Leitartikel: Stefan Janny

Read my lips

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Hat wirklich ernsthaft jemand angenommen, dass Alfred „Sozialfighter statt Eurofighter“ Gusenbauer die georderten Kampfjets samt und sonders nach Deutschland zurückschicken wird? Einige vielleicht doch.

Hat tatsächlich jemand geglaubt, dass der SPÖ-Chef als Kanzler die Studiengebühren einfach streichen wird? Vermutlich ziemlich viele sogar.

Beides wird (die endgültigen Ergebnisse der Koalitionsverhandlungen lagen zu Redaktionsschluss noch nicht vor) nach menschlichem Ermessen nicht geschehen. Und das ist auch vernünftig.

Die Entscheidung, teure Eurofighter zu kaufen, lässt sich zwar sachlich durchaus kritisieren, doch sie ist schon vor Jahren gefallen. Die seither rechtsgültig abgeschlossenen Verträge sind wasserdicht, ein Ausstieg ist zu vertretbaren Konditionen daher nicht möglich.

Und die gänzliche Abschaffung jeglicher Studiengebühren wäre die Wiedereinführung der Subvention von Studenten aus vermögendem Elternhaus durch die wesentlich weniger wohlhabende Durchschnittsbevölkerung. Denn diese müsste die (auch im Falle einer bloßen Abmilderung der Studienbeiträge entstehende, bei einer vollständigen Streichung aber noch höhere) Finanzierungslücke mithilfe ihrer Steuern ausgleichen.

Beides war der SPÖ und deren Spitzenkandidaten natürlich auch schon im Wahlkampf klar.

Doch Erfolge sind für große Parteien in Wahlgängen nicht mit differenzierter politischer Argumentation zu erzielen. An der Urne geben nicht jene den Ausschlag, denen Gender-Mainstreaming im Sport, der verstärkte Einsatz moderner Verkehrstelematik oder Urheberrechtsfragen von Kulturschaffenden (allesamt Themen aus dem SPÖ-Wahlprogramm) am Herzen liegen. Ausschlaggebend ist die große Zahl derer, die ihr Stimmverhalten daran orientieren, ob sie den jeweiligen Spitzenkandidaten für sympathisch oder einen Ungustl halten; jene, die das politische Geschehen, wenn überhaupt, allenfalls am Rande und in Form einiger griffiger Slogans wahrnehmen. Ein Umstand, den Gusenbauer und die SPÖ richtig erkannt und sich im vergangenen Wahlkampf weidlich zunutze gemacht haben, indem die zahlreichen und meist durchaus differenzierten SPÖ-Positionen auf wenige eingängliche Schlagworte („Jugendarbeitslosigkeit halbieren“, „Studiengebühren abschaffen“) reduziert und in der finalen Phase letztlich auf die simple, aber saftige Formel „Sozialfighter statt Eurofighter“ zugespitzt wurden.

Kaum etwas ist allerdings für Politiker gefährlicher als ein griffiger Slogan, der sich gegen den Urheber wendet. George Bush senior beispielsweise musste dies durchaus schmerzhaft erfahren. 1988 versprach er, sollte er Präsident werden, auf gar keinen Fall die Steuern zu erhöhen („Read my lips: No new taxes“). 1990 musste er es dann auf Druck der demokratischen Partei, die Senat und Repräsentantenhaus kontrollierte, doch tun. Und 1992 wurde Bush nicht wiedergewählt – unter anderem, weil sein Gegenkandidat Bill Clinton den „Read my lips“-Sager in tausendfach gesendeten Werbespots dazu nutzte, den Präsidenten als unglaubwürdig zu brandmarken.

Alfred Gusenbauer nun vorzuwerfen, wie es manche aus dem linken Flügel seiner Partei sowie die Grünen tun, dass er sich in den Koalitionsverhandlungen bei den Themen Eurofighter und Studiengebühren mit den Maximalforderungen nicht durchsetzen konnte, ist günstigstenfalls naiv.

Vorzuhalten ist Gusenbauer aber, dass er als Spitzenkandidat einen Wahlkampf geführt hat, der zu einem nicht geringen Teil auf unrealistischen Versprechen aufgebaut war. Und dass er, dies wissend, es gebilligt hat, dass die SPÖ im Wahlkampf die ganz große Keule auspackte und das vollständige Erfüllen von Versprechen zu einem zentralen Thema ihrer Werbekampagne machte. „Sie haben gelogen, Herr Bundeskanzler“, wurde Wolfgang Schüssel in TV-Spots vorgeworfen.

Als Erklärung, wenn auch nicht als Rechtfertigung, kann möglicherweise ins Treffen geführt werden, dass Alfred Gusenbauer – nicht zuletzt aufgrund des Bawag-Skandals – ursprünglich wohl gar nicht damit gerechnet hatte, die Nationalratswahl 2006 tatsächlich zu gewinnen. Dass die „Sie haben gelogen“-Werbespots also eigentlich bloß dazu beitragen sollten, die Niederlage in Grenzen zu halten. Und dass Gusenbauer folglich nicht davon ausgegangen ist, seine eigenen Wahlversprechen jemals einlösen zu müssen.

Schon jetzt die politische Stimmungslage einzuschätzen, die bei den nächsten Nationalratswahlen – wann auch immer diese stattfinden – herrschen wird, ist naturgemäß nicht möglich. Ebenso wenig lässt sich vorhersagen, ob die SPÖ dann im Wahlkampf – mit dem Kanzlerbonus von Alfred Gusenbauer im Rücken – über einen dicken Vorsprung in den Meinungsumfragen verfügen wird oder ob es die ÖVP schafft, sich eine vielleicht doch gelungene Steuerreform auf die eigenen Fahnen zu heften und dank eines attraktiven Spitzenkandidaten wieder den Anspruch auf die Führungsrolle zu erheben.

Bereits jetzt lässt sich allerdings prognostizieren, dass Alfred Gusenbauer seine nicht eingehaltenen Versprechen betreffend Studiengebühren und Eurofighter im nächsten Wahlkampf noch sehr oft zu hören bekommen wird.