Rainer Nikowitz

Rainer Nikowitz Unter Geiern

Unter Geiern

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Als Wernetou, von dem nicht nur seine Freunde, von denen er zweifellos mehr hatte als der Medizinmann der Apachen geheilte Patienten, sagten, er habe die Augen des Pumas, die Nase des Kojoten und die Anmut der Rotbauchunke, aus der pechschwarzen Dunkelheit vor ihm ein Geräusch vernahm, wie er es hier draußen in der Prärie noch nie gehört hatte, warnte er sofort seinen treuen Gefährten auf der anderen Seite der Schlucht.

Er stieß den – nur wenigen eingeweihten Waldläufern und Scouts bekannten – Paarungsruf des gemeinen Innviertler Blutegels aus. Und er wusste: Sein Blutsbruder war jetzt auf das, was auf sie zukam, vorbereitet.
Josef, von dem man sich die unglaublichsten Geschichten an den Lagerfeuern erzählte und sich voller Ehrfurcht seinen Kampfnamen „Old Shakinghand“ zuraunte, hörte den schrillen Koloraturton, dem ein gutturales Grunzen folgte, von der anderen Seite des Hinterhalts, den sie gelegt hatten, klar und deutlich herüberklingen.

Er hatte nicht die geringste Ahnung, was das bedeuten sollte.
Allerdings eilte ihm seit jener Nacht damals im Studentenheim – wiewohl nach dem Genuss von reichlich Feuerwasser nicht mehr gänzlich Herr seiner messerscharfen Sinne – der Ruf voraus, es mit seiner raschen Auffassungsgabe selbst mit einem Maiszünsler aufnehmen zu können – Old Shakinghand hatte damals zur allgemeinen Verwunderung mit verbundenen Augen erkannt, dass in einem Korb voll mit Äpfeln auch noch ein Kukuruzkolben lag. Danach ­waren die Karriere beim Bauernbund und sein weiterer Erfolgsweg natürlich vorgezeichnet.

Shakinghand dachte einmal scharf nach. Sie waren in Brüssel. Also in Feindesland. Sie standen am Ende eines langen, dunklen Ganges und warteten auf einen sicherlich zu allem entschlossenen und mit allen Wassern gewaschenen Kavalleristen. Plötzlich machte sein Waffenbruder ein Geräusch, das er das letzte Mal von ihm gehört hatte, als er bei einem Anruf von Alfred Gusenbauer so tat, als gäbe es große Netzprobleme.
Shakinghand ahnte mit einem Mal: Da stimmte etwas nicht. Seine Muskeln – und bei Gott: Jeder noch so verwegene Sachbearbeiter der Oberösterreichischen Landesregierung wäre glücklich, solche Muskeln zu haben – spannten sich an. Er griff nach dem Bowiemesser, zog es aus dem Gürtel, wischte es an dem ebenfalls dort baumelnden Skalp von Martin Bartenstein ab und schob sich die Klinge dann lautlos zwischen die Zähne.
Er war bereit.

Wernetou saugte indessen prüfend die kälter gewordene Luft in seine misstrauischen Lungen. Er wusste, sie würden nur diese eine Chance haben. Wenn sie jetzt versagten, konnte man nur mehr den großen Manitou zum Schutz ihres Stammes rufen – und hoffen, dass er sich all ihrer Tapferkeit erinnerte, mit der sie nunmehr die ewigen Jagdgründe aufmischten. Er spuckte verächtlich aus. Der Feind war es eigentlich nicht einmal wert, sich mit seinem dünnen Blut die Hände zu besudeln. Aber dennoch: Wernetou war es seinem Stamm schuldig, diesen Schurken seinen Tomahawk spüren zu lassen. Dieser Feind war eine heimtückische Schlange, er sprach mit gespaltener Zunge, und er hatte nicht mehr vorzuweisen als den Mut eines Hasen – denn schließlich versteckte er sich auch noch meist feige hinter einer Squaw. ­Eigentlich war er die Art Feind, die man am besten mit ­einer zusammengerollten Zeitung prügelte.
Doch Wernetou hatte leider keine bei sich, die groß ­genug gewesen wäre.

Old Shakinghand dachte an die goldenen Worte, die damals, als die Prärie noch nicht so verdammt leer gewesen war, damals, als die großen Büffelherden noch herumzogen und jeder satt wurde, sein Urahn – der große, böse Wolf – über einen Krieger jenes verabscheuungswürdigen Stammes gesagt hatte, gegen den es jetzt auch ging: „Eine richtige Sau.“ Wolf hatte nicht mit allem Recht gehabt, beileibe nicht. Aber diese Schmähung passte zu einem Feind, der keine Ehre im Leib hatte. Zu einem Krieger, der mit Worten focht statt mit Taten. Zu einem Mann, den selbst die spielenden Kinder im Tipi in Radlbrunn zum Weinen gebracht hätten.
Old Shakinghand schüttelte sich angewidert. Nein, mit diesem Schuft musste hier und heute endlich einmal aufgeräumt werden. Von dieser Schlacht würden ihre Nachfahren noch nach Generationen an den Lagerfeuern erzählen.

Wernetou spürte plötzlich einen Lufthauch an der sensibelsten Stelle seines Körpers – seinem Scheitel. Da vorne bewegte sich irgendetwas. Es kam langsam auf ihn zu. Ein unförmiger Schatten löste sich aus dem undurchdringlichen Schwarz des Ganges. Als wären sie von einem gemeinsamen Geist durchflossen, der ihre beiden Körper führte, sprangen Wernetou und Old Shakinghand mit markerschütterndem Kriegsgeheul aus ­ihren Verstecken und versperrten dem Feind den Weg. Wernetou sah Steinbrück mit einem langen, kalten Blick an. Und dann sagte er: „Peer, altes Haus! Alles senkrecht?“

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