Nur nicht aus Liebe weinen

Nur nicht aus Liebe weinen

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In großen Zeiten haben die Menschen immer schon Angst vor großen Gefühlen gehabt: zum ganzen Dreißigjährigen Krieg gibt es nicht ein passendes Album. „Vom Winde verweht“ entstand erst vor dem Zweiten Weltkrieg, das gewaltige Abschieds-Poem „Erst, wann’s aus wird sein“ ist aus den ruhigen dreißiger Jahren, und auch bei „Sag mir, wo die Blumen sind“ war ringsherum eigentlich nichts los.
Verständlich also, dass in unserer Zeit, die uns die wirklichen, echten, tiefen Gefühle täglich mit den Seifenopern ins Haus liefert, unter den hingebungsvollen Konsumenten eine große Zaghaftigkeit um sich greift, diesen anspruchsvollen Vorbildern auch nur annähernd gerecht werden zu können, dass die Scheu vorherrscht, sein Innerstes womöglich ungeschickt zu outen. Wer, dem überhaupt mithilfe aller Extremitäten und wortloser Artikulation gelang, seine überschäumende & unversiegbare Liebe zu erklären, soll in der Stunde des jähen, aber sicheren Gegenteils die Kraft haben, diese zutiefst neu grundierte emotionale Empfindung schonungsvoll & elegant zu vermitteln?

Cool bis ans Herz hinan greift der zur Trennung entschlossene Mensch zum wahren Segen seiner Tage, zur hilfreichen Technik, und lässt halt beklommen, aber weit vom Schuss, ein Mail oder ein SMS los: „Na ja. Ich glaub, das war’s.“ Eventuell noch: „Mach’s gut.“

Ist das für die eigenen, blank liegenden Nerven nicht schonender, für das auf jeden Fall aufgewühlte Herz nicht bekömmlicher, als mit schweißnasser Hand zum Telefon zu greifen, mit vibrierender Stimme „Du ... i glaub ... äh ... mir zwaa ... wer’n net ... oid ... miteinand“ zu stammeln und sich das schweißfeuchte Ohr zu wischen, auf das wüste Tiraden oder schrecklich hemmungsloses Schluchzen prasseln?

Oder gar in die ohnehin nicht so gut gehorchende Hand einen Stift zu nehmen und ein paar ungelenke Sätze zu formulieren wie: „Gestern Nacht hab ich mir zum dritten Mal gedacht, du findest mich wahrscheinlich auch schon uröd. Ich glaub, wir haben Recht“?

Nein, die zittrige Schrift, vielleicht gar Flecken auf dem Papier würden unsere Schwäche verraten. Beim Tippen kann man danebentippen, aber irgendwann steht’s dann da und ist spurenlos unangreifbar. Und das müssen wir beim Trennen schon sein, denn das ist ja das Mindeste, was wir von uns verlangen können. Und vor allem von dem Subjekt unserer verflossenen Begierde, das kein Recht hat, unsere hunderte guten Gründe zu erfahren.

Selbst die Wortwerdung solch zerreißender Vergeistigung des Seelischen kann einen aber überfrauen, selbst die zarteste Andeutung, dass man selbst zwischen Strick und Kugel, Wasser und Gift nicht entscheiden könne, mag einen übermannen. In diesem verzweifelten Fall bleiben nur Gesten ewiger Größe: ein Foto, auf dem beide drauf sind, wird mit der Hälfte des abgerissenen Subjekts diesem zurückgeschickt; in einem Buch weist ein Eselsohr auf eine Seite hin, auf der alles steht, was es zu sagen gäbe; ein Kinoticket für einen Film (z. B. „The Day After Tomorrow“ oder, wenn’s zutrifft, „Echte Frauen haben Kurven“, vice versa: „Der Wixxer“); zwei aus einer Postwurfsendung ausgeschnittene, verschiedene Schuhe; ein am unteren Drittel abgeschnittener Blumenstengel „Vergissmein-“; in einem Sackerl ein zerbröseltes halbes Lebkuchenherz; die restlichen, noch gemeinsam gekauften, Kondome; die Ansichtskarte des berühmten Hollywood-Friedhofs mit dem Aufdruck: „Wish You Were Here“.

Dies sind, wie gesagt, eindrucksvolle, unmissverständliche Botschaften, die einen selbst nicht in die geringste Verlegenheit bringen und der anderen Person zuletzt noch nachhaltig unter die Nase reiben, welch kreatives Genie sie verlässt, denn in jedem dieser bedächtig ausgewählten Behelfe tritt doch tiefes Einfühlungsvermögen zutage.

Es mag aber auch noch den kniffligen Zwischen-Fall in so einem Unfall geben: die tiefstseufzende trennungswillige Person, der es ohne jeden Zweifel weder an Geist noch an herzensgutem Gemüt gebricht, will ihren Abschied sehr wohl in ausdrucksstarke Worte kleiden, doch es fehlt ihr begreiflicherweise in dieser sie durchrieselnden Stunde die erforderliche Gewandtheit. Da kann ein Ausflug in die bedeutungsschwangere Zitatenwelt vieles unvergesslich erhellen: „Ich seh dir in die Augen, Kleines“ sollte an sich genügen, aber mit hinzugefügtem letztem gemeinsamem Urlaubsziel wird es sonnenklar: „Uns bleibt immer ... weißt eh, all-inclusive.“ Auch Shakespeare ist nicht schlecht: „You are cruel and ugly. No, do not think that I flatter!“ Sollten begründete Vorwürfe zu dem Entschluss geführt haben, so listet „Faust“ auf: „Habe nun, ach, mit vergeblichem Bemühen ... (Liste) ... Im Ganzen: Behalte deine Worte!“ ... Ein anonymes Berliner Graffito analysiert: „Angelacht. Spaß gemacht. Nachgedacht. Schluss gemacht.“

Sollte Ihnen beim besten Willen, den einstigen Inbegriff Ihres Glücks loszuwerden, keiner dieser Vorschläge zusagen, dann versöhnen Sie sich, verdammt noch einmal.