten.
Spindelegger: Ich will jedenfalls nicht, dass Erben noch einmal Steuern zahlen müssen, obwohl ihre Eltern schon Steuern bezahlt haben.

profil: Auch die Umsatzsteuer wird von bereits versteuertem Einkommen bezahlt.
Spindelegger: Der großen Masse von Österreichern, die fleißig waren, soll nicht noch einmal etwas weggenommen werden. Im Gegenteil: Ihnen soll ein Signal der Wertschätzung gegeben werden.

profil: Um die Masse geht es ja nicht: Auf die obersten zwei Prozent der Österreicher entfällt fast die Hälfte des gesamten Erbschaftsvolumens.
Spindelegger: Die SPÖ soll konkrete Vorschläge machen, wie man die von ihr so genannten Superreichen trifft. Ich bin ja bereit, darüber zu diskutieren. Meine Befürchtung ist, dass man damit den Mittelstand trifft – das ist ja gerade das Gefährliche. Denn die so genannten Superreichen haben ja durch den freien Kapitalverkehr alle Möglichkeiten, ihr Geld außer Landes zu bringen.

profil: Das gilt nicht für Immobilien. Trotzdem ist die ÖVP gegen eine Erhöhung der Grundsteuern.
Spindelegger: Aber das würde wieder nur den Mittelstand treffen.

profil: Der Sukkus aus Ihren Steuerideen ist: Die ÖVP schützt jene, die schon etwas haben. Wer sich etwas aufbauen will, soll jemand anderen wählen.
Spindelegger: Das sehe ich ganz anders: Wer etwas leistet und etwas leisten will, der soll bei uns eine Heimat finden. Wer nichts leisten will, ist bei uns nicht gut aufgehoben.

profil: Wer ist für Sie so ein Nicht-Leistungsträger?
Spindelegger: Wir stehen für jene, die Verantwortung für ihr Leben übernehmen wollen und durch Leistung die Gemeinschaft voranbringen. Das werden wir fördern und unterstützen.

profil: Halten Sie das Sozialsystem für zu großzügig?
Spindelegger: Mit der Transparenzdatenbank wird überprüft werden, ob es zu viele Förderungen und Unterstützungen gibt. Wir müssen darauf achten, dass wir bei unseren Sozialleistungen treffsicher sind. Gerade weil wir sparen müssen, gilt es, alle Leistungen zu hinterfragen.

profil: Die SPÖ sieht das anders. Wie wollen Sie in den verbleibenden zwei Koalitionsjahren zusammenarbeiten?
Spindelegger: Ich habe viele Gespräche mit dem Bundeskanzler geführt, wir haben auch eine Regierungsklausur für Ende Mai vereinbart. Ich erwarte, dass wir konstruktiv zusammenarbeiten werden.

profil: Wie kommen Sie etwa aus dem Patt in der Wehrpflichtdebatte heraus?
Spindelegger: Indem wir verhandeln.

profil: Die ÖVP war immer für ein Berufsheer und gegen eine Wehrpflicht. Warum haben Sie Ihre Meinung geändert?
Spindelegger: Wolfgang Schüssel wollte nach dem EU-Beitritt auch der NATO beitreten. Das hätte aber geheißen, dass wir Präsenzdiener in Kriege schicken. Das wollten wir nicht. Daher haben wir die NATO-Option mit der Variante Berufsheer geprüft. Das hätte aber doppelt so viel gekostet wie jetzt. Daher haben wir den Plan verworfen.

profil: Man könnte ja die Wehrpflicht abschaffen, ohne der NATO beizutreten.
Spindelegger: Ich will’s aber nicht. Wir sehen, welche Probleme Deutschland mit der Abschaffung der Wehrpflicht hat. In Schweden gibt es ähnliche Probleme.

profil: Wann werden Sie Ihr Konzept für die Wehrpflicht endlich vorstellen?
Spindelegger: Wenn ich es für richtig halte.

profil: Es ist ein wenig kindisch zu sagen, ich habe ein Konzept, aber ich zeige es nicht her.
Spindelegger: Das ist nicht kindisch. Wenn wir mit unserem Konzept in die Verhandlungen gehen, wird es in vielen Punkten ganz anders sein als das der SPÖ. Dann kann man sich leicht einmauern, und ein Kompromiss ist nicht mehr möglich. Das möchte ich bewusst vermeiden. Ich möchte, dass wir insgesamt als Regierung eine Einigung erzielen.

profil: Kommt eine Volksabstimmung für Sie infrage, oder ist dann die Koalition beendet?
Spindelegger: Wir sollten als Regierung auch in dieser Frage zeigen, dass wir sie lösen können.

profil: Bei Ihrem Amtsantritt haben Sie die Probleme in der Justiz als besonders dringend bezeichnet. Sie sind selbst Jurist: Würden Sie es verstehen, wenn es kein Strafverfahren gegen Karl-Heinz Grasser gäbe?
Spindelegger: Das ist eine gute Frage, die ich als Jurist so beantworten würde: Es kommt auf den Sachverhalt an.

profil: Und was antworten Sie als Bürger und Steuerzahler?
Spindelegger: Meine persönliche Meinung ist, dass man als Politiker die Arbeit der Justiz nicht präjudizieren soll. Sonst wird es keine objektiven Ermittlungen geben.

profil: Eine Offenlegung von Parteispenden könnte manchen Skandal verhindern. Warum blockiert die ÖVP das?
Spindelegger: Wir verhandeln mit allen Parteien. Aber wenn wir uns darüber einig werden wollen, darf das nicht mit hundert anderen Punkten junktimiert werden. Genau das erleben wir leider derzeit.

profil: Womit wird junktimiert?
Spindelegger: Ich bin bei den Verhandlungen nicht dabei. Fragen Sie unseren Klubobmann Karlheinz Kopf.

profil: In den Medien sind zuletzt einige Porträts über Sie erschienen. Fühlen Sie sich richtig getroffen?
Spindelegger: Ich lese diese Porträts nicht, dafür habe ich keine Zeit.

profil: In fast allen steht, dass Sie nicht gerade ein abenteuerlicher Typ sind. Wie geht es Ihnen damit, als Langweiler beschrieben zu werden?
Spindelegger: Meine Frau hat mich trotzdem geheiratet.

Fotos: Philipp Horak für profil

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin