Rubeltrubel

Russland. Die Wiederwahl Wladimir Putins ist ein Triumph der Korruption

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Andrej Iwanowski, Moskau, und Tessa Szyszkowitz

"Ehefrau“ oder "Schwiegermutter“ ist in Russland nicht nur eine Bezeichnung für verwandtschaftliche Verhältnisse. Eine "Schena“ oder "Swekrow“ kann ein äußerst lukrativer Job sein. Larissa Belobrowa etwa ist die Gattin von Sergej Darkin, dem Gouverneur von Primorje, dem östlichsten Teil Russlands mit der Hauptstadt Wladiwostok. Das Ehepaar hatte im Jahr 2010 folgende Einkünfte: Gouverneur Darkin brachte 3.493.034 Rubel (= 89.484 Euro) in den Haushalt ein. Frau Belobrowa gab 1.072.992.892 Rubel (= 27.492.358 Euro) an Einkünften an - angeblich Honorare für ihre Rollen am Stadttheater Wladiwostok. Wenn das stimmt, verdient Larissa Belobrowa mehr als Angelina Jolie.

Als Nebenjob hat die russische Schauspielerin gerade ihre Mehrheit in der Bank Primorje ausgebaut. Dort wollte sie demnächst 100 Prozent kontrollieren. Das wäre praktisch gewesen, weil über die Bank das Haushaltsgeld der ganzen Region abgewickelt wird. Die Finanzgebarung in Wladiwostok wäre damit zwischen dem Gouverneur-Ehemann und der Bankier-Ehefrau gänzlich privatisiert worden. Vorige Woche aber ergab sich ein Problem: Sergej Darkin, seit 2001 in Amt und Würden, wurde per Kreml-Dekret gefeuert.

Willkommen in Russland, dem Eldorado für fröhliche Klienten der Kreml-Kleptokratie. Wladimir Putin, am 4. März zum dritten Mal zur Präsidentenwahl angetreten, wird demnächst in sein altes Büro im Kreml zurückkehren. Und was wird er sehen, wenn er in seinem neuen alten Amtssitz aus dem Fenster schaut? Ein durch und durch korruptes Land, in dem nur eines richtig gut funktioniert: der Raub der Reichtümer Russlands. 300 Milliarden Dollar werden jedes Jahr in Russland gestohlen, sagt die unabhängige INDEM-Stiftung. Nach dem Korruptionsindex von Transparency International liegt Russland auf Platz 143. Griechenland hält im Vergleich dazu nur Platz 80. Als der KGB-Offizier Wladimir Putin vor zwölf Jahren als Kremlherr antrat, lag sein Land auf Platz 79 der internationalen Hitliste der Bestecher und Betrüger.

Noch nie in der Geschichte des russischen Reichs haben die Machthaber derart schamlos Land und Volk bestohlen. Die Zaren waren zweifellos schwer zu ertragen - sie bauten Winterpaläste in St. Petersburg und ließen Hungerrevolten niederschießen. Lenin verpasste dem Land gleichgeschaltete Armut, 70 Jahre nach der bolschewistischen Revolution war Russland wirtschaftlich und ideologisch bankrott. Unter Jelzin stahlen ein paar gewiefte Geschäftsleute alles - auch das, was niet- und nagelfest war: die Bodenschätze. Der frühere Oligarch und 2003 in Ungnade gefallene Michail Chodorkowski etwa schnappte sich den Ölkonzern Yukos und damit 15 Prozent der russischen Ölförderung.

All dies ging unter gehörigem Einsatz von Schmiergeldern vor sich. Die neunziger Jahre waren von Mafiabanden geprägt, die Geschäftstreibenden ein "Krischa“, ein "Dach“, anboten. Beim Streit der ehemaligen Oligarchen-Partner Roman Abramowitsch und Boris Beresowski vor einem Londoner Gericht gab Abramowitsch freimütig zu Protokoll, er habe dem damaligen Kremlpaten Beresowski zwei Milliarden Dollar Schutzgeld gezahlt.

Die Ära der unabhängig agierenden Oligarchen beendete Putin schnell und mit Gewalt. Sehr hilfreich war ihm bei der Konsolidierung seiner Macht, dass er 1998 im Kreml die Kontrollkommission der präsidentiellen Eigentumsverwaltung geleitet hatte. Dort liefen alle finanziellen Informationen über Beamte, Minister, Geschäftsleute zusammen - Putin hat jahrelang aus diesen Informationen geschöpft. Jene, die sich seiner Herrschaft unterordneten, durften bleiben. Die anderen beförderte er ins Exil oder ins Gefängnis.

Anfangs hielten viele die Machtbeschränkung der Oligarchen für ein Zeichen der Reform. Nach der Verhaftung Chodorkowskis im Herbst 2003 wurde jedoch deutlich, dass Putin die superreichen Strippenzieher nur durch graue Geheimdienstmänner ersetzte. Die Wissenschafterin Olga Kryschtanowskaja schrieb 2004 in ihrem Buch "Anatomie der russischen Elite“: "Unabhängige Quellen gehen davon aus, dass bereits mehr als 6000 ehemalige Mitarbeiter von KGB und FSB in Putins Gefolge Machtstrukturen erobern und wichtige staatliche Ämter besetzen konnten.“

Doch die Wiederkehr des Geheimdiensts KGB, heute FSB genannt, war nicht Putins eigentliches Ziel. Putin ging es von Anfang an um die Installierung einer kleinen Gruppe von Vertrauten an Schaltstellen der Macht. Diese 15 bis 20 Freunde aus seiner Zeit in St. Petersburg bilden den Nukleus seiner "Wlast“ - der "Macht“. Die meisten von ihnen operieren jenseits der Öffentlichkeit. "Putins Clan kontrolliert Unternehmen im Wert von 130 Milliarden Dollar“, behauptete die britische Zeitung "The Sunday Times“ im November 2011. Der Putinismus - die Ausschaltung der Demokratie unter kapitalistischen Bedingungen - begünstigt vor allem eben ihn selbst: Putin, seine engsten Vertrauten und die Günstlinge des auf ihn persönlich zugeschnittenen Systems.

1996 hatte Putin mit sieben Freunden am Komsomolski-See in der Nähe von St. Petersburg die Datscha-Anlage “Osero” (“See”) gegründet. Alle Mitglieder des “Osero” sind heute reich. Juri Kowaltschuk etwa, genannt “Der Schräge”, kontrolliert gemeinsam mit Nikolai Schamalow, auch genannt “Professor der Transfiguration” die Petersburger Bank “Rossia”. Außer "Osero" gibt es noch einen weiteren Kreis von Putin-Freunden. Laut der russischen Wochenzeitung “The new Times” gehören dazu: Gennadi Timtschenko von der Ölfirma Gunvor, Spitzname “Wundbrand”; “Soldat” alias Alexej Miller, der Chef von “Gazprom”; Kreml-Administrator Wladimir Koschin, mit dem vergleichsweise langweiligen Beinamen “Jacke” und “Generalissimo” Viktor Solotow, den Chef des Sicherheitsdienstes des Präsidenten. Die Männer urlauben gerne zusammen auf Putins “Valdai”-Residenz, die in der Nähe von Moskau auf dem Weg nach Petersburg liegt.

Die Freunde aber urlauben nicht nur gemeinsam. Sie sind auch Geschäftspartner, obwohl dies keiner der Beteiligten jemals zugeben würde. Der russische Politologe Stanislaw Belkowski behauptete im Herbst 2007, Putin kontrolliere ein Drittel der Ölfirma Surgutneftegas und der Handelsfirma Gunvor und habe sich durch inoffizielle Beteiligungen in den Besitz von 40 Milliarden Dollar gebracht. Sowohl Surgutneftegaz wie Guvnor bestreiten, dass Putin Anteile besitzt oder finanziell von diesen Unternehmen profitiert. Die Firmen machen seit Jahren beste Geschäfte miteinander."

Und auch Putins Beamte hängen heute am Tropf dieser inoffiziellen Zahlungen. Der russische Beamtenapparat würde zusammenbrechen, müssten seine korrupten Bürokraten von ihren eigentlichen Gehältern leben. "2001 zahlte man für einen Vertrag mit einer Regierungsstelle 20 bis 25 Prozent Bestechungsgeld“, meint FSB-Experte Andrei Soldatow (siehe Kasten S. 63). "2007 waren es bereits 70 Prozent.“ Die Korruption stieg in Russland parallel zu den Ölpreisen an. Die Finanzkrise 2008 bedeutete für die Beamtenschaft einen schmerzhaften Einschnitt. Vom kleinsten Verkehrspolizisten bis zum obersten Minister brach den Bakschisch-verwöhnten Russen der Schweiß aus. Die Schattenwirtschaft hatte ihre eigenen Gesetze: Auf Basis der prognostizierten Bestechungsgelder waren Haus- und Heiratspläne geschmiedet worden. Dem kurzfristigen Panikeinbruch 2008 folgte allerdings schnell die Konsolidierung des Korruptionsmarkts.

Heute zahlt man in Moskau - dort herrschen die Höchstpreise, nicht nur bei den Mieten - für die Vermeidung eines Alkotests 20.000 Rubel (= 500 Euro), für einen neuen Führerschein nach Entzug wegen Alkohols am Steuer 20.000 bis 50.000 Rubel (500 bis 1200 Euro), für einen Reisepass, der am selben Tag ausgestellt wird, 5000 bis 20.000 Rubel. Wer auf Nummer sicher gehen will, zahlt im Spital im Voraus für eine gefahrenfreie Leistenbruchoperation 60.000 Rubel (1500 Euro) - jede Russin kennt mindestens einen Fall von einem Verwandten, der mit offenem Bauch am Operationstisch lag und dessen Angehörige vom Chirurgen erpresst wurden. Das radikale Kellertheater Teatr.doc führte zu diesem Thema sogar ein Stück auf: "Doc.tor“, in dem ein junger ambitionierter Arzt am Ende dem Wodka verfällt, um das Elend auf der Station zu vergessen.

Das große Geschäft aber spielt sich ganz oben ab. Laut den Angaben von Sergej Kolesnikow, einem südrussischen Geschäftsmann, hat sich Putin einen Palast in Gelendschik an der Schwarzmeerküste bauen lassen, inklusive Casino, Theater, Kapelle, Pools und Hubschrauberlandeplatz. Das Anwesen sei, erzählte Kolesnikow der russischen Wochenzeitung "The New Times“, bis zu einer Milliarde Euro wert. Putin werde natürlich nie als Eigentümer genannt, sein Pseudonym sei "Michail“, "Michail Iwanowitsch“ oder "The big businessman“.

Wie stark wäre der russische Mittelstand heute, wenn er sich unter einigermaßen demokratischen Bedingungen entwickelt hätte können? Und wie potent wäre die russische Wirtschaft, wenn nicht bis zu 70 Prozent der investierten Gelder für Bestechung ausgegeben würden? Westliche Geschäftsleute berichten von Fällen, in denen sie schamlos um 90 Prozent Kommission erpresst wurden. Eine vielsagende Studie: Das staatliche Statistikbüro Rosstat gibt an, dass im Jahr 1990 2700 Bestechungsfälle vor Gericht kamen. Im Jahr 2009 waren es 13.100. Aus- wie inländische Investoren müssen immer zwei Budgets erstellen: ein offizielles und ein reales, in dem die Bestechungsgelder eingerechnet werden. Viele nachhaltige Investitionsprojekte werden deshalb nie durchgezogen.

Kurz: Der Schaden für die russische Wirtschaft ist enorm.

Zwölf Jahre wurde dieses System von der breiten Masse toleriert, doch immer mehr Russen spüren, dass ein System Putin ihr Land langfristig ruiniert. In diesem Winter formiert sich erstmals spürbarer Widerstand gegen "den großen Geschäftsmann“. Ausgelöst wurden die Proteste durch die Manipulationen bei den Parlamentswahlen im Dezember. Nicht zufällig sind die neuen Helden der Opposition jene, die als Kämpfer gegen die wirtschaftliche Korruption auftreten. "Zu Milliardären werden die Menschen in Putins Russland nicht dank Talent und Fleiß, sondern dank der Mitgliedschaft in der richtigen Datschenkooperative“, schreibt der nationalistische Blogger Alexej Nawalni in seinem vergangene Woche veröffentlichten Pamphlet in der Wirtschaftszeitung "Wedomosti“. Auf seiner Website "Rospil“ deckt er konsequent Korruptionsfälle auf. "Kein einziges vom Kreml vorgeschlagenes Programm für Strukturreformen wird realisiert, weil das gesamte Machtsystem durch Gesetzlosigkeit und Korruption deformiert ist.“

Der Flächenbrand an Informationen über Putins korruptes Imperium hat das gesamte Internet und alle unabhängigen Medien erfasst. Obwohl das Staatsfernsehen darüber nicht berichtet, wird in diesem Winter immer deutlicher, dass nicht nur bezahlte Auslandsagenten Putin und seinen Freunden vorwerfen, sich persönlich zu bereichern. Auch für seine dritte Amtszeit hat er kein anderes Programm, als die eigene Macht zu erhalten. Sein Argument, der Putinismus habe immerhin eine gewisse Stabilität gebracht und die Entstehung des Mittelstands begünstigt, zählt bei genau diesen Bürgern nicht mehr.

Die Gegenwehr des Regimes ist bemüht. Ein Beispiel: Knapp vor Putins Wiederwahl beschlagnahmten Beamte in Zivil in Moskau einen Wagen mit heißer Fracht. 20.000 Broschüren wurden aus dem Verkehr gezogen. Bei der gefährlichen Ware handelte es sich um ein Pamphlet der stadtbekannten Oppositionellen Wladimir Milow, Boris Nemtsow und Wladimir Ryschkow. Der Titel des Pamphlets: "Putin. Korruption. Zweiter Teil“.