Rede­hemmungen

Politische Rede: Keine Tradition in Österreich

Rhetorik. Warum die hohe Kunst der politischen Rede in Österreich keine Tradition hat

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Granteln und Grummeln war man von Bruno Kreisky gewohnt. Doch der Wutausbruch, der sich Anfang des Jahres 1983 über seine langjährige politische Weggefährtin, Wissenschaftsministerin Hertha Firnberg, entlud, überraschte selbst Kreisky-Kenner. Hatte doch Firnberg in Kreiskys Augen einen veritablen Fauxpas begangen – und „ihr“ Belvedere für einen Tag an die Oppositionspartei ÖVP vergeben. Diese Auftrittsmöglichkeit an dem geschichtsträchtigen Ort, an dem immerhin einst der Staatsvertrag unterzeichnet worden war, hätte Kreisky der Volkspartei und deren Obmann Alois Mock gerne vermasselt.

„Mir geht das ewige Jammern auf die Nerven“

Doch Firnberg setzte sich durch – und so kam es am 10. Jänner 1983 im Belvedere zur Premiere: Alois Mock hielt seine „Erklärung zur Lage der Nation“, die erste pompöse Grundsatzrede in feierlichem Rahmen. Seit damals hat sich zwar der Ort vom Belvedere in die Hofburg und das Datum von Jänner auf 15. Mai (Unterzeichnung des Staatsvertrages) verlagert, doch die Grundidee blieb: ÖVP-Obmänner erklären sich gerne der Nation. Manche erstaunlich lustlos wie Erhard Busek („Mir geht das ewige Jammern auf die Nerven“), manche verspielt wie Wolfgang Schüssel („Ich wehre mich dagegen, zu glauben, dass wir eine Gesellschaft von Ichlingen sind“), manche pastoral wie Wilhelm Molterer („Es ist eine Gnade zu erfahren, wenn die Mutter über meine Geburt erzählt“), manche energisch wie Josef Pröll („Wir müssen heilige Kühe schlachten“). Und manche wahlkämpferisch wie Michael Spindelegger („Die SPÖ will zurück in die siebziger Jahre“) vergangenen Mittwoch, zum 30-jährigen Jubiläum von Mocks Premiere. Alle inszenierten ihre Rede als pathetischen Staatsevent, um Klientel und Öffentlichkeit wenigstens für einen Tag zu suggerieren, wo die Macht zuhause sei. Alle hatten dasselbe Grundproblem: Als würdiger Staatsmann und scharfer Regierungskritiker in Personalunion aufzutreten. Und alle erbrachten, unfreiwillig, aber eindrucksvoll, den Beleg, dass die hohe Kunst der politischen Rede in Österreich eben keine Tradition hat.

Mocks Idee war aus den USA importiert: Dort deklamierte Präsident George Washington im Jahr 1790 die erste „State of the Union“ und fand in rhetorischen Schwergewichten von John F. Kennedy („Frage nicht, was dein Land für dich tun kann“) bis zu Barack Obamas choralhaftem „Yes, we can“ seine würdigen Nachfolger. Obama hatte sich im Juli 2004 mit einer mitreißenden Ansprache in die erste Reihe der Politik katapultiert: Als weithin unbekannter Senator aus Illinois sollte er beim demokratischen Parteitag lediglich eine Funktion als Anheizer erfüllen – nach der Rede war er neuer Hoffnungsträger. „A Star ist born“ titelte damals die sonst knochentrockene Londoner „Financial Times“. Vier Jahre redete sich Obama im Präsidentschaftswahlkampf quer durch die USA – und selbst Meister des Wortes wie der Schriftsteller Michael Chabon sezierten in Intellektuellenzeitungen wie der „New York Review of Books“ seine Redekunst.

Unvorstellbar in Österreich, dass etwa Christoph Ransmayr oder Elfriede Jelinek Politikerreden auf Spannungsaufbau und Stil durchleuchten. Fraglos hat ein US-Präsident Startvorteile: Der Vorsitzende einer Weltmacht kann leichter ein Publikum in seinen Bann ziehen als ein Politikerkollege aus dem Kleinstaat Österreich. Gut möglich auch, dass die hierzulande historische Erfahrung mit demagogischen Hassrednern wie Joseph Goebbels davon abhält, die Zuhörer verführen zu wollen.

Der Altmeister der heimischen Kommunikationswissenschaft, Maximilian Gottschlich, hat sich einmal die Mühe gemacht, die rhetorischen Qualitäten der Visitenkarten jeder Regierung zu analysieren – die Regierungserklärungen. Er kam zu dem vernichtenden Befund, dass selbst gevifte Redner wie Bruno Kreisky bevorzugt „lapidare Sätze im kategorischen Tonfall amtlicher Verordnungen“ absonderten à la „das zeitgenössische Opern- und Theaterschaffen ist zu fördern“. Selbst „essayistisch formulierte Exkurse“ (Gottschlich) konnten derartige Pflichtübungen nicht über den Rang einer Bürokratievorlesung erheben. Noch unbarmherziger geht Gottschlich mit Nach-Nachfolger Franz Vranitzky ins Gericht: Dessen Reden zu Regierungsantritt seien „Spiegel einer raschen Abfassung und Redaktion des Textes“. Weniger höflich formuliert: hingeschludert.

Vranitzky kommt aber das Verdienst zu, die wohl bedeutsamste Rede eines Kanzlers gehalten zu haben: Als er im Juli 1991 im Parlament mit dem Mythos vom „Opfer“ Österreich aufräumte und beredt die „Mitschuld“ an NS-Gräueln darstellte.

Neben ihm gelang es nur einem anderen SPÖ-Politiker, mit einer Rede in die Geschichtsbücher einzugehen: Josef Cap – nicht wegen seiner rhetorischen Qualitäten, sondern wegen gezielter Provokation. Der damals 30-jährige Jungsozialist erklomm beim Parteitag 1982 das Rednerpult und stellte dem Genossen Landeshauptmann Theodor Kery berühmt gewordene drei Fragen: „Stimmt es, dass du mehr verdienst als der Bundeskanzler? Stimmt es, dass du verbilligten Strom beziehst? Ist es wahr, dass du in deiner Freizeit mit Maschinenpistolen schießt?“ Der Nachteil derartig zugespitzter Auftritte ist, dass sich Cap bis heute an seinem damaligen Rebellentum messen lassen muss. „Pepi, wos is aus dir wordn“, schmähte der Sänger Sigi Maron schon im Jahr 1986. Was er heute singen würde, wäre kaum druckreif.

FPÖ und Grüne haben jeweils ihre rhetorischen Spezialgebiete entwickelt: Die Freiheitlichen üben sich – erfunden von Jörg Haider, wie vieles andere schlecht kopiert von HC Strache – gerne in der Büttenrede, oft im Bierzelt, stets garniert mit untergriffigen Attacken oder halbseidenen Scherzchen. Die Grünen wiederum sind die ungekrönten Staatsmeister im Filibustern: Bis zum Jahr 2010 hielt Madeleine Petrovic mit ihrer Dauerrede über das Tropenholzgesetz, die zehn Stunden und 35 Minuten dauerte, den Rekord – bis sie Parteifreund Werner Kogler am Rednerpult des Nationalrates überbot. Er ließ sich über das Budget aus – und endete nach zwölf Stunden und 42 Minuten mit den lapidaren Worten: „Das ist eigentlich schon alles, was ich sagen wollte.“

Abgesehen von dem Beweis, dass Politiker über jedes Thema endlos lang reden können, blieb von diesen Auftritten wenig in Erinnerung. Der Versuch der Grundsatzrede war stets eine Domäne der ÖVP, an der sich in der Feinanalyse die Ästhetik der Volkspartei ablesen lässt. Besonders deutlich wird das im Vergleich zwischen Mocks Premiere und Spindeleggers Auftritt vom vergangenen Mittwoch.

Mock hatte sich gleich auf der ersten Seite als Ziel gesetzt: „Ohne Schwarzmalerei, aber auch ohne Schönfärberei eine ausführliche, realistische und wahrheitsgetreue Darstellung über den Zustand unseres Landes zu geben, getragen von staatspolitischem Ernst und gesellschaftspolitischer Sorge.“ Das erfüllte er 50 Seiten lang: Analysierte detailreich die Probleme, machte konkrete Vorschläge, etwa zur Errichtung von Nationalparks, und verließ nie den staatsmännischen, ernsten Grundton.

„2013 ist das Jahr der ÖVP”

Ganz anders Spindelegger, der gleich zu Beginn seiner Ansprache in Wahlkampfmodus verfiel: „2013 ist das Jahr der ÖVP! Und im September 2013 wird unsere ÖVP auch wieder die Nummer Eins. Die ÖVP gestaltet Österreich – die SPÖ verwaltet Österreich.“ Und mit Attacken auf Koalitionspartner, FPÖ und Grüne fortsetzte: „Was haben wir für ein Glück, dass die Ski-Schanzen schon stehen! Stellen Sie sich vor, die Grünen hätten sie genehmigen müssen. Da wären frühestens die Enkel von Gregor Schlierenzauer geflogen.“

Vom Anspruch der „Rede zur Lage der Nation“ ist nach 30 Jahren lediglich ,der Auftrag der „Rede zur Lage der ÖVP“ geblieben.

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin