Internet-Pioniere: Die Web-Bereiter

Pioniere: Die Web-Bereiter

In zehn Jahren hat das Internet die Welt erobert

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Peter Rastl, 60, Der Übervater
Seit 1976 Leiter des Zentralen Informatikdienstes der Universität Wien.

Wenn es einen Mann gibt, vor dem Österreichs Internetexperten den Hut ziehen, ist es Peter Rastl, Leiter des Zentralen Informatikdienstes (ZID) der Universität Wien. Seit 1976 steht Rastl an dessen Spitze und hat in dieser Zeit die Entwicklung des Internets in Österreich entscheidend mitgeprägt.

Der 60-Jährige räumt indes ein, von der Idee, die Computer der Universität zur Kommunikation zu verwenden, ursprünglich alles andere als begeistert gewesen zu sein: „Als ich Ende der siebziger Jahre gehört habe, es gibt so etwas wie E-Mail, war meine erste Reaktion: Was ist das für ein Blödsinn. Für so primitive Dinge wie Briefeschreiben soll man teure Großrechenanlagen verwenden?“

Doch er sollte seine Ansicht ändern: Im August 1990 wurde die Universität Wien an das Kernforschungszentrum CERN in Genf und damit an das Internet angeschlossen. Dem Drängen Rastls ist es dabei zu verdanken, dass die Universität Wien drei Jahre später als Knoten im europäischen Ebone-Netz, dem Rückgrat des Internets, ausgewählt wurde, was den Start für das kommerzielle Internet in Österreich bedeutete. „Die Provider mussten keine teuren Datenleitungen zu einem Knoten ins Ausland mehr errichten, um einen Internetanschluss zu erhalten, und konnten sich über die Uni Wien ins Internet einwählen“, erinnert sich Rastl.

Der daraus entstandene Vienna Internet eXchange (VIX) ist bis heute eine zentrale Schaltstelle in Österreichs Internet. Auch verhalf Rastl allen Studenten der Universität zu kostenlosen Internetzugängen und E-Mail-Adressen, eine Entscheidung, welche die Uni Wien zum größten Provider Österreichs machte. Entgegen seiner ursprünglichen Skepsis war er nun zur Überzeugung gelangt, dass es klug wäre, für die Kommunikation innerhalb der Universität auf die neue Technologie zu setzen. „Es hat sich herausgestellt, dass das nützlich ist“, meint er, will allerdings seine Leistung nicht überbewerten: „Ich habe nur meine Arbeit gemacht.“

Thomas Schartner, 40, Der Privatmann
Gründete 1994 PING, den ersten Internetprovider für Privatkunden, heute Aufsichtsrat der Internet Project Development AG.

Anfang 1994 lag die maximale Datenrate, die ein Modem erreichen konnte, bei 19,2 kbit/s. Für so ein Modem musste man mehr als 50.000 Schilling bezahlen, zudem waren nur von der Post geprüfte Geräte zugelassen. Viele Telefonanschlüsse waren überdies Mehrfachanschlüsse, die sich vier Teilnehmer teilen mussten und bei denen ein Modembetrieb gar nicht erlaubt war. 

Im Verborgenen existierte jedoch eine bunte Online-Szene, in der importierte Modems betrieben wurden. Damit konnten Nachrichten über ein eigenes Mailbox-System ausgetauscht werden, allerdings musste man an einer Uni tätig sein, IT-Mitarbeiter in einem der wenigen Unternehmen mit Internetanschluss oder aber Hacker sein. 

Trotz dieser widrigen Umstände traf sich Thomas Schartner im März 1994 mit Michael Haberler (siehe nächstes Porträt), um mit ihm über die Idee eines Providers für Privatpersonen zu sprechen. „Wir hatten einen Geschäftsplan. In drei Jahren wollten wir 300 Kunden gewinnen, eineinhalb Mitarbeiter haben und den Break-even schaffen“, erinnert sich Schartner an die Anfänge.

Am 3. Juni 1994 war es so weit: PING, der erste österreichische Provider für Privatkunden, hatte den ersten Anwender gefunden, der bereit war, 300 Schilling monatlich für den Zugang zum Internet zu bezahlen. Die verfügbare Bandbreite waren 64 kbit/s über eine selbst verlegte Standleitung zu EUnet, die sich mit 40 Prozent an dem Unternehmen beteiligt hatte. Das Angebot schlug für damalige Verhältnisse ein wie eine Bombe: Schon im ersten Geschäftsjahr erwirtschaftete PING einen Umsatz von zwölf Millionen Schilling und einen Gewinn von fünf Millionen. Ende 1995 war jeder zweite österreichische Internetnutzer PING-Kunde.
Die Marktpräsenz von Schartners Gründung war dennoch kurz. Mitte 1996 begann die organisatorische Zusammenarbeit zwischen PING und EUnet, 1997 erfolgte die Fusion der beiden Unternehmen.

Michael Haberler, 48, Der Marktpionier
Gründete 1992 EUnet, Österreichs ersten Internetprovider, heute Vorsitzender des Vorstandes der Internet Privatstiftung Austria.

Für mich ist der 25. August 1994 der Tag, an dem das Internet in Österreich gestartet ist“, sagt Michael Haberler, damals Geschäftsführer von EUnet, dem Ende 1992 gegründeten ersten österreichischen Internetprovider. An die Ereignisse des Tages erinnert er sich, als hätten sie gestern stattgefunden: Bundeskanzler Franz Vranitzky hatte gerade bei seiner Eröffnungsrede der Technologiegespräche in Alpbach eine Revolution auf dem Gebiet der Telekommunikation angekündigt: das Internet. „Die neuen Technologien werden eine Vielzahl neuer Arbeitsplätze schaffen und vollkommen neue Arbeitsformen mit sich bringen“, meinte Vranitzky. „Und der vom Staatsbürger oft als lästig empfundene Verkehr mit den Behörden könnte in seiner traditionellen Form der Vergangenheit angehören.“ In einem Punkt verschätzte sich der Ex-Kanzler gehörig: Er taxierte die Zahl der potenziellen Internetnutzer auf bloß 80.000.

Kurz nach dieser Rede lief bei Haberler das Telefon heiß: Der ORF wollte in seiner Talk-Sendung „Club 2“ das Internet live der Öffentlichkeit präsentieren. Als Präsentator hatte man den IBM-Mann Karl Bonomeo erkoren, und Haberler sollte im Hintergrund dafür sorgen, dass keine Pannen auftreten. „Ich bin hinter einer Zeltplane gesessen und habe das Log-File beobachtet, alles lief wie am Schnürchen. Doch gerade als die Sendung anmoderiert wurde, ist die Verbindung abgebrochen“, erinnert sich Haberler, der in diesem Moment die Technik verständlicherweise verfluchte. Doch irgendwie gelang es ihm, die Verbindung wieder herzustellen, und Bonomeo konnte vor laufender Kamera die Funktion des Webbrowsers Mosaic demonstrieren.

Die Idee zur EUnet-Gründung hatte Haberler aus den USA, wo er während seines Postgraduate-Studiums mit dem Unix User Network in Kontakt gekommen war, einer Gruppe von Computerspezialisten, die ihre PCs mit selbst gebauten Modems an die Telefonleitung anschlossen und so untereinander Daten austauschten. „Das war ein elektronisches Netzwerk mit einzelnen Servern, über die Textnachrichten ausgetauscht werden konnten, nicht mehr“, so Haberler.

Obwohl EUnet in Österreich damals fast einziger kommerzieller Anbieter von Internetzugängen war, gestalteten sich die frühen Jahre nicht einfach. Zum einen waren die Telefongebühren noch so hoch, dass die Zahl derer, die sich einen Webzugang leisten konnten, sehr beschränkt war. Zum anderen sah es die Post- und Telegraphenverwaltung (PTV) gar nicht gerne, dass ihre Leitungen als Datenhighway verwendet wurden.

„In den ersten Jahren haben die Leitungsgebühren 50 Prozent unseres Umsatzes aufgefressen, und die PTV wollte jede Zugangsleitung mit einer Gesprächsausfallsgebühr von 5000 Schilling monatlich belegen“, erzählt Haberler. In zehn Monaten wäre dadurch das gesamte Eigenkapital von EUnet vernichtet gewesen. „Zum Glück kam der EU-Beitritt. Die Liberalisierung des Telekommarktes und der Preisrutsch für Internetverbindungen haben die Generaldirektion der PTV aus der Hängematte geschüttelt.“

Klaus Matzka, 39, Der Bastler
Gründete 1994 den Provider Magnet, heute Geschäftsführer der Gamma Capital Partners Beratungs- & Beteiligungs GmbH.

Klaus Matzka hat zwei Leidenschaften: die Technik und das Geld. Und er findet, dass sie zusammenpassen. „Schon während meiner Schulzeit habe ich versucht, selbst Modems zu löten und ins Internet einzusteigen. Das hat aber nie richtig funktioniert“, erinnert er sich. Die erste Internetbegeisterung spornte den damaligen WU-Studenten jedoch dazu an, es nochmals zu versuchen – diesmal allerdings mit richtigem Equipment. „Ich habe mir 250.000 Schilling ausgeborgt und ein paar Computer, Modems und Software angeschafft. Das Teuerste war ein Cisco-Router um 120.000 Schilling“, so Matzka.

Derart gewappnet ging er an den Start und gründete den Internetprovider Magnet, der genau genommen gar kein Provider war, sondern ein österreichweites Mailbox-System mit einer grafischen Oberfläche, gebaut rund um eine virtuelle Hauptstadt: Magnet City. Freilich: Im Jahr 1994, als Magnet an den Start ging, gab es weltweit erst 3800 Websites.

Der Slogan „Die ganze Welt um 99 Schilling“, mit dem Matzka ab August 1994 warb, zog jedenfalls. Binnen weniger Monate hatte Magnet mehr als 1000 Kunden – und Matzka sein Startkapital zurückgezahlt. Doch das Unternehmen wuchs so schnell, dass neue Investitionen den Gewinn rasch wieder auffraßen. „Rückblickend war es ein Fehler, mit dem 99-Schilling-Angebot zu starten, denn damals hatte ein E-Mail noch den Wert von vier Schilling“, meint Matzka.

1998, als Magnet 22.500 Kunden hatte und einen Umsatz von 55 Millionen Schilling erwirtschaftete, verkaufte Matzka das Unternehmen an den norwegischen Telekomkonzern Telenor. „Ich hätte die notwendigen Investitionen nicht mehr aus dem Cash Flow finanzieren können“, begründet er seine Entscheidung. Die virtuelle Gemeinde Magnet City blieb noch jahrelang online – erst im März 2003 wurden die Reste der ersten Cyber-Stadt abgetragen.

Michael Eisenriegler, 40, Der Briefträger
Gründete 1992 die Community Blackbox, heute Geschäftsführer der MediaClan Gesellschaft für Online Medien GmbH.

Blackbox, Österreichs erste Online-Community, wurde 1992 gegründet, zu einer Zeit, da Österreich noch nicht einmal an das World Wide Web angeschlossen war. Ursprünglich als Mailbox-System konzipiert, verfolgte man mit Blackbox das Ziel, eine Online-Koordinationsstelle für Jugend- und Freizeitkultur zu etablieren. „Wir hatten die gleichen Wurzeln wie Magnet, aber einen ganz anderen Ansatz“, erzählt der ehemalige Blackbox-Kopf Michael Eisenriegler. „Wir wollten jungen Leuten ermöglichen, miteinander zu diskutieren, und konnten schon damals E-Mails in die USA schicken.“ Das habe zwar aufgrund zahlreicher zwischengeschalteter Mailboxen eine Woche gedauert, die Nachrichten seien aber immerhin angekommen, was damals keineswegs selbstverständlich war.

Blackbox war das Online-Forum für durchschnittliche Computerbenutzer, nicht für technophile Experten, und die Community wuchs rasch. 1994, als PING und Magnet erst an den Start gingen, hatte Blackbox schon mehr als 1000 registrierte Benutzer, und die konnten sich ein Jahr später über das erste kostenlose E-Mail-Angebot freuen. Eisenriegler: „Das war damals eine richtige Sensation, denn eine E-Mail-Adresse kostete noch rund zehn Euro pro Monat. Wir haben kurz nach Hotmail begonnen, Gratis-E-Mail-Adressen auszugeben.“

Blackbox blieb weiterhin dem Gedanken einer interaktiven Kommunikationsplattform treu, aber letztlich wurde der gemeinsame Geist von den wirtschaftlichen Umständen besiegt. Die Einnahmen, die sich Eisenriegler aus der Online-Werbung erhofft hatte, blieben fast völlig aus, und damals neue Ideen wie die einer Online-Partnersuchbörse brachten ebenfalls nicht die erhofften Gewinne. „Die Konsequenz war, dass Blackbox für uns nicht mehr leistbar war“, meint Eisenriegler, der letztlich keinen anderen Ausweg sah, als das Projekt aufzugeben: „Im Jahr 2000 haben wir die Blackbox und die Software den Benutzern geschenkt. Seither wird sie von ihnen selbst verwaltet.“

Georg Hahn, 46, Der Banker
1996 bis 2000 Geschäftsführer von Netway, heute Geschäftsführer der Racon EDV-Software GmbH.

Das Medium Internet faszinierte nicht nur die Technologiefreunde. Auch der Raiffeisen-Konzern, dessen Racon-Software GmbH Produkte für Banken entwickelte, überlegte damals, ins Internetgeschäft einzusteigen. „1994, 1995 habe ich mich bei US-Providern umgesehen, um herauszufinden, was dafür notwendig wäre“, erinnert sich Georg Hahn.

Anfang 1996 gründete die Raiffeisen-Gruppe Netway, den ersten wirklich kapitalstarken Internetprovider Österreichs. „Damals boten ja nur EUnet, PING, Mag-net, Blackbox und die Uni Wien Internet an. Es waren nur die Pioniere vertreten, keine großen Telekomanbieter, die das Geschäft heute dominieren“, erinnert sich Hahn.

Das Geschäftsmodell war einfach: Verkauft wurden Internetzugänge, was sich ab einer gewissen Kundenzahl rechnen sollte. Doch die Sache lief anders, als Hahn gedacht hatte. Zu Beginn blieb der erhoffte Kundenzustrom aus, weil es für die meisten Konsumenten noch unvorstellbar war, zu Hause einen Internetanschluss zu haben. Dann kam die Liberalisierung des österreichischen Telekommarktes und brachte eine Konkurrenz durch internationale Telekomanbieter, mit der kein Provider gerechnet hatte.

„Als die UTA begonnen hat, kostenlose Internetanschlüsse anzubieten, ist alles anders geworden“, meint Hahn, „das Geschäftsmodell der Provider war damit überholt, die Wertschöpfung hat sich auf die Telefonanbieter verlagert, welche die Leitungen zur Verfügung stellen.“ Den Pionieren blieb keine Möglichkeit, als zu versuchen, mit dem Verkauf von Inhalten oder mittels Online-Werbung Geld zu verdienen, doch auch dabei waren die Telekomriesen erfolgreicher als die zahlreichen kleinen Anbieter. „Es ist schade, aber von den Pionieren ist heute kaum einer übrig geblieben“, meint Hahn, der das Netway-Kapitel im Jahr 2000 mit dem Verkauf des Unternehmens an die UTA schloss.

Von Peter Sempelmann