Barack Obama möchte mit Dir auf Facebook befreundet sein

NSA: Barack Obama möchte mit Dir auf Facebook befreundet sein

Geheimdienstskandal. Der Feind in deinem Netz

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Es hätte ein Freundschaftstreffen werden sollen: Wenn Barack Obama diese Woche im Anschluss an den G8-Gipfel nach Deutschland reist, liegt sein erster und bislang einziger Besuch in Berlin bereits fünf Jahre zurück - die Erinnerungen daran sind aber immer noch frisch. Damals, 2008, war er noch gar nicht US-Präsident, und trotzdem jubelten ihm zehntausende europäische Fans so begeistert zu, als hätten sie ihn gerade zu ihrem eigenen gewählt.

Gut möglich, dass diesmal Buhrufe und Pfiffe die Stimmung stören werden. Dafür gibt es aktuell drei Gründe: Sie heißen FISA, NSA und Prism und sind dafür verantwortlich, dass Abermillionen von Internetusern zur Überzeugung gelangt sind, Amerika habe ihnen den Cyberkrieg erklärt.

FISA steht für Foreign Intelligence Surveillance Act, ein Gesetz, das seit 1978 die Auslandsspionage der USA regelt und über dessen praktische Umsetzung ein Geheimgerichtshof entscheidet. Bei der NSA handelt es sich um die National Security Agency, den wohl mächtigsten Geheimdienst der Vereinigten Staaten, zuständig für die weltweite Überwachung, Entschlüsselung und Auswertung elektronischer Kommunikation. Und Prism ist ein durch FISA rechtlich gedecktes, von der NSA durchgeführtes Überwachungsprogramm, das es den Cyberagenten erlaubt, die private Kommunikation der Kunden einer Reihe von populären Internetanbietern zu durchforsten.

Betroffen ist theoretisch jeder, der etwa AOL, Apple, Facebook, Google, Microsoft, Skype, PalTalk oder Yahoo benutzt. E-Mails, Internetaktivitäten, Kreditkartentransaktionen können in Echtzeit von der NSA überwacht werden - auf der ganzen Welt, also auch in Europa.

Aufgedeckt wurde das wenige Tage vor Obamas Europa-Trip von einem IT-Techniker namens Edward Snowden, der als Mitarbeiter einer Beratungsfirma für die NSA tätig gewesen war. Seither wird der 29-Jährige, der in Hongkong untergetaucht ist, als Verräter denunziert und gejagt wie ein Schwerverbrecher.

Vorangegangen war dem Prism-Skandal zudem die Enthüllung, dass die NSA auch Telefondaten in großem Stil abgesaugt hatte: darunter Nummern, Gesprächsdauer, SIM-Karten-Registrierung - auch in den USA. Damit war auch klar, dass ein traditionelles Tabu der Vereinigten Staaten gefallen ist: Gegen Landsleute durfte ihr Auslandsnachrichtendienst bisher unter keinen Umständen spionieren.

Die Empörung ist groß, naturgemäß in den sozialen Netzwerken, aber nicht nur dort. Die Kreativität, mit der die Wut zum Ausdruck gebracht wird, ebenso: "Yes, we scan“, lautet eine auf Facebook zirkulierende Abwandlung von Obamas Wahlslogan aus dem Jahr 2008. "Follow me on Prism“, wird am Kurznachrichtendienst Twitter gejuxt.

Doch die Folgen der Enthüllung gehen über die virtuelle Welt hinaus. Vor Obamas Arbeitsbesuch lässt Bundeskanzlerin Angela Merkel bereits verlauten, sie werde den Staatsgast auf die transatlantische Spitzelaffäre ansprechen. Immerhin gibt Snowden an, Deutschland gehöre zu den wichtigsten Zielgebieten von Prism.

Willkommen in Europa also, Mister President! Und dazu ein paar Anmerkungen aus der Sicht des alten Kontinents über Helden, Verräter, das Augenmaß bei der Terrorbekämpfung und ein paar andere Aspekte von Prism, FISA und dem Schnüffelwahn Ihrer Geheimdienste.

Warum Edward Snowden ein Held ist und kein Verräter

Einiges am Fall von Edward Snowden ist zumindest seltsam: Warum hat sich der IT-Techniker, der als Mitarbeiter eines Beratungsunternehmens für die NSA tätig war, überhaupt geoutet, statt anonym zu bleiben? Für Wohlmeinende lässt sich das damit erklären, dass er sich von seiner neuen Prominenz einen gewissen Schutz und Hilfe verspricht. Für weniger Wohlmeinende entpuppt er sich dadurch lediglich als "bombastischer Narziss, der ins Gefängnis gehört“.

Dass letztere Einschätzung ausgerechnet im eigentlich liberalen Magazin "The New Yorker“ geäußert wurde, zeigt, wie sehr die Frage polarisiert, ob Snowden nun ein Held ist oder ein Verräter - und zwar nicht zwangsläufig entlang der erwartbaren weltanschaulichen Bruchlinien.

Letztlich definiert sich der Status Snowdens darüber, ob er sich als Whistleblower qualifiziert: als jemand, der Missstände aufdeckt. Damit wäre sein Handeln gesetzlich gedeckt. Theoretisch zumindest. Denn in den USA erlischt jeglicher rechtliche Schutz für Whistleblower, sobald Staatsgeheimnisse in Gefahr sind. Somit ist es nur logisch, dass die amerikanischen Behörden Snowden strafrechtlich verfolgen.

Ob er auch aus moralischer Sicht Verrat begangen hat, steht auf einem anderen Blatt. Was Whistleblowing ist und was nicht, lässt sich nur von Fall zu Fall entscheiden.

Snowden hat jedenfalls öffentlich gemacht, dass die USA ein geradezu megalomanes Geheimprojekt betreiben, um in aller Welt private Daten abzuschöpfen. Zudem wurde die amerikanische Öffentlichkeit von den Ausführenden über das Programm belogen: Als der Nationale Geheimdienstdirektor James R. Clapper im Senat gefragt wurde, ob die NSA "überhaupt irgendwelche Daten von hunderten Millionen Amerikanern“ sammle, antwortete er knapp mit: "Nein, Sir.“

Diese Lüge entlarvt und die Welt über die Verletzung der Privatsphäre hunderter Millionen Menschen aufgeklärt zu haben, macht Snowden zum Helden.

Warum Prism legal, aber nicht legitim ist

Die gute Nachricht für die amerikanische Regierung ist eine schlechte für ihre Bürger: Formaljuristisch mag das Vorgehen der NSA korrekt sein, weil es von einem Geheimgericht namens Foreign Intelligence Surveillance Court (FISC) genehmigt wurde.

Russell Tice, ehemaliger Analyst der NSA, bezeichnet das geheime Gericht allerdings als "Känguru-Gericht mit Gummistempel“, auf gut Deutsch: als Farce-Einrichtung. Immerhin ist inzwischen bekannt, dass FISC seit seiner Gründung im Jahr 1978 fast 34.000 Anträgen zur konkreten Überwachung von Verdächtigen stattgegeben, aber lediglich elf abgelehnt hat.

Doch im US-Kongress herrscht eine seltene überparteiliche Eintracht über die Telefon- und Internet-Überwachung durch den Geheimdienst. "Es steht außer Frage, dass diese Programme Leben gerettet haben“, sagt etwa die demokratische Senatorin Barbara Boxer. Von ihrem republikanischen Kollegen Marco Rubio über den ehemaligen Präsidentschaftskandidat John McCain bis hin zum demokratischen Mehrheitsführer des Senats Harry Reid verteidigt der Großteil des Parlaments die Überwachungsmaßnahmen.

Die beiden demokratischen Senatoren Ron Wyden und Mark Udall beschweren sich bereits seit Jahren über die herrschende Überwachungspraxis: "Die meisten Amerikaner wären erschüttert, wenn sie erfahren würden, wie diese Geheimgerichte Artikel des Patriot Act auslegen“, hieß es im vergangenen Jahr in einem Brief an Justizminister Eric Holder. Details durften die beiden Senatoren freilich keine nennen: Beide sind in das Prism-Programm eingeweiht, haben sich also per Eid zu Geheimhaltung verpflichtet.

"Noch existiert der Unterdrückungsstaat nicht“, sagt der ehemalige Militär- und Sicherheitsexperte Brian Jenkins, der seit 1971 für die Regierung Daten über internationale Terroristen sammelt. Die Werkzeuge dafür stünden allerdings heute dafür bereit. "Wenn die Bevölkerung genug Angst hat, kann das Parlament Bürgerrechte ebenso einfach abschaffen wie Tyrannen Macht hinzugewinnen“, so Jenkins: "Wenn es das ist, was wir wollen, dann ist das Demokratie. Das Problem ist nur, dass es keine Struktur gibt, die sicherstellt, dass es das ist, was wir wollen.“
Dass Prism legal ist, heißt also noch lange nicht, dass es auch legitim ist.

Warum die USA im Kampf gegen den Terror Maß und Ziel verloren haben

"Small Potatoes“, also "Kinderkram“, nannte ein ehemaliger NSA-Agent das Überwachungsprogramm Prism im Vergleich zu den restlichen Möglichkeiten des Geheimdienstes. Seit der Verabschiedung des "Pat-riot Act“ unter dem Eindruck von 9/11 haben die Regierungen Bush und Obama die Möglichkeiten für Überwachung und Durchsuchungen nach allen Regeln der Kunst ausgedehnt. Vor allem der vierte und fünfte Zusatzartikel der Verfassung, die das Volk vor unbefugten Eingriffen durch den Staat schützen, wurden dabei praktisch aufgehoben.

"Man kann nicht 100 Prozent Sicherheit und 100 Prozent Privatsphäre haben“, verteidigt Obama die Praxis. Aktuelle Meinungsumfragen geben ihm recht. Sie belegen, dass die Mehrheit der Bevölkerung bereit ist, zugunsten der Terrorbekämpfung auf Teile ihrer Rechte zu verzichten. So bezeichneten es etwa 56 Prozent der vom Pew Research Center Befragten als akzeptabel, dass die NSA im Rahmen dieses Programms "geheime Gerichtsurteile bekommt, um bei Terrorismusermittlungen die Rufdaten von Millionen Amerikanern erfassen zu können“.

Inzwischen macht ein böses Bonmot die Runde. "Obama is carrying out Bush’s fourth term“ - "Obama erledigt die vierte Amtszeit von Bush“, twitterte Ari Fleischer, Ex-Pressesprecher des Weißen Hauses, vor wenigen Tagen und führte auch gleich drei Belege für dieses Behauptung an: den Drohnenkrieg, die Abhörmaßnahmen und Guantanamo.

Den Kampf gegen den Terror und viele seiner Praktiken hat Obama unbestrittenermaßen von Bush geerbt: Jedes Abgehen davon birgt das eminente Risiko, für jeden erfolgten Fehl- oder nicht verhinderten Anschlag politisch verantwortlich gemacht zu werden. Und Fleischers Tweet ist natürlich auch republikanische Propaganda.

Dennoch fiele es schwer, ihm zu widersprechen. Denn die unter Obama praktizierten Methoden der Terrorprävention und -bekämpfung gehen zum Teil sogar über jene der Ära Bush hinaus. So wurden in der Regierungszeit des 44. US-Präsidenten mit Stand 11. Juni nicht weniger als 387 sogenannte "non-battlefield targeted killings“ in Ländern wie Pakistan, Afghanistan und Jemen autorisiert: Darunter versteht man die Ausschaltung mutmaßlicher Terroristen, die zumeist durch Drohnenangriffe erfolgt. Für ein Todesurteil braucht es kein Gerichtsverfahren - es reicht, sich nach den Kriterien der USA verdächtig zu verhalten. Zivile Opfer werden dabei in Kauf genommen, solange es sich um "keine große Anzahl“ (Obama) handelt. Unter Bush sind bloß rund 50 derartige Hinrichtungen aktenkundig.

Auch was die Überwachung durch Geheimdienste betrifft, fällt der Vergleich klar aus: "Die NSA darf mehr, als mir unter den von Präsident Bush erteilten Sonderbefugnissen erlaubt war“, erklärte der frühere Geheimdienstchef Michael Hayden vor wenigen Tagen.

Und dort, wo Obama nichts verschärft hat, hat er auch nichts abgeschwächt. Umstrittene Regelungen des von Bush verabschiedeten Heimatschutzgesetzes wie die Generalermächtigung zum Abhören sämtlicher Kommunikationsmittel von jedermann, der unter Terrorverdacht geraten ist, wurden von ihm bereits zweimal verlängert.

Mit alledem schießen die USA bei der Terrorbekämpfung deutlich über jedes Ziel hinaus, das einem westlich-demokratischen Staat angemessen ist.

Warum Europa Mitschuld am Spitzelskandal trägt

Während sich Amerikaner unter Berufung auf die US-Verfassung gegen die Praktiken der Geheimdienste wehren können, bleibt Nicht-Amerikanern bloß der Weg zu nationalen Gerichtshöfen - mit bescheidenen Erfolgschancen. Ebenso gering ist die Wahrscheinlichkeit, genaue Auskunft über die wichtigsten Informationen der aus dem Ausland abgeschöpften Daten zu erhalten: absolute Zahlen, Zweck, eingesetzte Technik, Betroffene.

EU-Kommissarin Viviane Reding hat US-Justizminister Eric Holder einen Fragenkatalog zum US-Überwachungsprogramm übergeben und auf die "gravierenden Konsequenzen für fundamentale Rechte“ von EU-Bürgern hingewiesen. Der Österreicher Hannes Swoboda, Vorsitzender der sozialdemokratischen Fraktion im EU-Parlament, verknüpft gar das 200 Milliarden Euro schwere Wirtschaftsabkommen, dessen Abschluss Obama bei seinem Besuch in Europa vorantreiben will, mit dem Fall Prism: "Die höchsten Standards des Datenschutzes sollten auch die Grundlage der Handelsgespräche bilden“, zitiert ihn die "New York Times“. Die Empörung aus Europa ist allerdings ein wenig verlogen: Mehrere EU-Staaten, etwa Belgien und die Niederlande, dürften Zugriff auf Daten haben, die von Prism ausgespäht wurden. Deutschland erklärte offiziell, Prism nur aus den Medien zu kennen. Allerdings habe man immer wieder "sehr gute Informationen“ aus den USA erhalten, durch die "Anschläge in Deutschland verhindert werden konnten“, so Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich. Der britische Geheimdienst soll über ein Abkommen mit der NSA selbst direkten Zugriff auf Server von Google & Co. haben.

Und genau jenen Artikel, der den USA den willkürlichen Eingriff in die Privatsphäre verboten hätte, hat die EU selbst aufgehoben. Seit 18 Monaten wird das Datenschutzabkommen zwischen Brüssel und Washington verschleppt. Auf Druck einer massiven Lobbyingkampagne der USA ließ die EU-Kommission Anfang Jänner ausgerechnet jenen Passus verschwinden, der Prism dezidiert verboten hätte.

Europa ist also mitverantwortlich dafür, dass die USA jeden Schritt ihrer Bürger auf Facebook mitverfolgen können.