"Die Dichand- Faymann-Doktrin"

"profil": Außenministerin Plassnik mit scharfer Kritik an Faymann und "Krone"

Außenministerin Plassnik im profil-Gespräch

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profil: Frau Außenministerin, Sie sind plötzlich eine ÖVP-Speerspitze im Wahlkampf. Ist diese Rolle nicht etwas ungewohnt?
Plassnik: Ich wurde das nicht durch mein Zutun. Im Wahlkampf rückte auch mein politisches Thema ins Zentrum: Europa. Und diesem Thema werde ich sicher nicht ausweichen.

profil: Auch wenn es der SPÖ laut Umfragen offenbar hilft, dass sie auf diesen EU-kritischen Kurs gegangen ist?
Plassnik: Das wird der SPÖ nicht helfen. Außerdem geht es da nicht um kurzfristige Vorteile in einem Wahlkampf, sondern um sehr grundlegende Fragen für Österreich.

profil: Gab es aus dem Kreis der europäischen Außenminister Reaktionen auf Gusenbauers und Faymanns Brief an die „Kronen Zeitung“?
Plassnik: Selbstverständlich werde ich darauf angesprochen. Meist mit Verwunderung, denn Österreich hat immer zu den Ländern gehört, die sich für die europäische Einigung eingesetzt haben und die von der EU am meisten profitieren. Viele der Beobachter in Europa kennen ja auch den Hintergrund dieses EU-Kopfstands der SPÖ. Ich verwende nicht gerne das Wort „EU-Schwenk“, das ist mir zu verharmlosend.

profil: Hat Sie der „Kopfstand“ überrascht, oder hat er sich schon angekündigt?
Plassnik: Mir ist in den letzten Jahren in den Diskussionen um die EU-Präsidentschaft im Parlament und bei anderen Anlässen aufgefallen, dass aus der SPÖ viel an EU-Kritischem, aber sehr wenig an konstruktiven Vorschlägen gekommen ist. Vielleicht habe ich das zu wenig ernst genommen, aber ich habe es mir mit dem Oppositionsreflex erklärt. Im Rückblick liest sich manches anders.

profil: Hatten Sie eine Vorinformation über den berühmten Brief?
Plassnik: Nein, ich hatte keinerlei Hinweis, dass ein derartiger Brief in Konzeption oder vielleicht sogar schon unterschrieben war. Genau an dem Tag, an dem er abgeschickt wurde, am 25. Juni, habe ich dieses Thema in der Ministerratssitzung angesprochen. Es stand zwar nicht auf der Tagesordnung, aber es hatte eben die Volksabstimmung in Irland gegeben, und das Euro-Barometer wies in Österreich karge 28 Prozent positives EU-Image aus. Außerdem hatte es ja gerade den Wechsel an der SPÖ-Spitze gegeben, und mir war beim besten Willen keine prononcierte Aussage Werner Faymanns zum Thema Europa in Erinnerung. Es hat dann in der Diskussion im Ministerrat für mich keinerlei Hinweis gegeben, dass soeben ein in der Vorgangsweise aberwitziger und im Inhalt falscher Brief entworfen oder geschrieben worden war. Donnerstagabend waren wir dann gerade im Parlament, als ein Mitarbeiter mit einer Online-Meldung zum Brief in der „Kronen Zeitung“ hereinstürmte. Ich war fassungslos.

profil: Haben Sie den Bundeskanzler und den neuen SPÖ-Vorsitzenden in der nächsten Regierungssitzung darauf angesprochen?
Plassnik: Natürlich habe ich das bei der nächsten Gelegenheit massiv thematisiert. Aber da war das Ganze schon Teil einer sehr öffentlich geführten Auseinandersetzung.

profil: Die SPÖ argumentiert, immerhin habe auch die ÖVP eine Volksabstimmung über einen etwaigen Beitritt der Türkei zur EU verlangt …
Plassnik: Ablenkungsmanöver. Das steht ja im Regierungsprogramm. Aber beim „Krone“-Brief geht es doch weder um das Thema Europäische Union noch um irgendein anderes Sachthema. Es geht ausschließlich um die „DFD“, um die Dichand-Faymann-Doktrin: „Springst du auf meinen Anti-EU-Zug auf, mache ich dich zum Bundeskanzler.“ Das haben die letzten Monate ja ganz deutlich gezeigt. Die Frage ist: Wollen wir in Österreich einen Bundeskanzler am Gängelband eines Mediums?

profil: Sie selbst hatten kurz zuvor mit „Krone“-Herausgeber Hans Dichand eine Aussprache, die er anders darstellt als Sie. Wie lautet Ihre Version?
Plassnik: Ich habe Hans Dichand heuer im Juni am Tag nach dem irischen Referendum getroffen, das war bezeichnenderweise Freitag, der 13. Interessanterweise hatte er dieses Gespräch mit dem Hinweis „Geld regiert die Welt“ begonnen. Mir schien das bei diesem Gespräch zu europapolitischen Themen nicht unbedingt einleuchtend. Ich hatte Dichand zwei kleine Geschenke mitgebracht, mit denen ich meine Wertschätzung zu bestimmten Dimensionen seiner Arbeit zum Ausdruck bringen wollte.

profil: Was haben Sie mitgebracht?
Plassnik: Ich war im Februar im Nahen Osten und habe in Jerusalem die „Hand-in-Hand-Schule“ besucht, ein wirklich faszinierendes Projekt zweisprachigen interkulturellen Lernens, für das Hans Dichand großzügig ein Gebäude gestiftet hat. Ich brachte ihm ein Foto vom Eingang dieser Schule mit den Kindern, die ich dort getroffen habe. Als Zweites habe ich ihm den Leitartikel mitgebracht, den er selbst 1994 vor dem österreichischen EU-Beitritt geschrieben hat. Und ich habe ihm gesagt: Alle Argumente, die Sie da vertreten haben, sind nach wie vor gültig. Also: Sie haben Ihre Meinung geändert, nicht ich. Und unsere Positionen werden nicht in Einklang zu bringen sein.

profil: Und Ihnen hat er nichts angeboten?
Plassnik: Das war schon ein Jahr vorher. Da hat er mir angeboten, was er dann offenkundig auch dem Briefschreiberduo Faymann/Gusenbauer angeboten hat, nämlich die ÖVP zu retten, wenn wir für eine Volksabstimmung über den EU-Vertrag sind. Ich habe das natürlich zurückgewiesen. Es war für mich schlicht unfassbar, dass Dichand einem Regierungsmitglied volle Unterstützung anbietet, wenn es sich in einem zentralen Punkt der Politik gegen alle Vernunft gefügig zeigt. Ich habe mir im Weggehen als Juristin überlegt, ob da nicht soeben ein juristisch relevanter Tatbestand stattgefunden hatte. Aber bei mir war es allenfalls ein untauglicher Versuch. Andere Leute haben bei einem derartigen Angebot Dichands dann offenbar ziemlich anders reagiert.

profil: Faymann und Gusenbauer sagen, sie hätten bloß einen Leserbrief geschrieben.
Plassnik: Geschenkt. Ich bin sicher, auch der durchschnittliche „Kronen Zeitung“-Leser kann sich ein Bild machen, worum es da ging.

profil: Halten Sie eine Koalition mit der SPÖ, nach allem, was geschehen ist, überhaupt noch für denkbar?
Plassnik: Das will ich jetzt, mitten im Wahlkampf, nicht beurteilen, aber ich werde allen Parteien gegenüber unseren Standpunkt in dieser zentralen Frage der Politik klarmachen.

profil: In der Fernsehdiskussion zwischen Bundeskanzler Wolfgang Schüssel und dem damaligen FPÖ-Obmann Herbert Haupt vor der Wahl 2002 sagte Schüssel Haupt deutlich, die FPÖ komme nur dann in die Regierung, wenn sie die EU-Politik mittrage. Ist das jetzt bei der SPÖ anders?
Plassnik: Ich habe in unterschiedlichen Regierungskoalitionen gearbeitet. Für mich ist wesentlich, auf welches Regierungsprogramm man sich letztlich einigt. Aber Ihr Beispiel aus dem Jahr 2002 ist interessant: Mit der FPÖ und später mit dem BZÖ ist es immerhin gelungen, jeden einzelnen Punkt der europäischen Agenda positiv zu bewältigen – inklusive der großen Erweiterung 2004 und später der Erweiterung um Rumänien und Bulgarien. Das zeigt, dass viele der alten Stereotypen – hier die EU-Befürworter, da die EU-Gegner – nur sehr bedingt gelten. Derzeit sind wir auf dem Weg zu einer EU-kritischen, ich würde sogar sagen: EU-feindlichen politischen Mehrheit – vielleicht gar Koalition – in Österreich. Und das macht diesen SPÖ-Kopfstand umso bedenklicher.

profil: Findet die ÖVP dann überhaupt noch einen Koalitionspartner?
Plassnik: Die ÖVP wird Kurs halten. Es ist an der Zeit, dass die SPÖ aufwacht und sich klar wird, wo Österreichs Interessen sind. Sicher nicht in einer Allianz mit dem unbestrittenen Kompetenzzentrum der Neinsager und Negativisten. Es wäre halt notwendig, dass sich jene in der SPÖ, die das auch so sehen – und es gibt viele! –, innerparteilich mehr Raum verschaffen. Sie sind leider etwas still.

profil: Es gibt Gerüchte, Wilhelm Molterer wolle nach den Wahlen sehr rasch eine Koalition mit FPÖ und BZÖ schmieden. Stimmt das?
Plassnik: Ich werde jetzt auf gar keine Spekulationen eingehen. Ich habe ein Anliegen, und das gilt allen Parteien gegenüber: sich mit der EU konstruktiv, aktiv und im Einzelfall durchaus auch kritisch auseinanderzusetzen. Ich, die ich täglich auf den diversen Baustellen der EU unterwegs bin, werde mir nicht umhängen lassen, ich träte ohne Wenn und Aber und völlig kritiklos für Europa ein.

profil: Wie geht es Ihnen eigentlich dabei, dass Sie jetzt in einer Zeitung so hart angegriffen werden?
Plassnik: Es wird Sie vielleicht wundern: besser denn je. Oder haben Sie den Eindruck, dass hier eine geknickte Frau vor Ihnen sitzt?

profil: Legt man Ihnen in der ÖVP manchmal nahe, den Konflikt mit der auflagenstärksten Zeitung des Landes nicht noch zu verschärfen?
Plassnik: Natürlich gibt es solche Stimmen. Aber die Zahl jener, die Standfestigkeit in dieser Frage für schädlich halten, ist heute weit geringer als noch vor einigen Wochen. Jetzt ist ja offenkundig: Es geht um die Macht.

profil: Vielleicht wollen ja auch viele in der ÖVP eine Volksabstimmung über die EU-Verträge.
Plassnik: Nur: Eine Volksabstimmung löst weder ein Sachproblem noch ein Vertrauensproblem. Ich hatte übrigens gestern ein interessantes Erlebnis, als ich mit der Botschafterkonferenz beim Bundespräsidenten war. Der Bundespräsident hat darauf verwiesen, dass 99,9 Prozent aller Staatsverträge und Gesetze seit 1945 ohne Volksabstimmung zustande gekommen sind. Und dass diese Gesetze funktionieren und unbeanstandeter Teil unserer Rechtskultur sind.

profil: Die „Krone“ sieht das anders.
Plassnik: Ja, weil sie zu einer wahlwerbenden Gruppe geworden ist. Die Österreicherinnen und Österreicher haben alle möglichen Vorstellungen, wie ihr politisches Führungspersonal beschaffen sein sollte. Aber eines wollen sie sicher nicht: Sie wollen ihre politische Führung nicht im Staub vor einem Medium oder einem Zeitungsherausgeber sehen. Sie wollen selbstbewusste Menschen, die für das eintreten, was sie für richtig halten – selbst dann, wenn sie inhaltlich nicht immer mit allem einverstanden sind.

profil: Die Umfragewerte der ÖVP sind zuletzt schlechter geworden. Ist das eine Folge der „Krone“-Kampagne?
Plassnik: Da befinden wir uns im Bereich der Spekulation. Aber je engagierter die ÖVP jetzt um jede Stimme kämpft, umso besser.

profil: Sie sind seit Kurzem ÖVP-Spitzenkandidatin in Kärnten. Kärnten war für die ÖVP immer ein sehr schwerer Boden. Wie werden Sie denn Ihren Wahlkampf anlegen?
Plassnik: Die Kandidatur ist eine Herausforderung, die ich nicht aktiv gesucht habe, man hat mich darum gebeten. Ich habe meinen Freunden in Kärnten gesagt, dass meine zeitlichen Möglichkeiten klarerweise sehr beschränkt sind, und ich habe auch ganz deutlich gemacht, dass ich inhaltlich bei meinen Positionen bleiben werde – auch und insbesondere in der Ortstafelfrage. Es gab dann einen einstimmigen Beschluss der Gremien der Kärntner ÖVP. Ich habe mir jetzt zwischen Brüssel, Moskau und New York einige Tage freimachen können, und die werde ich wahlkämpfend in Kärnten verbringen. Das ist ja auch etwas Besonderes für mich, weil meine Kärntner Wurzeln über die Jahre eine Kraftquelle geblieben sind.

profil: Sie reisen demnächst mit dem Bundeskanzler zu den Vereinten Nationen. Wie ist denn Ihr Verhältnis zu ihm nach dieser Brief-Affäre?
Plassnik: Ich habe dem Bundeskanzler schon im Ministerrat meine Position in dieser Sache im Detail klargelegt. Das wird mich aber nicht daran hindern, mit ihm gemeinsam sachlich und in positiver Stimmung für Österreich zu arbeiten.

Interview: Herbert Lackner, Otmar Lahodynsky