"Sehr emotionale Reaktionen"
Interview: Rosemarie Schwaiger
profil: Die Zahl der Verurteilungen aufgrund von Sexualstraftaten ist zuletzt gesunken. Warum wollen Sie jetzt die Strafen erhöhen?
Karl: Es geht um die Umsetzung von EU-Vorgaben und um die Beseitigung von Systemwidrigkeiten im Strafgesetzbuch. Im Sexualstrafrecht wurden in den vergangenen Jahren immer wieder punktuelle Änderungen vorgenommen, die dazu führten, dass einzelne Strafdrohungen nicht mehr angemessen sind. Zum Beispiel: Bei Vergewaltigung haben wir eine Höchststrafe von zehn Jahren, die Mindeststrafe liegt bei sechs Monaten. Das entspricht nicht der Systematik des StGB, wo normalerweise bei einer Höchststrafe von zehn Jahren eine Mindeststrafdrohung von einem Jahr gilt.
profil: Eine höhere Mindeststrafe könnte aber dazu führen, dass es noch weniger Verurteilungen gibt.
Karl: Das glaube ich nicht. Gerade bei den Sexualdelikten sind die Strafen in letzter Zeit höher ausgefallen. Da gibt es ohnehin eine Tendenz nach oben.
profil: Sexualstraftaten machen nur einen winzigen Teil der Gesamtkriminalität aus. Warum beschäftigt sich die Politik so oft damit? Geht es Ihnen um den Beifall des Boulevards?
Karl: Sexualverbrechen lösen in der Bevölkerung verständlicherweise sehr emotionale Reaktionen aus. Das muss ich als Justizministerin ernst nehmen. Ich halte es aber für notwendig, einen Mittelweg zwischen populistischer Verschärfung und Verharmlosung zu finden.
profil: Der Nationalrat wird diese Woche beschließen, dass Sexualstraftäter nur noch unter besonderen Umständen eine Fußfessel bekommen sollen. Sie haben das initiiert, weil sich ein Vergewaltigungsopfer in Salzburg darüber beschwert hatte, dass der Täter nicht ins Gefängnis muss, sondern eine Fußfessel bekommen soll. Seit wann dürfen Opfer über die Art der Bestrafung des Täters entscheiden?
Karl: Opfer haben zahlreiche Rechte. Sie entscheiden aber nicht mit.
profil: Der Eindruck ist in diesem Fall aber entstanden. Die junge Frau hatte sich beklagt, und flugs wird das Gesetz geändert.
Karl: Natürlich herrscht bei Sexualstraftaten eine besondere Sensibilität. Das muss man verstehen. Nach vielen Gesprächen mit Opferschutzeinrichtungen habe ich daher die Opferrechte gestärkt.
profil: Was halten Sie von der aktuellen Forderung, den Tatbestand der sexuellen Belästigung zu erweitern?
Karl: Ich plane ohnehin eine größere Reform des Strafgesetzbuchs und werde deshalb 2013 eine Expertengruppe einsetzen, die sich dann auch mit dieser Frage beschäftigen wird. Ganz generell bin ich gegen einen Schnellschuss. Das Verwaltungsstrafrecht greift in so einem Fall ja ohnehin, und man kann auch zivilrechtliche Ansprüche geltend machen. Aber hier reden wir vom gerichtlichen Strafrecht, also von der schärfsten Waffe, die ein Staat zur Verfügung hat. Es wäre für eine Gesellschaft nicht wünschenswert, jedes gesellschaftliche Problem über das Strafrecht zu lösen.