Stresstest-Dummies

Stresstest-Dummies: Hypo und Volksbanken können nicht zahlen

Hypo und Volksbanken können nicht zahlen

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Von Michael Nikbakhsh und Ulla Schmid

Der Zeitpunkt der Veranstaltung war eine glückliche oder unglückliche Koinzidenz – je nachdem, auf welcher Seite des Konferenztisches man saß. Am Donnerstag vergangener Woche hatte die Oesterreichische Nationalbank Medienvertreter zu einer länger geplanten Pressekonferenz geladen. Gemeinsam mit der Finanzmarktaufsicht sollten „Aktuelle Herausforderungen an eine neue Aufsicht auf EU-Ebene“ skizziert werden.
Blöd nur: Eine drei Tage zuvor erschienene profil-Geschichte hatte die Tagesordnung völlig über den Haufen geworfen. Andreas Ittner, Chef der OeNB-Bankenaufsicht, musste sich unvermittelt einer ungleich delikateren Herausforderung stellen: Wie konnte es passieren, dass die Oesterreichische Nationalbank die heute vor dem Kollaps stehende Kärntner Hypo Alpe-Adria noch vor einem Jahr als durchwegs solide Bank qualifizierte?
Eine Frage, die tags zuvor auch Ittners Chef, OeNB-Gouverneur Ewald Nowotny, im Finanzausschuss des Parlaments über sich ergehen lassen musste.
Wie in der Vorwoche ausführlich berichtet, hat die Notenbank der Hypo Alpe-­Adria im Dezember 2008 ein „weitgehend bereinigtes Kreditportfolio“ bescheinigt und obendrein Millionengewinne für „2009 und die Folgejahre“ prophezeit. Der entsprechende Bericht ging an das Finanzministerium, das daraufhin 900 Millionen Euro Staatshilfe, so genanntes Partizipationskapital, nach Klagenfurt überwies (profil Nr. 48/09).
Eine glatte Fehleinschätzung: Die Kärntner Landesbank wird heuer nicht nur keine Gewinne machen – sie steuert im Lichte nicht bereinigter Ausfälle im Kredit- und Leasinggeschäft auf mehr als eine Milliarde Euro Verlust zu und muss ein weiteres Mal dringend rekapitalisiert werden. Die Rede ist von gut und gern 1,5 Milliarden Euro.
Die OeNB-Repräsentanten hatten denn auch ihre liebe Not, das Vorgehen ihrer Ins­titution da wie dort plausibel zu machen. „Von einer kollegialen, lockeren Prüfung kann keine Rede sein“, so Nowotny an die Adresse der Opposition und Ittner an jene der Journalisten. Die Arbeit der OeNB sei „zeitpunktbezogen“ gewesen und habe „internationalen Standards“ entsprochen.

Verloren. Die jüngsten Wendungen legen einen anderen Schluss nahe: Die Kontrollmechanismen von Nationalbank und Finanzministerium haben nämlich nicht nur bei der Hypo Alpe-Adria versagt, sondern auch bei der Volksbanken-Gruppe. Auch sie hat Staatshilfen bekommen. Auch ihr wurde zuvor ein positives Testat der Notenbank ausgestellt. Und auch sie schreibt tiefrote Zahlen und muss restrukturiert werden.
Vier Bankengruppen haben seit Ende 2008 Partizipationskapital aus Steuergeldern in Anspruch genommen: Raiffeisen Zentralbank (1,75 Milliarden Euro), Erste Bank (1,2 Milliarden), Volksbanken (eine Milliarde), Hypo Alpe-Adria (900 Millionen) – gegen durchaus stattliche Konditionen in Höhe von bis zu 9,3 Prozent im Jahr. Ausnahmslos alle Geldhäuser hatten von der Nationalbank im Wege so genannter Stresstests umstandslos das Siegel „nicht not­leidend“ („not distressed“) erhalten.
Jetzt stellt sich heraus, dass mit Hypo und Volksbanken gleich zwei der vier Subventionsempfänger – die Bawag hat als fünfte Bank mittlerweile 385 Millionen Euro beantragt, das Geld aber noch nicht erhalten – ihren Verpflichtungen gegenüber der Republik und damit den Steuerzahlern erst einmal nicht nachkommen können. In Summe geht es nach profil-Recherchen um exakt 201 Millionen Euro, die dem ohnehin schwer strapazierten Budget mittlerweile fehlen.

Verblasen. Die Hypo Alpe-Adria bekam das Staatsgeld schon Ende 2008 und hätte dieses laut den gesetzlichen Grundlagen jedenfalls auch für das zweite Halbjahr 2008 bedienen müssen. Bei acht Prozent im Jahr wären das 36 Millionen Euro gewesen. Im Gesamtjahr 2009 wären weitere 72 Millionen Euro fällig geworden, insgesamt also 108 Millionen Euro. Im Lichte ausufernder Verluste hat die Hypo Alpe-Adria für 2008 keine Dividenden – im Fachjargon auch „Gewinnanteile“ genannt – an den Staat abgeführt. Und sie wird auch für das endende Geschäftsjahr 2009 nichts zahlen.
Die Österreichische Volksbanken AG (VBAG) hat in den ersten neun Monaten dieses Jahres 607 Millionen Euro versenkt und steuert ihrerseits auf einen Rekordverlust zu. Das Spitzeninstitut des Volksbanken-Sektors hat erst im April dieses Jahres eine Milliarde Euro Staatsgeld zu jährlich 9,3 Prozent gezogen. Für 2009 wären damit 93 Millionen fällig geworden. Geld, das auch die VBAG nicht hat.
Der Finanzminister muss damit in jedem Fall insgesamt 201 Millionen Euro an Dividenden in den Wind schreiben. Denn, auch das steht im Gesetz: Wer Verluste schreibt, muss nicht zahlen. Eine Verpflichtung, ausgefallene Überweisungen zu einem späteren Zeitpunkt nachzuholen, besteht ausdrücklich nicht.
Auf Anfrage von profil verstieg sich das Finanzministerium Ende vergangener Woche zu der Feststellung, dass die Zuwendungen der Kreditinstitute ohnehin nicht budgetiert gewesen seien. „Schließlich handelt es sich hierbei ausschließlich um Risikokapital“, so ein Sprecher von ÖVP-Finanzminister Josef Pröll.
Vor acht Monaten hat sich das noch ganz anders angehört: „Den Banken wird kein Geld geschenkt“, tönte Pröll Anfang April im Rahmen einer Pressekonferenz. Das Geld werde „lediglich hergeborgt“ und dafür werde man „acht oder 9,3 Prozent Dividendenzahlungen von den Banken erhalten“, folglich komme „laufend Geld in den Bundeshaushalt zurück“.

Vergessen. Der frühere Gouverneur und Präsident der Notenbank, Klaus Liebscher, scheint die Sache immer schon anders gesehen zu haben: „Das primäre Interesse der Regierung galt stets der Stabilisierung des Finanzmarkts und nicht dem Budget.“ Liebscher steht mittlerweile jener staatlichen Einrichtung vor, welche die Verwendung der Staatsmilliarden kontrollieren soll: der Finanzmarktbeteiligung AG, kurz Fimbag. Über diese im November 2008 installierte Gesellschaft, die dem Finanzminister direkt unterstellt ist, wurden die Subventionen abgewickelt. Und genau jene Fimbag muss sich jetzt die Frage gefallen lassen, was sie denn wann gesehen hat – und was nicht.
Als die Regierung das Bankenrettungsprogramm Ende 2008 ausformulierte, wurden den Kreditinstituten unmissverständliche Auflagen gemacht: Jede Bank, die Geld beanspruchen wollte, musste unter anderem zwingend einen so genannten Restrukturierungsplan vorlegen, der im Wesentlichen die Geschäftsziele der nahen Zukunft umreißen sollte. Weder die Hypo Alpe-Adria noch die Volksbanken waren bisher entweder willens oder imstande, valide Restrukturierungspläne zu übermitteln – obwohl sie seit Monaten Staatsgeld in den Büchern führen. Das muss der Fimbag, nimmt sie ihre Aufgabe ernst, aufgefallen sein. Umso mehr, als bereits im Juli dieses Jahres klar war, dass beide Bankengruppen nahe am Abgrund spazieren.
Fimbag-Repräsentant Liebscher beteuert, dass seine Einrichtung bei der Überwachung der Banken eine „sehr aktive Rolle“ spiele. Aber wie kann es dann sein, dass zwei mit Steuergeld alimentierte „Systembanken“ trotz manifester Schwierigkeiten sich über Monate selbst überlassen bleiben? Umso mehr, als das Ausmaß der staatlichen Stützungen mittlerweile weit über den direkten Einschuss von Kapital hinausgeht?

Verstrickt. Ein von der Öffentlichkeit bisher wenig beachteter Teil des Bankenpakets umfasst öffentliche Haftungen für die Platzierung von Anleihen. Dabei handelt es sich um Instrumente zur Beschaffung so genannter Liquidität, um das laufende Geschäft zu bestreiten. Um den Banken, deren Bonität in der Finanzkrise bekanntlich arg gelitten hat, nicht noch zusätzliche Zinsbelastungen aufzubürden, gewährte Österreich ab dem Jahreswechsel 2008/2009 Garantien gegen ein entsprechendes Haftungsentgelt.
Und da steht jetzt ungleich mehr auf dem Spiel: Die Hypo Alpe-Adria hat zwischen Juli und September vier Anleihen mit Staatshaftung in Höhe von insgesamt 1,35 Mil­liarden Euro am Markt platziert. Bei den Volksbanken waren es gar drei Milliarden Euro in drei Tranchen. Diese Papiere haben Laufzeiten zwischen drei und vier Jahren, sind also bis spätestens 2013 zu tilgen. Der Finanzminister muss höchstes Interesse daran haben, dass die Banken ihren Verpflichtungen auch hier voll nachkommen – und dass die entsprechende Kontrolle reibungslos funktioniert.
Doch davon konnte bisher nur bedingt die Rede sein: Hypo Alpe-Adria und Volksbanken wurden von der OeNB – aus welchen Gründen auch immer – als „nicht notleidend“ eingestuft, obwohl im Zuge der Untersuchungen längst nicht alle Vermögens- und Ertragspositionen ausreichend hinterfragt wurden; unabhängig davon scherten sich die Banken bisher offensichtlich wenig um die gesetzlichen Auflagen und blieben präzise Restrukturierungspläne schuldig. Und auch die dem Finanzminister unterstellte Kontrollinstanz Fimbag war offensichtlich nicht mit letztem Nachdruck bei der Sache. Wie denn auch.
In einem kleinen Land wie Österreich sind die personellen Ressourcen traditionell limitiert. Weshalb dem Finanzministerium wenig übrig blieb, als längst pensionierte Urgesteine zu reaktivieren: Klaus Liebscher, heute 70, hat den größten Teil seines Berufslebens im Raiffeisen-Sektor verbracht, ehe er 1995 an die Spitze der Nationalbank wechselte. 2008 übergab er an Ewald Nowotny, der 2006 die Leitung der Bawag übernommen hatte. An Liebschers Seite in der Fimbag thront Adolf Wala, 72, der von 1988 bis 2003 Generaldirektion und Präsidium der OeNB durchlief.

Verhabert. Die Herren kennen das Bankgeschäft, vor allem aber kennen sie die Herren, die das Bankgeschäft heute besorgen.
Und so überrascht es auch nicht, dass jetzt keiner der Beteiligten die Verantwortung für die manifesten Versäumnisse im Bereich der Aufsicht auf sich nehmen will. Das Kabinett von Finanzminister Pröll argumentiert, man habe sich auf die Expertise der Notenbank verlassen müssen; in der Notenbank heißt es, man habe nach bestem Wissen und Gewissen geprüft, versagt habe die begleitende Kontrolle. Und die Fimbag geht den einfachsten Weg und beruft sich auf die Amtsverschwiegenheit.
Also: 201 Millionen Euro Steuergeld perdu – und keiner will’s gewesen sein.
Wie dozierte Finanzminister Pröll noch im April zum Bankenpaket? „Es wird nichts verschenkt, wir stellen nichts gratis zur Verfügung, sondern es handelt sich um ein beinhartes Geschäft.“
Fragt sich langsam, für wen.