„Meine Moral ist heute bürgerlich“

Interview. Niki Lauda im Sommergespräch

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Interview: Herbert Lackner

profil: Herr Lauda, der 15. August ist ein besonderer Tag. Wissen Sie, warum?
Lauda: Der 15. August?

profil: Am 15. August 1971, vor genau 40 Jahren, sind Sie Ihr erstes Formel-1-Rennen gefahren, beim „Großen Preis von Österreich“.
Lauda: Interessant, danke. Ich weiß nur, dass ich bei der Startaufstellung Letzter war und natürlich gleich ausgefallen bin, daran kann ich mich schon noch erinnern.

profil: Am 15. August 1971 war die Übertragung des Rennens die erste Sendung des Tages, weil das Fernsehen erst um 14 Uhr zu senden begonnen hat. Sendeschluss war auf beiden Kanälen um 22.15 Uhr.
Lauda: Jetzt sendet der ORF Tag und Nacht, und es kommt auch nicht viel mehr dabei heraus.

profil: Ich wollte damit sagen: So lange ist Niki Lauda schon auf der Bühne, länger als fast alle anderen Promis.
Lauda: Wobei ich ja nicht einer bin, der sich hineindrängt. Wenn ich gefragt werde, sage ich was. Ich werde oft gefragt, warum diese Popularität so lange gehalten hat. Das ist relativ einfach zu erklären: Zuerst weil ich am Nürburgring fast verbrannt bin, das haben sich auch die gemerkt, die nicht an Formel 1 interessiert sind. Dann war ich Weltmeister, noch dazu auf Ferrari. Und dann hat man meinen Namen auf den Fliegern gesehen.

profil: Als Zuseher hat man oft den Eindruck, dass Sie die Fähigkeit der Omnipräsenz beherrschen. Man dreht den Fernseher auf und sieht Niki Lauda bei einem Formel-1-Rennen Tausende Kilometer weit weg. Dann geht man abends irgendwohin und begegnet Niki Lauda in Wien, und dazwischen arbeitet er ja auch. Wie geht das?
Lauda: Wenn ich irgendwohin gehe, weiß jeder: Ich war da, mich merkt man sich. So entsteht der Eindruck, ich sei nie zu Hause. Dabei verbringe ich nur relativ wenig Zeit nicht im Büro oder zu Hause.

profil: Sie sind oft zu Hause?
Lauda: Ich bin der Meister im Einteilen von Zeit und in meiner Freizeit fast nur zu Hause. Ich arbeite den ganzen Tag im Büro, oder ich mache meine RTL-Geschichten. Aber mit rotem oder blauem Kapperl fall ich den Leuten halt auf. Die glauben dann: Der ist jeden Tag unterwegs.

profil: Es hat in Ihrem Leben wirklich schwere Niederschläge gegeben: 1976 der Unfall am Nürburgring, 1991 der Absturz in Thailand, 2002 die Übernahme Ihrer Fluglinie durch die AUA. Trägt man solche Lasten ein Leben lang mit?
Lauda: Es geht kein Leben immer auf der Sonnenseite dahin, wenn man sich so exponiert wie ich. Und Risikobereitschaft habe ich, sonst hätte ich nie Autorennen fahren können. Wenn ich eine Möglichkeit gesehen habe, wirtschaftlich etwas zu machen, habe ich es auch gemacht. Das geht natürlich nicht immer gut, da gibt es Rückschläge. Aber ich habe immer versucht, die Dinge wieder in die richtige Richtung zu kriegen. Ich habe damals die Lauda Air über die Lufthansa der AUA verkauft, die sie selber kaufen wollte. Und dann haben die Betriebsräte jahrelang erklärt, dass ich schuld bin, dass die AUA nicht richtig fliegt. Jetzt habe ich seit sieben Jahren die zweite Airline, wieder neben der AUA – und meine funktioniert, und die AUA funktioniert bis heute nicht.

profil: Niki Lauda wäre kein besonders guter Politiker …
Lauda: Ja, weil ich es nicht aushalten würde, wenn man ständig Ausreden gebraucht.

profil: Einmal hatten Sie ja eine öffentliche Funktion – als ­Auf­sichtsratsmitglied der Österreichischen Bundes­bahnen.
Lauda: Richtig. Das war für mich ein Paradebeispiel, wie das Land funktioniert. Ich wurde vom damaligen Minister Gorbach gebeten, das zu machen. Er hat gesagt: „Sie haben in der Luftfahrt so ein passagierfreundliches Produkt. Ich will, dass Sie Ihre Inputs auch der Bahn geben, die funktioniert hinten und vorn nicht.“ Bei der ersten Sitzung sind da 20 Leute um einen Tisch gesessen, und der Aufsichtsratspräsident Reithofer hat gesagt: „Wir müssen jetzt sofort den neuen ÖBB-Vorstand bestimmen.“ Da habe ich aufgezeigt und gesagt: „Aber ich kenne ihn ja gar nicht. Kann man den nicht kurz hereinholen?“

profil: Das war ungewöhnlich?
Lauda: Offenbar ja. Darum haben mich auch alle angeschaut. Dann habe ich gesagt, ich würde es vernünftig finden, wenn der Kandidat einen kurzen Vortrag hält. Dann ist also der Herr Rüdiger vorm Walde hereingekommen, und ich sage zu ihm: „Eine kurze Frage: Wie wollen Sie mit der Bahn profitabel nach Rom fahren, wenn ich dort um 29 Euro hinfliege?“ Da hat er kurz überlegt und gesagt: „Die Flugangst haben, die fahren mit der Bahn.“ Da habe ich keine weiteren Fragen mehr gestellt.

profil: Und wie ist es dann weitergegangen?
Lauda: Als er wieder weg war, habe ich Reithofer und die Runde gefragt: „Wer von Ihnen würde den Herrn vorm Walde in seinem Unternehmen anstellen?“ Da haben alle betreten auf den Tisch geschaut. Nur der Gewerkschaftsobmann Haberzettl hat sofort losgetobt: „Das geht nicht, Lauda hat Recht.“ Da hat der Reithofer gesagt: „Es tut mir leid, wir müssen uns jetzt entscheiden, es ist Druck da von der Politik, der wird jetzt Chef.“ Das war die erste Sitzung.

profil: Bei viel mehr waren Sie dann ja nicht, oder?
Lauda: Das ist mir so auf die Nerven gegangen, dass ich gesagt habe: „So, mir reicht es jetzt, ich mache einen Vorschlag: Wir schreiben an Verkehrsminister Gorbach einen Brief, dass es so nicht weitergeht.“ Also hat Reithofer an Gorbach geschrieben. Nach einiger Zeit hat es geheißen, der Minister will mit uns reden. Wir sind dann zu sechst bei ihm aufgetaucht, und er hat sinngemäß gesagt: „Meinem Vorvorgänger Streicher hat man auch einmal etwas abgedreht, und dann hat er die Wahl verloren. Den Fehler mach ich nicht.“ Da habe ich gesagt: „Wenn dir alle Aufsichtsräte inklusive Betriebsrat sagen, der Kandidat ist eine Flasche – müssen wir ihn dann nehmen oder nicht?“ Er ist es dann geworden. Ich hab in der nächsten Aufsichtsratssitzung gesagt: „So das war’s für mich, so viel Zeit hab ich nicht.“ Dann bin ich unter Applaus abmarschiert – nett eigentlich.

profil: Welche Lehren haben Sie aus diesem Zwischenspiel gezogen?
Lauda: Ich frage mich, warum die Politik nichts lernt. Wenn ich Politiker bin, bin ich doch stärker, je mehr kompetente Menschen ich um mich habe. In der Praxis ist es genau umgekehrt: Die Politiker glauben, nur stark zu sein, wenn sie ihresgleichen um sich haben, Mitarbeiter, die sie kontrollieren können. Ein Beispiel aus der Gegenwart: Wenn der Herr Zeiler ernsthaft nach Wien kommen wollte, verstehe ich überhaupt nicht, dass es da eine Diskussion gibt. Da müssen doch alle Parteien sagen: Super, danke, komm! Aber ihnen ist es wichtiger, dass sie öfter in der „ZiB“ auftauchen dürfen.

profil: Österreich ist wirtschaftlich dennoch eines der erfolgreichsten Länder in der EU.
Lauda: Das wird uns ja auch jeden Tag erzählt, dass wir immer noch besser sind als die Griechen und Portugiesen und Italiener. Nur: Wir könnten noch viel besser sein. Gerade wenn die Zeiten schwieriger werden wie jetzt, bräuchte man in der Politik mehr Kompetenz und Entscheidungsfreudigkeit.

profil: Hat die Qualität der Politiker Ihrer Meinung nach abgenommen?
Lauda: Ich würde sagen: Ja. Sie wissen das besser als ich. Kreisky war – obwohl er Sozialist war und meine Eltern waren nie Sozialisten – ein absolut bestimmender Bundeskanzler, der hat noch etwas entschieden.

profil: Allerdings hatte er eine absolute Mehrheit, das macht vieles leichter.
Lauda: Das ist richtig. In einer Koalition muss man halt dauernd Kompromisse machen. Heute weiß man nicht, in welche Richtung die Reise geht, darüber denke ich oft nach, seit ich meine beiden Zwergenkinder habe. Deren Zukunft liegt hinter Nebelschwaden.

profil: Die Welt ist weniger überschaubar geworden.
Lauda: Ja, aber in welche Richtung! Ich war in meinem Rennfahrerleben sicher kein Heiliger, ich war kein anständiger Bursche, der einer Frau treu war. Aber wenn man jetzt diese Geschichten von Schwarzenegger und Strauss-Kahn liest! Diese Schwarzenegger-Sache mit der Haushälterin – so etwas wäre mir in meinen ärgsten Zeiten nicht eingefallen.

profil: Der wilde Niki Lauda wird bürgerlich.
Lauda: Es verschieben sich alle Grenzen in Extreme, die mit meinen Moralvorstellungen – schon gar mit meinen heutigen – nicht mehr zusammenpassen. Meine Birgit, meine kleinen Kinder – bei mir hat sich mein Leben mittlerweile äußerst katholisch und anständig entwickelt. Deswegen sind alle meine Moralwerte heute bürgerlich und damit ganz anders, als sie früher waren. Die Rennfahrerei war ein Leben zwischen Leben und Tod. Und wenn man immer extreme Todesnähe hat, lebt man intensiver.

profil: Wurde Ihnen schon einmal ein Job in der Politik oder ein Mandat angeboten?
Lauda: Nein. Ich habe immer gesagt, dass ich mit meinen Aussagen absolut unfähig für die Politik bin, das geht nicht. Ich bin ein Einzelkämpfer.

profil: Wenn ich mich richtig erinnere, haben Sie einmal politisch Stellung bezogen: Sie waren im Personenkomitee Kurt Steyrers, als der bei der Bundespräsidentenwahl 1986 gegen Waldheim kandidiert hat. War das Engagement für Steyrer oder gegen Waldheim?
Lauda: Das war für Steyrer. Da habe ich von meiner Mutter eine drübergekriegt, das werde ich nie vergessen. Aber ich kann Ihnen genau sagen, warum ich das gemacht habe. ÖVP-Obmann Mock hat im Nationalrat gegen die Lauda Air agitiert. Dann gab es im Parlament eine Anfrage und eine äußerst negative Diskussion über die Lauda Air. Ich habe nachher Alois Mock angerufen und gesagt: „Herr Doktor, was ist da passiert? Ihr Verkehrssprecher, der Herr Abgeordnete König, hat wild gegen mich gefuhrwerkt, der ist übrigens im Aufsichtsrat der AUA.“ Sagt Mock: „Herr Lauda, das muss ich verschlafen haben.“ Wortwörtlich. Am nächsten Tag ruft mich jemand an und fragt, ob ich mich vorne in eine Straßenbahn setzen und bei einer Wahlveranstaltung für Kurt Steyrer eine Runde am Ring fahren würde. Und weil ich mich so geärgert habe über die Schwarzen, habe ich gesagt: „Okay, kein Problem, mache ich.“

profil: Wie waren die Reaktionen?
Lauda: Heftig. Ich habe denen, die sich aufgeregt haben, gesagt: „Was wollt ihr? Der König hat gegen mich agitiert, der Mock hat geschlafen, und ich fahre Straßenbahn.“ Meine Mutter hat mich angerufen: „Bist du komplett wahnsinnig? Das kannst du nicht machen!“ Dann hat Waldheim gewonnen. Später habe ich meiner Mutter gesagt: „Das hast du gut gemacht mit dem Waldheim!“ Aber das war mein einziger politischer Einsatz.

profil: Hat es einmal einen Politiker gegeben, der Ihnen gefallen hat?
Lauda: Lassen Sie mich nachdenken. Ja, den gibt es: Barack Obama, als er den Wahlkampf gemacht hat. Er hat an Rhetorik und Redegewandtheit alles gebündelt und gezeigt, wie man heute als Politiker auftreten muss. Das vermisse ich bei uns schon sehr. Deswegen braucht man sich nicht zu wundern, wenn dann ein Strache so weit kommt: Der schaut gut aus mit seinen blauen Augen – nicht für mich, aber vielleicht für viele Frauen – und bringt die Dinge so rüber, dass sie die Leute verstehen.

profil: Obwohl sie oft nicht stimmen.
Lauda: Vollkommen richtig. Sie stimmen meistens nicht.

profil: Wie sind Sie eigentlich zu diesem Schnorrer-Image gekommen, dass Sie für einen Werbespot mit dem Satz „Ich habe nichts zu verschenken“ zitiert werden?
Lauda: Vor zig Jahren hat irgendein Depp einmal gesagt: Wenn der Lauda das Portemonnaie aufmacht, kommen die Motten heraus. Was überhaupt nicht stimmt! Wenn Sie Leute in meinem Umfeld fragen, werden Ihnen die bestätigen, dass ich ein ganz normaler, großzügiger Mensch bin. Wenn ich wo helfen kann, helfe ich. Aber irgendwie ist dieses Image, ich sei ein Knauserer, der nie sein Essen zahlt, haften geblieben. Ich weiß schon, wo das herkommt. Zu Rennfahrerzeiten ist man vor den Rennen zu Abendessen mit Sponsoren geradezu gezwungen worden. Klar, dass die das dann bezahlt haben. Ich wollte dort ja gar nicht dabeisitzen. Daraus kriegt man dann so ein Image. Wenn ich irgendwo essen gehe, zahle ich natürlich immer, es bleibt mir ja auch gar nichts anderes über. Und dann hat die ING-DiBa diesen Spot mit diesem Satz gemacht. An sich ist es ja eine sehr gute Werbekampagne.

profil: Ist Ihnen dieses Image unangenehm?
Lauda: Nein, es stimmt nur nicht. Aber der Spruch ist absolut gut.

profil: Übrigens: Den Kaffee zahlen wir.
Lauda: Nein. Ich überrasche Sie: Ich zahle!

Fotos: David Payr für profil