Pröll geht - Strache kommt

Pröll geht - Strache kommt: Die Turbulenzen in der ÖVP ebnen der FPÖ den Weg zur Nummer eins

Innenpolitik. Die Turbulenzen in der ÖVP ebnen der FPÖ den Weg zur Nummer eins

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Es waren mehr als Heinz-Christian Straches berühmte drei Bier, die am Dienstagabend der vergangenen Woche im Schweizerhaus im Wiener Prater bestellt wurden. In hopfenseliger Atmosphäre zelebrierte die FPÖ mit einer Gruppe von Journalisten ihr Hoch in den Umfragen. Heinz-Christian Strache dachte dabei laut ­darüber nach, unter welchen Bedingungen die FPÖ in eine Regierung eintreten würde. Einen „Fehler“, so Strache, wolle die FPÖ keinesfalls wiederholen: der ÖVP den Kanzler kampflos überlassen. Sollte die Volkspartei hinter der FPÖ liegen, wolle er nur als Kanzler Schwarz-Blau ermöglichen.

Der Mann, dessen Partei in ihrer Schwäche den Freiheitlichen in den vergangenen Wochen potenzielle Wähler geradezu zugetrieben hatte, traf an jenem Dienstagabend letzte Vorkehrungen für seinen Abschied. Denn so viel war Josef Pröll klar: Selbst bei bester Gesundheit wäre es ihm nur unter Aufbieten aller Kräfte gelungen, seine Partei von Platz drei an die Spitze oder wenigstens vor die Freiheitlichen zu bringen. Vielleicht hätte er das gesundheitliche Risiko in Kauf genommen und weitergemacht, wenn er in der Regierungsarbeit noch Sinn und Perspektive gesehen hätte. Aber so ist es nicht. In seiner Abschiedsrede beklagte Pröll den „Stillstand“ in entscheidenden Fragen. Wesentliche Teile der Politik seien in „Opportunismus und Populismus“ verhaftet. Und damit meinte er nicht nur H. C. Strache, sondern auch Koalitionspartner SPÖ.

Der blaue Vormann kann sich darauf verlassen, dass ihm die Performance von Rot und Schwarz Sympathisanten zutreibt. Strache war praktisch seit der Wiener Landtagswahl im Oktober auf Tauchstation, meldete sich selten zu Wort. Dennoch stiegen seine Umfragewerte in lichte Höhen – nach den Skandalen in der ÖVP-Europaparlamentsfraktion vor allem auf Kosten der Volkspartei. Laut einer aktuellen Umfrage der Karmasin Motivforschung im Auftrag von profil kommt die ÖVP nur noch auf 23 Prozent. Die FPÖ liegt bei 26 Prozent. Der Demoskop Peter Hajek sah die FPÖ vergangene Woche in einer Umfrage für ATV sogar schon bei 29 Prozent und damit deutlich vor SPÖ und ÖVP.

Gewählt wird erst in zwei Jahren. Wer jetzt vorne liegt, muss 2013 nicht unbedingt als Sieger vom Platz gehen. Doch der Aufwärtstrend der FPÖ lässt sich nicht mehr als Momentaufnahme bagatellisieren. Bei der Nationalratswahl 2006 hatte es nur für elf Prozent der Stimmen gereicht, zwei Jahre später waren es bereits 17,5 Prozent, nun wären es laut Umfragen gleich um zehn Prozentpunkte mehr.

Der böse Onkel.
Aber das ist – auch wenn die jüngsten Ereignisse die Wirklichkeit verzerren – mitnichten die Alleinschuld der ÖVP oder gar Josef Prölls: Auch die Performance der SPÖ, Paradebeispiel Wehrpflicht, ließ nicht eben den Eindruck entstehen, das Land werde von weisen Führern gelenkt.
Bei der ÖVP kam freilich noch ein Aspekt dazu: die Kompromisslosigkeit, mit der in dieser Partei Bünde, Länder und sonstige Interessengruppen seit Jahrzehnten gegeneinander agieren. Als nach dem Abgang Christine Mareks ein Platz auf der Regierungsbank frei wurde, ergab die innerparteiliche Feinwaage, dass die Funktion der Staatssekretärin im Wirtschaftsministerium im Moment alternativlos einer aus dem ÖAAB kommenden Frau aus den westlichen Bundesländern zusteht. Möglichst telegen, bitte schön. Das Ergebnis hieß Verena Remler und kam aus Lienz. Der Bundesparteiobmann und Vizekanzler hat da nur wenig mitzureden.
So begann denn auch der langsame Abschied des Josef Pröll von der Politik schon im vergangenen Herbst, lange vor seiner Erkrankung. Ein Schlüsseldatum scheint ein Regionalereignis gewesen zu sein: die Klausur des niederösterreichischen ÖVP-Landtagsklubs in Retz Ende September 2010. Damals waren enge Mitarbeiter von Onkel Erwin Pröll, wie etwa Klubobmann Klaus Schneeberger, in Anwesenheit Josef Prölls über die „Zentralisten in Wien“ im Allgemeinen und die Bundes-ÖVP im Besonderen hergefallen. Laut „Niederösterreichischen Nachrichten“ kündigte Schneeberger an, künftig vor Plenarsitzungen eigene Fraktionsbesprechungen der Landespartei mit den niederösterreichischen Nationalratsabgeordneten durchführen zu wollen – ein eklatanter Misstrauensbeweis gegen die Bundes-ÖVP. Onkel Erwin sei lächelnd in der ersten Reihe neben dem gedemütigten Vize­kanzler-Neffen gesessen. Das habe Josef Pröll schwer getroffen, erzählen Freunde des abgehenden Obmanns.

Der nächste Schlag erfolgte kurz nach der für die ÖVP desaströsen Wiener Landtagswahl. In einer Sitzung zwischen Bund und Ländern am 18. Oktober im Kanzleramt wollte der Finanzminister die Länder in die Budgetpflicht nehmen, Strafzahlungen für Defizitsünder verordnen und einen strengen Zeitplan für die Verwaltungsreform einmahnen. Erwin Pröll lehnte das wutentbrannt ab – und fand just in Bundeskanzler Werner Faymann einen Verbündeten. Nach der Sitzung verkündeten die beiden in einer gemeinsamen Pressekonferenz das Nicht-Ergebnis. Eine Verwaltungsreform würde doch Arbeitsplätze in der Verwaltung kosten, meinte Faymann.

Josef Pröll verließ die Sitzung als Düpierter. Tags darauf veröffentlichte die „Kronen Zeitung“ ein Foto der freudestrahlenden Sieger Erwin Pröll und Werner Faymann. „Neue Koalition“, titelte Faymanns Leibkolumnist Claus Pandi. „Faymann verhandelt die wesentlichen Fragen längst mit dem mächtigen Niederösterreicher.“

Dass wenige Tage danach, bei der Budgetklausur der Regierung in Loipersdorf, Faymann an seinem Vizekanzler vorbei mit Erwin Pröll telefonierte, war nur mehr eine Draufgabe. Als dann noch Vorarlbergs Landeshauptmann Herbert Sausgruber wegen der engeren Altersgrenzen bei der Familienbeihilfe gegen die ohnehin zahmen Budgetmaßnahmen beim Höchstgericht klagte, musste Josef Pröll einsehen, dass er gegen seine Landeshauptleute nicht ankam.

Im Spätherbst verfielen die ÖVP-Umfragedaten von mehr als 30 auf 25 Prozent, ohne dass die ebenfalls sieche SPÖ groß davon hätte profitieren können: Den Rahm schöpfte vor allem die FPÖ ab.

Hüttenzauber.
Auch hektische Aktivitäten, wie in jenem schicksalhaften März 2011, konnten daran nichts ändern. Pröll war innerhalb von drei Tagen nach Peking und zurück nach Wien gejettet, hatte Wäsche gewechselt, um nach Brüssel zu fliegen, und war von Belgien am 16. März ins Tiroler Hochzillertal gereist. Dort hatte die Telekom Austria zu einem Hüttenzauber geladen. Im hochalpinen Nobelquartier auf 2100 Meter Seehöhe fanden sich neben Josef Pröll, Außenminister Michael Spindelegger und Landwirtschaftsminister Nikolaus Berlakovich Wirtschaftsgrößen wie Telekom-Chef Hannes Ametsreiter, Casino-General Karl Stoss, Post-General Georg Pölzl, Großinvestor René Benko sowie ein Dutzend weiterer ÖVP-naher Top-Manager ein. Am Morgen nach einem ausgelassenen Hüttenabend habe man Josef Pröll sehr mitgenommen angetroffen: Der 42-jährige Vizekanzler litt an schwerer Atemnot und Schmerzen in der Brust. Im Rettungshubschrauber sagte ihm der Arzt: „Sie stehen an der Kippe.“

Die Diagnose Lungeninfarkt lag nahe – Pröll hatte eine entsprechende medizinische Vorgeschichte. Im Dezember 2009 hatte er sich nach anstrengenden Budgetgesprächen eine Woche Auszeit genommen und war mit seiner Frau nach Mauritius geflogen. Das Boulevardblatt „Österreich“ hyperventilierte damals: „Liebesurlaub statt Parlament!“ Paparazzi fotografierten leere Liegestühle. Bildtext: „Hier liegt Josef Pröll.“ Tatsächlich lag Pröll zu dieser Zeit mit seiner ersten Beinthrombose im Krankenhaus.
Die Diagnose der Innsbrucker Ärzte war noch um einiges ernster: doppelseitiger Lungeninfarkt. Pröll blieb eine Woche im Krankenhaus. Nach seiner Entlassung traf er in Wien seine engsten Vertrauten Maria Fekter, Fritz Kaltenegger und Karlheinz Kopf. Bei diesem Gespräch wurde vereinbart, wer Pröll auf welchem Feld vertritt. Von einem Abgang aus der Politik war damals noch nicht die Rede. Pröll zog sich in ein Therapiezentrum in Bayern zurück.

Langsam sickerte durch, wie ernst die Erkrankung des ÖVP-Obmanns ist. Die Ärzte sprachen mit dem Patienten Klartext: Änderung des Lebensstils, keine Langstreckenflüge, keine langen Autofahrten, wenig Stress – sonst könnten sie für nichts garantieren.

Während die Boulevardblätter noch Teufelsreporter auf die Pirsch schickten, die Pröll in einem Sanatorium aufstöbern sollten, war dieser schon längst wieder in seiner Wohnung in Wien-Währing. Dort fiel Anfang April die von seiner Familie mitgetragene Entscheidung: Gesundheit geht vor Politik. Zehn Tage vor seinem offiziellen Abschied informierte er sein engstes Umfeld, darunter Generalsekretär Kaltenegger. Man vereinbarte striktes Stillschweigen und bereitete heimlich den Ausstieg vor. Offiziell wurde noch die Nebelgranate geworfen, Pröll werde „nach Ostern“ zurückkommen.Aber in der Öffentlichkeit gab es bereits starke Zweifel an einem Comeback. Wie eine unmittelbar vor Prölls vorwöchiger Rücktrittserklärung durchgeführte profil-Umfrage zeigte, glaubten nur noch 35 Prozent der Österreicher, dass Pröll als Vizekanzler durchdienen werde.

Am Dienstag der Vorwoche sammelten sich in der Wiener Wohnung von Innenministerin Maria Fekter Pröll, Klubobmann Karlheinz Kopf und Kaltenegger. Man begann, SMS zu verschicken und Telefonate zu führen. Am Mittwoch, dem Tag des Abschieds, informierte Pröll ab sieben Uhr Früh den Bundespräsidenten, die Landesparteiobleute, Minister und Werner Faymann. Dann ging er zur Pressekonferenz, um die vielleicht beste Rede seiner politischen Karriere zu halten.

Strippenzieher.
Der Favorit im Nachfolgerennen, Außenminister Michael Spindel­egger, hatte zu diesem Zeitpunkt noch einen ernsthaften Gegenkandidaten: Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner. Dieser hatte im Gegensatz zu Spindelegger schon öfter eine etwas abweichende Meinung geäußert und etwa gegen die verzopfte Familienpolitik der Konservativen angeredet und für mehr Frauen in Aufsichtsräten geworben. Ihm wurde zugetraut, der ÖVP ein moderneres Erscheinungsbild zu verschaffen. Neben seinem Herkunftsbundesland Oberösterreich tendierten auch Salzburg und Wien zu Mitterlehner, der Seniorenbund war nicht eindeutig auf Spindeleggers Seite, der Wirtschaftsbund ohnehin nicht.

Nun begann Erwin Pröll die Fäden zu ziehen:
Er gab Serieninterviews, in denen er sich für Spindelegger starkmachte, und rief die Landesparteiobleute durch, um sie auf den Niederösterreicher einzuschwören. Josef Pühringer, der für seinen Landsmann Mitterlehner hätte Druck machen können, weilte im Ausland. Christoph Leitl, dem Chef der Wirtschaftskammer, ging die Entscheidung für Spindelegger zu schnell. Er schlug, um Zeit gewinnen, vor, den neuen Parteichef durch eine Findungskommission küren zu lassen. Leitl blieb in der Minderheit. Seit Mittwochnachmittag war klar: Die Würfel waren für Spindelegger gefallen.
In der Vorstandssitzung selbst musste sich Erwin Pröll gar nicht mehr zu Wort melden. Leitl kritisierte dort noch einmal das Tempo der Entscheidungsfindung, machte aber nicht mehr Druck für Mitterlehner. Manche halten die Rührigkeit von Pröll senior nicht für ganz selbstlos. Ex-Parteiobmann Erhard Busek: „Der Erwin hat schon oft potenzielle Konkurrenten als Landeshauptmann auf andere Posten weggebracht, jetzt eben auch Spindelegger. Und er ist sicher ganz froh darüber, dass es nur mehr einen Pröll in der Politik gibt.“

Inhaltlich ist der neue ÖVP-Obmann nie durch besondere Nähe zu FPÖ-Gedankengut aufgefallen – ein Zusammengehen mit Strache hat er allerdings in seinem guten Dutzend Interviews, die er seit vergangener Woche gab, auch nicht ausgeschlossen.

Geläuterter Strache.
Der FPÖ-Chef wiederum weiß, dass er seine Partei reputierlicher positionieren muss: Eine rechte Rabaukentruppe will niemand als Partner. Außerdem hat Strache wohl konstatiert, dass es Einbrüche bei Umfragen zuletzt immer dann gab, wenn die Freiheitlichen in alte Gewohnheiten zurückfielen. Als etwa Barbara Rosenkranz im Bundespräsidentenwahlkampf das NS-Verbotsgesetz kritisierte, purzelten die blauen Werte vorübergehend um ein paar Prozentpunkte nach unten.
H. C. Strache bemüht sich seit einigen Monaten um staatsmännisches Image und verzichtet auf die ganz schrillen Töne. Seine Reaktion auf den Rücktritt Prölls fiel fast nobel aus: „Ein großes politisches Talent verlässt die Bühne“, säuselte er in einer Aussendung. Es sei „sehr bedauerlich, wenn ein noch junger Mensch wie Pröll durch gesundheitliche Probleme zum vorzeitigen Karriereende gezwungen ist“. Auch beim Kernthema, der Ausländerpolitik, soll es in Zukunft weniger brachial zur Sache gehen. In zwei Monaten wollen die Freiheitlichen ein neues Parteiprogramm beschließen, in dem die Ausländer angeblich nicht einmal ein eigenes Kapitel bekommen werden. Dafür bekennt sich die FPÖ zu den Minderheiten und zum Asylrecht für politisch Verfolgte. Auch die Sprache werde anders sein als gewohnt, und zwar „positiv“, versprach Vizeparteichef Norbert Hofer.

Freilich sieht ein harter, gar nicht so kleiner Kern der Partei die Dinge anders. Fast ein Drittel der Mitglieder des blauen Parlamentsklubs sind Burschenschafter mit befremdlichem Gedankengut. Wenn die FPÖ ihr Wählerreservoir ganz ausschöpfen will, darf sie die alten Haudegen nicht verprellen. Strache hat deshalb zugesagt, am 8. Mai, dem Jahrestag der Kapitulation Hitler-Deutschlands, als Festredner bei der „Heldenehrung“ am Heldenplatz aufzutreten. Die Veranstaltung wird heuer von der Burschenschaft „Olympia“ ausgerichtet, die das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes als rechtsextrem einstuft.

Johann Gudenus
, Klubobmann der Wiener FPÖ, macht sich dieser Tage für den NS-Jagdflieger Walter Nowotny stark. In einem ganzseitigen „Krone“-Inserat ersuchte er die Innenministerin, der Auflassung von dessen Ehrengrab auf dem Wiener Zentralfriedhof keinesfalls zuzustimmen. Dies wäre ein „unrühmlicher Beitrag zur Herabwürdigung eines untadeligen Soldaten“.

Für peinliche Details aus dem Innenleben der Partei könnten auch die Ermittlungen rund um die Neonazi-Homepage Alpen-Donau.Info sorgen. Gottfried Küssel, einer der Drahtzieher, wurde vor ein paar Tagen verhaftet. Auf der Homepage gab und gibt es immer wieder Querverbindungen zur FPÖ. Vor zwei Jahren war ein Brief des FPÖ-Abgeordneten Peter Fichtenbauer ­online gestellt worden, der laut Fax-Adresse aus dem Büro von Johann Gudenus kam. Ein steirischer Funktionär des Rings freiheitlicher Wirtschaftstreibender hatte auf seiner Facebook-Seite einen Link zur Alpen-Donau-Homepage.

Und auch Strache selbst – diesmal so gar nicht Staatsmann in spe – schlug Freitag der Vorwoche wieder die alten Töne an. So als ob dem Gedanken je jemand nähergetreten wäre, verwahrte er sich gegen einen EU-Beitritt Israels. Das Interview stand passenderweise in der Rechtsradikalen-Postille „Aula“.

Lesen Sie im profil 16/2011 ein Interview mit Michael Spindelegger über Reformpläne, Erwin Pröll und seine Vorbehalte gegen Inhalte der FPÖ.

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin