Rainer Nikowitz

Rainer Nikowitz Witzfigur

Witzfigur

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Als Gerhard Dörfler nach einem langen, erfüllten Arbeitstag endlich seine rote Clownnase abnahm, war er wieder einmal rundum und mit vollem Recht mit sich zufrieden. Was er heute wieder geleistet hatte – vor allem sich –, das musste ihm erst einer nachmachen. Gerhard nahm ein Bier aus dem Kühlschrank, lächelte die Schrankwand mit der Buchrückenfototapete an und ließ sich rechtschaffen müde in seinen Fernsehsessel plumpsen. Jetzt hatte er ein wenig Entspannung verdient.

Wenn er vom Jörg eines gelernt hatte, dann das: Auch als Politiker musste man heutzutage sein Publikum unterhalten. „Ihnfodehnmänd heißt das Zauberwort“, hatte der Jörg immer wieder gesagt – und Gerhard hatte genau verstanden. Instinktiv – denn aus welcher Sprache der seltsame Begriff stammte, wusste er nicht wirklich. Möglicherweise hatte ihn der Jörg von einer seiner Reisen zu den Kameltreibern im fernen Morgenland mitgebracht. Eines jedenfalls wusste Gerhard mit absoluter Sicherheit: Er war diesbezüglich ein Naturtalent.

In ihm vereinten sich alle Eigenschaften, die ein hervorragender Spaßmacher so brauchte: Intelligenz, rasche Auffassungsgabe, das Gefühl für das richtige Timing und natürlich nicht zuletzt – ein gottgegebener Schmäh, der jedem Lebenslänglichen zur Ehre gereicht hätte. Auch der Jörg hatte das natürlich mit seinem untrüglichen Gespür sofort erkannt. Warum sonst hätte er Gerhard immer liebevoll „Witzfigur“ genannt? Für ihn war das immer wie ein Adelstitel gewesen.

Wenn er so zurückdachte an seine heutigen Auftritte, musste er sich schon stark zurückhalten, um nicht noch Stunden später von Lachkrämpfen geschüttelt zu werden. Gleich am Vormittag zum Beispiel, bei einem an sich faden Pressetermin zum Thema „Die Kärntner Behindertenoffensive“, hatte er einen derartigen Brüller gebracht, der hätte in Villach locker die ersten drei Reihen flachgelegt! Er war so gegangen: Sitzen zwei Schwachsinnige am Wörthersee. Sagt der eine zum anderen: „Trink aus, wir gehen!“ Ha! Haha! Trink! Aus!

Die Leute hatten allerdings etwas schwach darauf reagiert. An manchen Tagen saßen sie halt einfach auf ihren Händen. Gut, die vielen Mongerln im Publikum, die hätten beim Klatschen ja wahrscheinlich sowieso nicht die linke Hand mit der rechten getroffen. Ein paar von ihnen waren sogar slowenische Mongerln gewesen, was Gerhard zu der launigen Bemerkung veranlasst hatte: „Mongerl allan is euch wohl nit genug, ha?“

Schließlich hatten ja auch Hirnis ein Recht auf ein bissl Spaß im Leben. Am Nachmittag fragte ihn eine gachblonde Journalistin in einem Interview, was er in seinem Einflussbereich zu tun gedenke, damit Frauen endlich gleich viel verdienten wie Männer. „Gnädigste“, hob er charmant an, „zum einen darf ich Ihnen versichern, dass ich sehr für die Frauenbewegung bin – solange sie rhythmisch ist! Und darüber hinaus – kennen Sie den? Was ist eine Blondine mit zwei Gehirnzellen? No? Ha? Guat, i verrat’s Ihnen: schwanger!“

Die Alte lachte komischerweise nicht sehr laut. Gerhard wiederholte die Pointe noch zweimal, um sicherzu­gehen, dass sie sie auch verstanden hatte – obwohl sie blond war, höhö. Aber es funktionierte nicht. Sie zischte nur irgendwas von geschmacklos und saublöd. Gerhard brach daraufhin das Interview sofort ab und riet der Guten, sie solle sich einen Job suchen, von dem sie was verstünde. Putzfrau oder so. Am Abend dann musste er zu einer wahnsinnig öden Podiumsdiskussion zum leidigen Thema „Asylanten auf der Saualm“. Und dann sagte auch noch irgend so ein Menschenrechtler – also kein Kärntner – so was wie: „Mich erinnert das alles an die Judenverfolgung!“

Da wusste der Gerhard natürlich, dass jetzt sein Moment gekommen war. „Apropos“, warf er gewandt ein, „kennen Sie den? Steht ein kleiner Jud auf einem Rauchfang. Kommt ein Rauchfangkehrer vorbei und fragt: Was machst du denn da? Sagt der kleine Jud: Ich warte auf Mama und Papa!“ Dennoch musste Gerhard einräumen – so völlig rückhaltlos schlug auch der nicht ein. Das Publikum war an diesem Tag generell ein wenig seltsam. Wenn sie keine Hetz haben wollten, dann sollten sie doch gleich zu Hause bleiben! Ein paar Hysteriker, Grüne wahrscheinlich, glaubten sogar, sie müssten sich über den harmlosen Judenwitz aufregen. Gut, die gingen ja überhaupt alle in den Keller lachen. Und außerdem – wenn man keine Judenwitze mehr machen durfte, was würde einem dann als Nächstes verboten? Durfte man in der Dusche keinen Schas mehr lassen, weil es irgendwen an irgendwas erinnerte? Das war doch bitte mehr als lächerlich und widersprach jeglichem gesunden Volksempfinden!

Gerhard griff zur Fernbedienung und drehte den Fernseher auf. Sein zufriedenes Lächeln erstarb mit einem Schlag. Diese zwei angeblichen Kabarettisten durften immer noch im Fernsehen auftreten. Was für ein Skandal. Dabei waren die nicht nur pietätlos, sondern schlicht und einfach nicht lustig. Das sah doch ein Blinder! Apropos – kennen Sie den? Stehen zwei Blinde an der Bar und ...

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