„Die ORF-Spitze wird politisch erpresst“

Interview. Anchorman Armin Wolf über die Affäre Pelinka und die Zukunft des ORF

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Interview: Herbert Lackner

profil: Herr Wolf, ich habe mir Ihre Tweets der letzten zwei Wochen ausgedruckt. Es sind 34 Seiten – und fast alle handeln von Niko Pelinka. Der Fall dürfte Sie sehr bewegen.
Wolf: Ich war auf Urlaub. Hätte ich gearbeitet, hätte ich wohl auch über anderes getwittert. Aber es stimmt schon: Die Geschichte geht mir nahe, weil sie dem ORF und der Glaubwürdigkeit der ORF-Journalisten schadet. Wenn die Zuseher den ORF für einen Regierungsfunk halten, dann werden sie der „ZiB“ nicht vertrauen. Ich halte das für fatal.

profil: Ihr Twitter-Beitrag vom 23. Dezember lautete: „Das glaub ich jetzt nicht! APA meldet, Niko Pelinka wird Wrabetz-Büroleiter. Warum nicht gleich Laura Rudas?“ Wieso sind diese beiden solche Feindbilder geworden?
Wolf: Wenn ich den ORF-Beauftragten der SPÖ zum Büroleiter des Generaldirektors mache, kann ich auch gleich die Parteigeschäftsführerin nehmen. Zwischen die passt doch kein Blatt. Wie sympathisch man Frau Rudas oder Herrn Pelinka findet, ist echt nicht die Frage, um die es hier geht.

profil: Inzwischen sind eine Nobelpreisträgerin, ein Legenden-Generalintendant, ein Legenden-„Club 2“-Leiter, die Eh-alles-Legende André Heller und alle deutschen und österreichischen Tageszeitungen ausgerückt. Ist das nicht ein wenig viel Aufregung um einen 25-jährigen Vielleicht-Büroleiter einer mittelgroßen Rundfunkanstalt?
Wolf: Es war der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Von 35 Stiftungsräten sind nach dieser ausgedealten Generaldirektorenwahl vom vergangenen August vier in leitende Funktionen im ORF gehievt worden. Ich kann mich nicht erinnern, dass es so etwas schon einmal gegeben hat. Das ist ganz einfach obszön.

profil: Aber so neu ist es nicht. Die Parteien haben doch immer versucht, jemanden in eine wichtige Position im ORF zu bugsieren.
Wolf: Genau das hat leider auch Anton Pelinka, Niko Pelinkas Onkel, diese Woche in der „Zeit“ geschrieben. Ich schätze ihn sehr, aber genau diese zynische „Das war doch immer so“-Haltung macht das doch alles erst möglich. In den sechziger Jahren mussten ORF-Journalisten vor Politikerinterviews ihre Fragen schriftlich einreichen. Sollen wir das wieder machen – weil’s ja „schon immer so“ war?

profil: Sie haben selbst in Ihrer berühmten Hofburg-Rede Ihren Vorgänger Robert Hochner aus dem Jahr 2001 zitiert: „Nichts hassen Politiker mehr als das Gefühl, dass an einer Stelle, die für sie wichtig sein könnte, einer sitzt, der in irgendeiner Form unberechenbar ist.“ Warum sind Sie jetzt so überrascht?
Wolf: Dass Politiker das hassen, mag ja sein. Aber warum muss der ORF das erfüllen? Eine „ZiB“ von Laura Rudas, Hannes Rauch oder Herbert Kickl würde auch sehr anders aussehen als die, die wir machen. Da erfüllen wir ja auch keine Wünsche. War¬um machen wir das auf der Management¬ebene?

profil: Medienstaatssekretär Josef Ostermayer hat vergangene Woche in einem Interview gemeint, in einer repräsentativen Demokratie würden die Lenkungsgremien öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten eben von Parteien beschickt. Was wäre Ihre Alternative?
Wolf: Man könnte den Stiftungsrat nach einer Ausschreibung und nach Hearings mit möglichst qualifizierten Leuten beschicken, wie es unser Redakteursrat seit ewig fordert. Und er muss nicht aus 35 Leuten bestehen, die fast alle von Parteien entsendet werden. Das gibt es in keinem anderen öffentlichen Unternehmen des Landes. Die Stiftungsräte agieren ja auch wie Parteiangestellte. Es ist empörend, dass es diese so genannten „Freundeskreise“ überhaupt gibt. Im ORF-Gesetz ist von unabhängigen Stiftungsräten die Rede, die ausschließlich zum Wohle des ORF handeln sollen. Die SPÖ hat vor zwei Jahren ihren erfahrenen „Freundeskreisleiter“ ausgetauscht und den 23-jährigen Nikolaus Pelinka dort hingesetzt – ohne dass der je von irgendjemandem gewählt worden wäre.

profil: Nach 2006 hatte man den Eindruck, dass es weniger Interventionen der Parteien gab. Sind die vom bärbeißigen Informationsdirektor Elmar Oberhauser verbellt worden?
Wolf: Es gibt – und das darf man in der aktuellen Debatte nicht vergessen – einen fundamentalen Unterschied zur Zeit vor 2006: In den Redaktionen gibt es ein sehr viel größeres Maß an journalistischer Freiheit. Niemand sagt uns, welche Geschichten wir machen dürfen und welche nicht. Vielleicht verfolgt Alexander Wrabetz mit seinen Deals ja die Strategie, politische Wünsche schon auf der Verwaltungsebene abzufangen. Trotzdem ist diese Dealerei für den ORF schädlich, weil es die Glaubwürdigkeit ruiniert: Wir stehen als Regierungsfunk da, obwohl wir keiner sind.

profil: Täuscht der Eindruck, oder versucht derzeit eher die SPÖ als die ÖVP ganz unverfroren im ORF mitzuregieren?
Wolf: Die ÖVP macht es nur geschickter. Es ist jetzt so, wie es bis 2000 war: Die Regierungsparteien versuchen, ein Gleichgewicht des Schreckens herzustellen. Das ist ihnen auf einigen Ebenen des ORF gelungen, nicht gelungen ist es in der Redaktion. Aber man darf nicht vergessen, dass ja auch zwei schwarze Stiftungsräte befördert wurden. In Tirol wurde der langjährige ÖVP-Landesgeschäftsführer zum ORF-Direktor gemacht. Das ist nicht weniger obszön.

profil: Der war immerhin früher ORF-Redakteur.
Wolf: Ja, aber das ist auch schon 20 Jahre her.

profil: Am 26. Dezember, drei Tage nach dem Pelinka-Coup, twitterten Sie: „Die Postings auf standard.at sind meist nur schwer auszuhalten – aber die aggressive Paranoia auf diepresse.com ist noch schlimmer.“ Ist die Debatte entgleist?
Wolf: Viele Leute blasen in Foren halt ihren Lebensfrust hinaus, und auf diepresse.com versammeln sich auch noch die Sozifresser – natürlich alle anonym.

profil: Elfriede Jelinek hat ihren vorwöchigen Text „Der kleine Niko“ mit vollem Namen gezeichnet, sich aber zu etwas merkwürdigen KZ-Vergleichen verstiegen …
Wolf: Die fand ich auch sehr eigenartig.

profil: Der Kommunikationswissenschafter Fritz Hausjell schreibt im dieswöchigen „News“, der ORF sei heute freier denn je, und dann wörtlich: „Solange viele ORF-Journalisten gegen Personalbestellungen protestieren, mache ich mir um den ORF keine Sorgen.“ Ist das ganz falsch?
Wolf: Natürlich ist das falsch. Sonst könnte man ja – bis ins Extrem zugespitzt – auch sagen, um Syrien mach ich mir keine Sorgen, dort wird ja demonstriert. Ohne das mit dem ORF vergleichen zu wollen. Natürlich ist der ORF freier als vor 2006, das macht es ja so schade, dass er jetzt beschädigt wird. Was mich an Hausjells Kommentar so stört, ist, dass er auf den ersten 15 Zeilen schreibt, es sei eh alles super, und den Rest des Textes darüber klagt, wie arm Niko Pelinka ist.

profil: Anton Pelinka stellt in der „Zeit“ – bei aller Verteidigung seines Neffen – die Frage, „ob die ORF-Spitze von Arroganz verblendet oder ganz einfach nur dumm ist“. Was meinen Sie?
Wolf: Ich glaube, die ORF-Spitze wird politisch erpresst. Und sie lässt sich leider erpressen.

profil: Sie und andere im ORF hatten 2006 hohe Hoffnungen an Wrabetz geknüpft. Haben Sie sich in ihm geirrt?
Wolf: Eine meiner wichtigsten Hoffnungen wurde erfüllt: Es gibt in den Redaktionen ein viel größeres Maß an Freiheit, als ich es je im ORF erlebt habe, inklusive der Ära Zeiler. Die „Kronen Zeitungs“-Geschichten, die wir in den letzten Jahren gemacht haben, wären unter Zeiler nicht auf Sendung gegangen. Bei den politischen Deals funktioniert Alexander Wrabetz allerdings anders als Gerhard Zeiler. Zeiler hat auch berühmte Zusagen an rote Betriebsräte gemacht, aber er hat sich nicht daran gehalten. Es gibt ja den schönen Satz von Gerd Bacher: Nach der Wahl ist der Erpresste frei. Das würde ich mir auch von Wrabetz wünschen.

profil: Wie kommt der ORF jetzt aus dem Schlamassel heraus? Wie man hört, ist Nikolaus Pelinka bereit, seine Bewerbung zurückzuziehen, wenn Alexander Wrabetz das wünscht.
Wolf: Ich würde mir wünschen, der ¬Generaldirektor nähme dieses „großzügige“ Angebot an. Dabei geht es nicht nur um die Symbolik. Über den Tisch des Büroleiters des Generaldirektors geht jeder Akt, jedes Schriftstück. Im Redaktions¬system stehen ab dem Vormittag alle geplanten Themen für die „ZiBs“, ab 18.30 Uhr stehen auch die Texte der einzelnen Beiträge drinnen. Ich finde den Gedanken, dass dort der engste Vertraute der SPÖ-Bundesgeschäftsführerin sitzt, wirklich unerträglich. Übrigens: Käme Herr Pelinka von der ÖVP, wäre das genauso unerträglich.

profil: Wrabetz pocht darauf, sich seine engsten Mitarbeiter selbst aussuchen zu wollen und nicht von der „ZiB“-Redaktion vorschreiben zu lassen. Kann man ihm das verübeln?
Wolf: Überhaupt nicht. Nur – er sucht sich den Büroleiter ja nicht selber aus. Die SPÖ-Zentrale hat ihn ausgesucht. Gerade deshalb ist auch unser Protest so wichtig, damit die Zuseher wahrnehmen, dass wir unsere Unabhängigkeit ernst nehmen. Der Protest zeigt auch, wie sehr das Selbstbewusstsein der Redaktion gewachsen ist. Früher hätte man sich das vielleicht gefallen lassen.

profil: Sollte jetzt nicht die Gelegenheit beim Schopf gepackt werden, um die Grundsatzdebatte „Politik raus aus dem ORF“ zu führen?
Wolf: Natürlich! Das verlangen wir ja seit jeher. Der Redakteursrat beschließt jedes Jahr eine Resolution, in der eine völlige Neuorganisation der ORF-Gremien verlangt wird. Im Stiftungsrat sitzen ja auch Leute, bei denen man schon lange nachdenken muss, worin genau ihre Kompetenz zur Führung eines Medienbetriebs besteht. Selbstverständlich sollte das anders werden, aber das ORF-Gesetz kann nur das Parlament ändern.

profil: Wie breit ist der Widerstand im ORF?
Wolf: Sehr breit, das geht weit über die „ZiB“-Redaktion hinaus, und die Unterschriftenaktion des Redakteursrats läuft noch bis Dienstag, weil viele Leute auf Urlaub waren. Und Druck kann schon funktionieren, wie man beim Medientransparenzgesetz gesehen hat. Das wollten die Parteien ja auch nicht von selbst.

profil: Denken Sie in solchen Situationen manchmal daran, dass ein anderer Job vielleicht auch nicht so schlecht wäre?
Wolf: Nein. Wäre Werner Mück 2006 noch einmal für fünf Jahre Chefredakteur oder gar Informationsdirektor geworden, hätte ich gekündigt. Von solchen Zuständen sind wir aber weit entfernt. Wegen Niko Pelinka werde ich sicher nicht den ORF verlassen. Ich hoffe aber, dass Herr Pelinka selbst noch einsieht, dass das alles nicht gut ist: Nicht gut für ihn, nicht gut für die SPÖ, nicht gut für Alexander Wrabetz und schon gar nicht gut für den ORF.