Rainer Nikowitz

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An jenem Morgen wachte Gerhard Dörfler schweißgebadet auf. Getrieben vom untrüglichen Instinkt des Vollblutpolitikers – der ja nicht jedem gegeben war, wie ihm nicht zuletzt sein bester Freund, der Watschnig Edelbert, der leider nicht mehr als Dorftrottel in Möllbrücke arbeiten konnte, seit ihn beim Holzmachen eine fallende 30 Meter hohe Fichte leicht am Hinterkopf gestreift hatte, immer wieder bestätigte – sprang Gerhard auf, rannte zum Fenster und riss ungestüm den Vorhang beiseite.
Gott sei Dank. Da draußen war alles in Ordnung. Die Karawanken verstellten ihm immer noch den Horizont.

Aber während der Morgentoilette – die zur Feier des Tages nicht nur aus den üblichen paar Tropfen 4711 bestand, sondern auch noch einen „Wild Cherry“-Kaugummi beinhaltete – beschlich den Landesvater wieder das Gefühl, dass etwas nicht stimmte. Hatte er am Ende etwas vergessen? Angestrengt dachte er nach und versuchte die beiden wichtigsten Sätze, die er sich für seinen großen Tag merken musste, zusammenzuklauben.
„Rechts ist, wo der Daumen links ist.“ Und: „Lassen Sie mich zuerst unseren Wählerinnen und Wählern für das Vertrauen danken.“ Er konnte sie eh noch. Warum also war er bloß so unruhig?

Plötzlich lief ihm ein eiskalter Schauer über den Rücken. So ein Gefühl hatte er zum letzten Mal gehabt, als er in seinem letzten Schuljahr die Angabe zu einer Mathematik-Schularbeit bekommen hatte – und sie eine Division von ihm wollten. Ein Traum. Er hatte einen schlimmen, einen grässlichen Traum gehabt. Und jetzt war er ihm wieder eingefallen. Normalerweise träumte er ja davon, dass er Spiderman war und sich eine vollkommen willenlose Waltraud Haas in seinem Netz verfing. Oder dass er über den Neuen Platz in Klagenfurt ging und sich fürchterlich genierte, weil er als Einziger eine Hose anhatte.

Einmal hatte er sogar geträumt, dass Uwe Scheuch ihn leiden konnte. Aber so etwas wie heute … Und das in der Nacht vor der Wahl! Der Landeshauptmann stürzte atemlos zum Telefon und wählte mit zittrigen Fingern Stefan Petzners Nummer. Der Parteistratege musste jetzt zu erreichen sein – schließlich war er täglich zwischen acht und neun Uhr nicht im Solarium. „Gerhard“, hörte er Petzner alsbald einigermaßen unerfreut sagen. „I hob dir doch gesogt, dass es nur drei Anlässe gibt, wegen denen du mi privat anruafen derfst: Wenn du beim Scrabble a zwastöllige Punktezahl gschafft hast, wenn Minimundus brennt – oder wenn dir der Jörg erschienen ist.“

Der Landeshauptmann bebte vor Aufregung. „Jo, eh!“, hörte er sich mit einer Forschheit sagen, die ihn selbst in dieser Sekunde ein wenig an den jungen Luis Trenker erinnerte, der gefragt wurde, ob nicht schwarze statt brauner Bergschuhe besser zu seiner neuen Knickerbocker passten.
Petzner wurde hellhörig. „Moment amol“, raunte er kehlig. „Dos mit dem Scrabble is unmöglich. Olso, wer hat Minimundus angezündet? Die Windischen? Oder die Grünen?“ Dörfler schaute in den Spiegel und kraulte seine Nasenhaare. „Minimundus geht’s guat“, sagte er.

Am anderen Ende der Leitung herrschte mit einem Mal völlige Stille. Nicht einmal das übliche Knacken der Finger von Uwe Scheuch, der gewohnheitsmäßig alle Telefonate des Landeshauptmanns überwachte, um gegebenenfalls eingreifen zu können, falls Gerhard die Pointe eines Witzes entfallen war oder er eine Pizza bestellen wollte und seine Adresse nicht mehr wusste, war zu hören. Uwe war es auch, der das Schweigen schließlich brach. „Da Jörgl is dir erschienen? A so a Bledsinn.“ Auch Petzner hatte sich in der Zwischenzeit wieder gefangen. Er schnaubte verächtlich. „Dir? Ausgrechnet? Aber sicher! Wenn der Jörg irgendwem erscheinen tat, dann ja wohl mir. Wos hat er denn gesagt, ha?“

„Mir hat geträumt, i kumm ins Wahllokal“, der Landeshauptmann räusperte sich und öffnete seinen obersten Hemdknopf, um nicht zu ersticken. „Es wimmelt vor lauter Fotografen, und i denk mir natürlich, die san olle wegen mir do. San sie oba nit. Weil drinnen …“, Dörfler stockte, „drinnen steht da Jörg bei der … bei der Urne und haltet seinen Stimmzettel eine. Wia früher.“
Petzner gab sich damit nicht zufrieden. „Wos hat er angehabt? Armani oder Trachtenjanker?“

Der Landeshauptmann war sich sicher. „Trachtenjanker. Is doch wohl kloa, am Tag der Landtagswahl. Jedenfalls ruft ana von de Fotografen: ‚Jörg, wen hast denn leicht gewählt, ha?‘ Und der Jörg lacht, deutet auf mi und sagt: ‚Den Deppen da jedenfalls nit!‘“ Wieder herrschte betroffenes Schweigen. Kein Zweifel. Das war tatsächlich der Jörg gewesen. Uwe Scheuch fand als Erster die Fassung wieder. „Guat“, sagte er tonlos. „Dos bleibt unter uns. Und Gerhard, vergiss nit: Wir san Liste eins. Und außerdem: Rechts is durt, wo der Daumen links is.“ „Lassen Sie mich zuerst unseren Wählerinnen und Wählern für ihr Vertrauen danken“, erwiderte Dörfler mechanisch. „Genau“, sagte Scheuch. „Wird schon schiefgehen. Und Stefan? Bei der Siegesfeier – ka Udo Jürgens.“

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