Slowakei

Slowakei: Bratislava calling

Bratislava calling

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Dunkle Limousinen fahren vor dem kleinen Friedhof im Osten Bratislavas vor. Ihnen entsteigen bullig wirkende Männer in schlecht sitzenden schwarzen Anzügen und Sonnenbrillen. Sie sind gekommen, um einem der ihren die letzte Ehre zu erweisen. Mitgebracht haben sie teure Blumenkränze mit Namenskürzeln auf den Schleifen. T. F. steht auf einem, V. M. auf einem anderen, „Der Kleine“ auf dem größten Kranz. Man kannte einander. Als die Herren den Ort des bizarren Schauspiels wieder verlassen, gleicht das von ihnen aufgesuchte Grab einer Pilgerstätte. In ihm liegt Jan Takac – der Pate von Bratislava.

Er war Ende Juli vor seinem Haus erschossen worden. Vermutlich hätten auch weniger als 15 Schüsse gereicht, um den 37-jährigen Unterweltboss hinzustrecken, doch schon einmal, vor drei Jahren, war auf Takac geschossen und nur sein Leibwächter getroffen worden. Der Täter von damals war wenige Stunden vor dem Mord an Takac aus der Haft entlassen worden. Ein Zufall?

Schießereien, Bandenkriege, Mafia-Morde: So stellt man sich den wilden Osten vor, der bereits am Grenzübergang Berg beginnen soll, keine 60 Kilometer östlich von Wien. Dabei sind die Jahre des wilden Raubrittertums in der Slowakei eigentlich längst vorbei, die Reviere der Mafia-Banden säuberlich abgesteckt. Noch 1997 war das anders. Innerhalb eines Jahres gingen in der Slowakei 141 Bomben hoch. Ein Mafia-Boss wurde im Spital erschossen, ein anderer auf der Terrasse eines Restaurants mit einer Machete erstochen, ein dritter starb am Tennisplatz, unter dem eine Bombe lag. Eine ganze Generation von Unterweltgrößen wurde innerhalb weniger Wochen ausgelöscht.

Deren Nachfolger haben die rauen Sitten abgelegt, bezeichnen sich nun als Geschäftsmänner und versuchen, ihr Vermögen aus den dunklen Kanälen in die Legalität zu leiten. „Die Mafia ist nicht mehr so sichtbar wie früher. Heute betreibt sie eigene Firmen und ist somit Bestandteil des slowakischen Wirtschaftslebens“, sagt Lukas Fila, Journalist bei der englischsprachigen Wochenzeitung „Slovak Spectator“.

Korrupte Richter. Alles Routine also, wäre da nicht der tote Takac, der Rätsel aufgibt. Wie der Journalist Fila fragen sich derzeit viele, ob einer es wagte, die Gebietsaufteilung infrage zu stellen, und damit womöglich eine neue Welle des Mordens losgetreten hat.

Der slowakische Innenminister Vladimir Palko bezweifelt dies. Der Christdemokrat ist vor einem Jahr angetreten, um aufzuräumen mit der organisierten Kriminalität. Spezialeinheiten wurden gegründet, Sonderkommandos eingerichtet, erste Erfolge verzeichnet. Und doch ärgert sich Palko. „Es kann nicht sein, dass die Polizei Verbrecher fängt und die Justiz diese dann laufen lässt“, sagt der Minister (siehe Interview) und verweist auf „seltsame Entscheidungen“ an den Gerichten.

Dutzende Mafia-Größen spazieren schon wenige Tage nach ihrer Festnahme wieder frei über die herausgeputzten Boulevards von Bratislava. Wer Geld hat, kann es sich leicht richten in einem Land, in dem das Durchschnittseinkommen monatlich 300 Euro beträgt und Staatsdiener notorisch schlecht bezahlt sind. Wer nicht kooperieren will, bekommt die Konsequenzen bald zu spüren. So etwa eine Staatsanwältin, die gegen die Unterwelt ermittelte und im vergangenen Frühjahr nur noch ihr ausgebombtes Auto vor dem Gericht wiederfand.

Und trotzdem sei früher vieles schlimmer gewesen, hört man in Bratislava immer wieder. In den Anfangsjahren der jungen Republik konnte das Verbrechen ungehindert wuchern, sich ausbreiten, immer weitere Teile des öffentlichen Lebens in Besitz nehmen und einen ganzen Staat in Geiselhaft nehmen. Dabei wäre es damals noch einfacher gewesen, der Mafia Herr zu werden, befanden sich deren Strukturen doch erst im Aufbau. Doch Mitte der neunziger Jahre, als Premier Vladimir Meciar die Slowakei zusehends in ein autoritäres Schattenreich verwandelte, war niemand daran interessiert, dem organisierten Verbrechen zu nahe zu treten – zu eng waren die eigenen Verwicklungen, zu tief steckte man selbst mit den Paten unter einer Decke.

Auch wenn Meciar wohl nie mehr zurückkehren wird, ist sein Erbe allgegenwärtig. Sechs Jahre nach Meciars Abgang steht die Slowakei zwar unmittelbar vor dem EU- und NATO-Beitritt und gilt dank niedriger Körperschaftsteuer mittlerweile als Investorenparadies (siehe Kasten „Slowakischer Tiger“), doch die Schatten der Vergangenheit verflüchtigen sich nur langsam. Das slowakische Magazin „Trend“ errechnete, dass während der Herrschaft Meciars Staatsbesitz in der Höhe von 76 Milliarden Kronen zu einem Zehntel dieses Wertes verscherbelt wurde und an Schmiergeldern wohl ein Vielfaches floss. Die Begünstigten von einst halten auch heute noch viele Fäden in Wirtschaft und Politik in Händen.
Schaltstelle für alle möglichen Machenschaften ist nach wie vor der slowakische Geheimdienst SIS. Zu Meciars Zeiten zum Synonym für Machtmissbrauch fernab politischer Kontrolle und rechtsstaatlicher Institutionen geworden, kämpft er bis heute mit den Geistern von gestern.

Todesursache Autobombe. 1995 soll der SIS Schergen aus der Unterwelt angeheuert haben, um Präsident Michal Kovac einzuschüchtern. Er war Meciars letzter verbliebener Gegenspieler auf dem Weg zur unumschränkten Macht. Die Kriminellen kidnappten den Sohn des Präsidenten, folterten ihn, steckten ihn schließlich in den Kofferraum eines Wagens und fuhren damit nach Österreich. In Hainburg setzten sie ihn aus, in der Hoffnung, Österreich würde den in Deutschland wegen Betrugsverdachts zur Fahndung ausgeschriebenen Präsidentensohn ausliefern.

Aber die österreichischen Behörden schickten Kovac junior in die Slowakei zurück. Dort verdichteten sich alsbald die Hinweise auf eine SIS-Connection, und als der Informant Robert Remias zu reden beginnen wollte, war auch sein Schicksal besiegelt – Todesursache Autobombe.

Geheimdienstchef Ivan Lexa, ein willfähriger Handlanger Meciars, sollte später vorgeworfen werden, den Mord bei einem Bratislaver Unterweltboss um zwei Millionen Kronen (47.000 Euro) quasi bestellt zu haben.

Doch als Meciar 1998 stürzte, fiel mit ihm auch Lexa. Ermittlungen wurden eingeleitet, Lexa festgenommen, dann wieder freigelassen. Als ein neuer Haftbefehl erging, setzte sich Lexa ins Ausland ab. Erst voriges Jahr gelang es, ihn in Südafrika festzunehmen. In Bratislava soll ihm nun endgültig der Prozess gemacht werden. Die Liste der Anschuldigungen reicht von Amtsmissbrauch über Betrug und illegalen Waffenschmuggel bis hin zu besagtem Auftragsmord. Doch seit Juni ist Lexa wieder auf freiem Fuß, vorzeitig entlassen, da keine Fluchtgefahr bestehe, sagt der Richter in Bratislava. Ein Prozess oder gar ein Urteil sind nach acht Jahren ohnedies nicht so bald zu erwarten.

Kommunistische Unterwanderung. „Lexa hat immer noch sehr viel Geld, Macht und Einfluss, da ist es nicht schwierig, den richtigen Richter zu finden“, sagt Journalist Fila, „in einem Land wie der Slowakei fällt es schwer, zu glauben, dass Gerichte tatsächlich unabhängig entscheiden.“

Während Meciars Nachfolger, Mikulas Dzurinda, die Slowakei demokratisiert hat, hält der Geheimdienst weiterhin an den alten Praktiken fest. Erst im Frühjahr musste der Nachfolger Lexas zurücktreten, nachdem bekannt geworden war, dass der SIS die Redaktion der größten Tageszeitung des Landes, „SME“, illegal abhören ließ. „Der SIS hat die so gewonnenen Informationen verwendet, um einflussreiche Leute unter Druck zu setzen, sie gefügig zu machen und in den eigenen Dienst zu stellen“, vermutet der Chefredakteur des Blattes, Martin Simecka. Umgekehrt wurden auch der Zeitung Tonbandmitschnitte angeboten, mit denen Unternehmer erpresst und diskreditiert werden sollten.

Interessierten diese Vorgänge außerhalb der Slowakei bislang kaum jemanden, so registriert die NATO seit kurzem äußerst aufmerksam, was sich in ihrem zukünftigen Mitgliedsstaat so abspielt. Aufhorchen ließen deshalb die Anschuldigungen des angesehenen britischen Fachmagazins „Jane’s Intelligence Digest“, wonach der SIS von Agenten des früheren tschechoslowakischen Geheimen Staatssicherheitsdienstes (StB) unterwandert sei. „Diese Leute sitzen an einflussreichen Positionen, reaktivieren alte Netzwerke nach Russland und in die Ukraine und stecken oft mit dem organisierten Verbrechen unter einer Decke“, sagt dessen Chefredakteur Alex Standish zu profil, „diese Leute werden zur Gefahr, weil sie aufgrund ihrer Vergangenheit erpressbar sind und künftig Zugriff auf sensible NATO-Informationen haben – eine Albtraumvorstellung.“

Noch eine Bombe. In Bratislava wundert sich kaum jemand über solche Vorwürfe. „Die Leute der ehemaligen Staatssicherheit spielen in Politik und Wirtschaft weiterhin eine äußerst einflussreiche Rolle“, sagt „SME“-Chefredakteur Martin Simecka, „diese Leute sehen jetzt, mit dem bevorstehenden NATO-Beitritt, ihre Macht bedroht.“ Dass im Geheimdienst weiterhin Menschen arbeiten, die vor 1989 Agenten der kommunistischen Staatssicherheit waren, bestätigt selbst dessen neuer Chef Ladislav Pittner. Er ist im Frühling mit dem Versprechen angetreten, den SIS von diesen Altlasten zu säubern, die laut internen Schätzungen zwölf Prozent der etwa 600 Mitarbeiter ausmachen.

Wenige Tage nach Pittners Bestellung wurde das Auto seines Sohnes Peter in die Luft gesprengt. Dieser glaubt aber, dass es sich um keine Warnung für den Vater gehandelt habe, sondern vielmehr um eine Folge seiner eigenen Geschäftskontakte.

Hauptfeind der einflussreichen Zirkel früherer StB-Agenten ist das 2001 eingerichtete Nationale Amt für Sicherheit (NBU). Während Nachbar Tschechien schon Mitte der neunziger Jahre ein Lustrationsgesetz erließ, das Funktionären des ehemaligen kommunistischen Regimes ein Berufsverbot auferlegte, zieht die Slowakei erst jetzt nach. Die NBU soll nun die Zuverlässigkeit tausender höherer Beamter untersuchen: Wer zu viele kommunistische Spurenelemente in seinem Lebenslauf aufweist, steht am Ende seiner Karriere. Gleiches gilt für Firmenchefs mit prononciert kommunistischer Vergangenheit, die künftig bei staatlichen Ausschreibungen unberücksichtigt bleiben sollen.

Es geht um Macht und viel Geld und die Angst, beides zu verlieren. Wenig verwunderlich erscheint es deshalb, dass die aus dem Dunkeln agierenden alten Netzwerke den jungen NBU-Chef Jan Mojzis zu ihrem Hauptfeind auserkoren haben. Mojzis, der das Vertrauen von NATO und USA genießt, geht kompromisslos gegen die Seilschaften der Vergangenheit vor und könnte daher vielen gefährlich werden. Noch ist nicht entschieden, wer letztlich diesen Kampf für sich entscheidet und auf welcher Seite die einzelnen Akteure stehen.

Staatsschädigende Gruppe. Einer, von dem man bislang klar zu wissen glaubte, wo er steht, Premier Mikulas Dzurinda, konterte die Anschuldigungen des englischen Magazins „Jane’s Intelligence Digest“ gegen den SIS mit der Aussage, es handle sich dabei um das Werk einer „Gruppe“, die dem Image der Slowakei schaden und das Land im Ausland diskreditieren wolle. Dzurinda, der vor einem Jahr wiedergewählt wurde und seither die Slowakei mit einer liberal-christlich-konservativen Vierer-Koalition regiert, lehnte es jedoch ab, die Mitglieder dieser „Gruppe“ öffentlich zu nennen.

Die Bombe ließ dann der Chef des parlamentarischen Ausschusses für Sicherheit, der Oppositionelle Robert Kalinak, platzen: NBU-Chef Jan Mojzis und „SME“-Chefredakteur Martin Simecka sollen der „Gruppe“ angehören, von der Dzurinda spricht. Simecka zeigt sich bestürzt: „Ich war Dissident in den achtziger Jahren, stand in Frontalopposition zu Meciar in den Neunzigern, nun habe ich geglaubt, wir haben endlich Demokratie, und plötzlich höre ich wieder das alte Vokabular von wegen staatsschädigender Tätigkeit.“

Innenminister Palko ließ bereits eine spezielle Untersuchungskommission einrichten, die gegen die ominöse Gruppe ermitteln soll. Jozef Majchrak, Analyst beim Institut für öffentliche Fragen in Bratislava, sieht in dem verschwörerischen Wirrwarr eine Intrige, die von den ehemaligen Agenten der Staatssicherheit innerhalb des SIS geplant wurde, um ihren größten Feind, NBU-Chef Jan Mojzis, auszuschalten.

Weshalb aber plötzlich Dzurinda die Seiten gewechselt zu haben scheint, ist auch Majchrak ein Rätsel. Und es dürfte nicht das einzige bleiben, das es in Bratislava noch zu lösen gibt.

„Sorry Vienna, Bratislava calling“ steht auf einem Werbeplakat der slowakischen Billigfluglinie SkyEurope, die damit Passagiere aus Wien nach Bratislava locken will. „Achtung Wien! Der StB hört alles mit“, haben Unbekannte auf Slowakisch darunter geschmiert.