„In das Gesicht des Herrn gespuckt“

Russland: Gerichtsgroteske um die Band Pussy Riot

Russland. Gerichtsgroteske um die Band Pussy Riot

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Von Anna Giulia Fink und Andrej Iwanowski (Moskau)

Ein symbolischer Ort, ein bewusster Tabubruch: Am 21. Februar protestierten fünf Mitglieder der russischen Punkband Pussy Riot in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale lauthals und in bunten Sturmmasken gegen Präsident Wladimir Putin, den russisch-orthodoxen Klerus und die Verquickung von Kirche und Staat. Kernstück ihres Auftritts: ein Gebet an die Mutter Gottes mit der Bitte, Putin zu verjagen.


Der Staat reagierte mit voller Härte.
Drei der Musikerinnen - Nadeschda Tolokonnikowa (22), Maria Aljochina (24) und Jekaterina Samuzewitsch (29) - wurden in Untersuchungshaft genommen. Da Blasphemie in Russland nicht strafbar ist, lautet die Anklage gegen sie auf "Rowdytum aus Motiven des religiösen Hasses“. Seit Montag vergangener Woche müssen sich die Frauen vor Gericht verantworten, diese Woche wird mit einem Urteil gerechnet. Ihnen drohen bis zu sieben Jahre Haft.

profil dokumentiert die Absurdität des Falls anhand von Originalzitaten.

"Mutter Gottes, du Jungfrau, vertreibe Putin! Vertreibe Putin, vertreibe Putin! Schwarzer Priesterrock, goldene Schulterklappen/Alle Pfarrkinder kriechen zur Verbeugung/Das Gespenst der Freiheit im Himmel/Homosexuelle werden in Ketten nach Sibirien geschickt.
Der KGB-Chef ist euer oberster Heiliger/Er steckt die Demonstranten ins Gefängnis/Um den Heiligsten nicht zu betrüben/Müssen Frauen gebären und lieben.
Göttlicher Dreck, Dreck, Dreck! Göttlicher Dreck, Dreck, Dreck!
Mutter Gottes, du Jungfrau, werde Feministin/Werde Feministin, werde Feministin!
Kirchlicher Lobgesang für die verfaulten Führer/Kreuzzug aus schwarzen Limousinen/In die Schule kommt der Pfarrer/Geh zum Unterricht, bring ihm Geld.
Der Patriarch glaubt an Putin. Besser sollte er, die Schlampe, an Gott glauben/ Der Gürtel der Seligen Jungfrau ersetzt keine Demonstrationen/Die Jungfrau Maria ist bei den Protesten mit uns!“
Auszug aus dem Protestlied "Heilige Maria, erlöse uns von Putin“

"Die Kirche wird von ihren Gegnern attackiert. Es besteht die Gefahr, dass Blasphemie und Verspottung des Heiligen unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit, die in einer modernen Gesellschaft verteidigt werden muss, möglich gemacht werden.“
Der russisch-orthodoxe Patriarch Kyrill I. am 22.4. über die Performance

"Putin weiß über den rowdyhaften Auftritt der Punkgruppe Pussy Riot Bescheid, seine persönliche Einstellung zum Vorfall ist negativ. Über den Inhalt des Lieds ist uns, offen gesagt, nichts bekannt.“
Dmitri Peskow, Pressesekretär Putins (Fernsehsender Doschd/TVRain, 7.3.)

"In gewissen Ländern wäre die Verantwortung dafür viel strenger gewesen. Ganz zu schweigen davon, dass solche Aktivitäten unter bestimmten politischen Bedingungen äußerst traurig für die Teilnehmer dieser Aktivitäten hätten enden können.“
Premierminister Dmitri Medwedew ("The Times“, 30.7.)

"Mit der Umsetzung ihrer Aktion, die ihrer Form nach eindeutig respektlos und frei von jeglichen Grundlagen der Moral war, haben sie sich der orthodoxen Welt entgegengestellt. Sie waren bemüht, die kirchlichen Traditionen und Grundprinzipien, welche im Lauf von Jahrhunderten geschützt wurden, demonstrativ und exemplarisch wertlos zu machen. Mit ihrem Auftritt haben sie die inneren Überzeugungen der Bürger abgewertet, die sich geistig mit Gott verbinden. Klar und eindeutig haben sie ihren religiösen Hass und ihre feindselige Einstellung gegenüber dem Christentum zum Ausdruck gebracht.“
Auszug aus der Anklageschrift

"Bande“, "Gottesschänder“, "Kanonenfutter im Krieg gegen die Seele des Volkes“
Das russische Staatsfernsehen über den Auftritt (24.4.)

"Sie haben mir damit regelrecht ins Gesicht gespuckt, in meine Seele und auch in das Gesicht des Herrn.“
Zeugin Tatiana Anassowa, Kirchenangestellte (Russian Legal Information Center, 31.7.)

"Ich habe mich gedemütigt gefühlt und Schmerzen gelitten, die ich noch immer spüre.“
Zeugin Ljubow Sokologorskaja, Kerzenverkäuferin in der Moskauer Kathedrale (Nachrichtenagentur Interfax, 31.7.)

"Extremismus und Satanismus ist unser gemeinsamer Feind und eine Bedrohung für die gesamte Zivilisation. Der Horror des Zweiten Weltkriegs und die hundert Millionen Toten, die autoritäre Regime hervorbrachten, inklusive des Holocaust, werden wie ein Kinderspiel erscheinen, neben dem, was uns bevorsteht, wenn wir uns nicht gemeinsam gegen das Böse stemmen.“
Alexander Schargunow, Erzpriester der orthodoxen Kirche (Radio Radonezh 31.7.)

"Widerwärtig“
Staatliches "Erstes russisches Fernsehen“ über die Performance von Pussy Riot (19.7.)

"Für diese Sünde werden sie in diesem wie im nächsten Leben bestraft werden.“
Wsewolod Tschaplin, Sprecher der orthodoxen Kirche ("Guardian“, 24.7.)

"Eine rationale Erklärung für die Fortsetzung der absurden Gerichtsverhandlung gegen Pussy Riot lässt sich kaum finden.“
Tageszeitung "Wedomosti“ (1.8.)

"Hexenjagd, die ans Mittelalter erinnert.“
Tageszeitung "The Moscow Times“ (1.8.)

"Die Aktion war der verzweifelte Versuch, das politische System zu verändern. Wir hatten niemals die Absicht, Menschen zu beleidigen. Die Tatsache, dass wir auf, nicht schuldig‘ plädieren, schließt nicht aus, dass wir bereit sind, Fehler zuzugeben. Sollte sich jemand verletzt gefühlt haben, dann bin ich bereit zu der Einsicht, dass wir einen ethischen Fehler begangen haben.“
Nadeschda Tolokonnikowa, Pussy Riot, vor Gericht (www.freepussyriot.org, 29.7.)

"Einerseits liegt ein dummer und unwitziger Streich von beschränkten, infantilen und verantwortungslosen Närrinnen auf der Hand, die nur provozieren wollen und nun die Früchte ihres ‚Ruhms‘ genüsslich ernten. Andererseits hat diese idiotische Kleinigkeit (von der normale Menschen keine Notiz genommen hätten) plötzlich eine gähnende Kluft von tierischem Hass, Obskurantismus, Heuchelei und Demagogie unserer Inquisitoren offenbart.“
Alfred Koch, russischer Ex-Minister, Unternehmer und Autor (auf seinem Blog, 28.7.)

"Ich verstehe die Natur der juristischen Verfolgung nicht.“
Maria Aljochina, Pussy Riot, vor Gericht (www.freepussyriot.org, 29. 7.)

"Russland ist ein weltlicher Staat, und keine antiklerikalen Handlungen, soweit für diese keine Artikel des Strafgesetzbuchs gelten, können eine strafrechtliche Verfolgung nach sich ziehen.“
Aus dem gemeinsamen Brief von über 100 russischen Künstlern an das Oberste Gericht Russlands und das Moskauer Stadtgericht, der am 26.6. in mehreren russischen Medien erschien

"Sie versuchen, die Performance als einen Angriff dunkler Mächte gegen Russland darzustellen. Das ist eher absurdes Theater als ein Rechtsverfahren.“
Nikolai Polosov, einer der Anwälte von Pussy Riot (AFP, 20.7.)

"Meine Frau hat großen Respekt vor Religion. Als Diplom-Philosophin hat sie sich sehr gründlich mit Religionsgeschichte auseinandergesetzt. Die Aktion in der Kathedrale war als Protest gegen den politischen Missbrauch der Kirche gedacht - und persönlich gegen Patriarch Kyrill, den Vorsteher der Erlöser-Kathedrale.“
Pjotr Wersilow, freischaffender Künstler und Ehemann der mitange-klagten Pussy-Riot-Akteurin Nadeschda Tolokonnikowa (gegenüber profil, 31.7.)

"Wir haben überhaupt nicht mit derart schwerwiegenden Folgen gerechnet. Immerhin haben Nadeschda und ich eine dreijährige Tochter.“
Pjotr Wersilow, freischaffender Künstler und Ehemann der mitangeklagten Pussy-Riot-Akteurin Nadeschda Tolokonnikowa (gegenüber profil, 31.7.).