Etsch bätsch!

Südtirol: Freiheitliche forcieren Abspaltung von Italien

Südtirol. Der neue Sezessionismus

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Von Judith Innerhofer

Jörg Haiders Reinkarnation an der Etsch trägt bordeauxroten Nagellack, ein tailliertes Herbstkleid und das Herz auf der Zunge. „Diesem Spuk muss ein Ende bereitet werden“, sagt Ulli Mair und kneift die stahlblauen Augen angriffslustig zusammen.

Mair, eine forsche 38-Jährige mit mehr Chuzpe als Charme, ist seit einem halben Jahr Obfrau der Südtiroler Freiheitlichen. Als solche will sie zweierlei: erst an die Macht – und dann weg von Italien, sobald wie möglich. Ziel Nummer eins ist in greifbarer Nähe. Lange fristete der blaue Ableger südlich der Brennergrenze, vor 20 Jahren unter Obhut von Jörg Haider aus der Taufe gehoben, ein Nischendasein am rechten Rand der Südtiroler Parteienlandschaft. Aber in knapp einem Jahr wird der Landtag der 500.000 Einwohner zählenden italienischen Provinz neu gewählt. Und die Freiheitlichen, vor zehn Jahren bei gerade einmal fünf Prozent, erreichen in aktuellen Umfragen 23,7 Prozent – trotz oder gerade wegen jenes Schlachtrufs, den man eigentlich schon in den Geschichtsbüchern endgelagert glaubte: Los von Rom!

"100 Jahre unfreiwillig"
Die rechtliche Grundlage für Ziel Nummer zwei liegt ganz oben auf Ulli Mairs Schreibtisch und trägt den vielsagenden Titel „Verfassung des Freistaats Südtirol“. Es ist ein 37 Seiten langer Entwurf, den der emeritierte Innsbrucker Staatsrechtler Peter Pernthaler verfasst hat. Wann es so weit sein soll? „2018 werden wir 100 Jahre unfreiwillig bei diesem Staat gewesen sein“, sagt Mair. „Das wäre doch der passende Zeitpunkt.“ Bestätigt fühlt sie sich dabei von der öffentlichen Meinung: „Jeder redet heute darüber. Das war vor 20 Jahren noch undenkbar.“

Tatsächlich: Die Abspaltung Südtirols von Italien steht seit Monaten an erster Stelle der politischen Agenda ebenso wie an den Stammtischen im Land. Und nicht nur die Freiheitlichen sind damit im Aufwind. Fast jeder zweite deutsch- und ladinischsprachige Südtiroler würde derzeit für eine der insgesamt drei separatistisch orientierten Parteien stimmen. Besonders die Jüngeren finden Tirol-Patriotismus und Befreiungsrufe wieder attraktiv. Und selbst die seit einem halben Jahrhundert praktisch im Alleingang regierende Volkspartei (SVP), bislang Gralshüter des ­Südtiroler Autonomiemodells, propagiert neuerdings Unerhörtes: Italien sei ein „Saftladen“, aus dem man Südtirol „herauskaufen“ müsse.

Tiroler Landesfarben
Woher kommt die neue alte Sehnsucht nach Unabhängigkeit? Die vergangenen 20 Jahre galten Forderungen nach einem Freistaat, einer Wiedervereinigung mit Nordtirol oder gar einer Rückkehr zum „Vaterland“ Österreich als ewiggestrig. Die Mehrheit der deutschsprachigen Südtiroler hatte es sich gut eingerichtet in der Bergprovinz, die auch dank ihrer ausgedehnten Autonomie zu einer der wohlhabendsten und wachstumsstärksten Regionen Europas geworden war.

Und jetzt?

Seit Stunden scharen sich sieben Burschen nun schon im Schutz eines Faltzelts um einen Tisch voller Broschüren, Flugzettel und Sticker in den rot-weißen Tiroler Landesfarben. Es ist Samstag, später Vormittag, der Spätherbst zeigt sich von seiner nasskalten Seite. Beladen mit Regenschirmen und Einkaufstüten, schieben sich Touristen und Einheimische an der wackeren Gruppe vorbei. Dann und wann bleibt jemand stehen, kommt ins Gespräch und füllt am Ende noch einen Fragebogen aus. Als Belohnung für den Aufwand winken Gutscheine, T-Shirts und Schlüsselanhänger.

„Wie hoch schätzen Sie den Schuldenstand Italiens?“, wird da gefragt, oder: „Was plant die Bewegung Süd-Tiroler Freiheit für 2013 durchzuführen?“ Benjamin Pixner grinst zufrieden. „Das haben viel mehr Leute gewusst, als ich mir gedacht habe“, sagt der blauäugige Hüne, einer der sieben Aktivisten.
Pixner und seine Mitstreiter gehören zur Jugendorganisation der Süd-Tiroler Freiheit und rühren in der Fußgängerzone von Meran die Werbetrommel für das so genannte Selbstbestimmungsreferendum, das ihre Partei im kommenden Jahr abhalten will. Die Süd-Tiroler Freiheit hat sich 2007 von den Freiheitlichen abgespaltet und gilt unter anderem als politisches Auffangbecken für den tiefbraunen deutschnationalen Rand. Der eigenwillige Einsatz des Bindestrichs im Namen soll die Trennung Tirols in die Landesteile Nord-, Süd- und Osttirol anprangern.

Knackige Slogans
Eines ihrer Gründungsmitglieder ist die mittlerweile 61-jährige „Heimatschützerin“ Eva Klotz, die in Auftreten und Aussehen als Verkörperung rückwärtsgewandter Heimattümelei gilt. Zu Unrecht? „Wir sind die jüngste Partei im Land, die Hälfte der Mitglieder ist noch unter 30“, behauptet Pixner, selbst 22, Landesjugendsprecher der Partei und seit zwei Jahren auch als Gemeinderatsmitglied tätig.

Mit knackigen Slogans und innovativen Aktionen spricht die Süd-Tiroler Freiheit vor allem die Jugend in den kleinen Dörfern und engen Bergtälern an. Einen echten Marketing-Coup haben die Jungrechten beispielsweise mit dem „Tiroler Merkheft“ gelandet. Der Schülerkalender richtet sich an „alle Patrioten“ und bietet Selbstbestimmungssprüche von Andreas Hofer über Che Guevara bis hin zu Mahatma Gandhi.

Unter Selbstbestimmung verstehen Klotz und Konsorten eine Volksabstimmung über die Zukunft Südtirols. Dass sie am liebsten schon heute auch offiziell wieder Österreicher wären, daraus machen die Burschen am Infostand kein Hehl – aus ihrer komplett fehlenden Identifikation mit Italien ebenso wenig. Nur einer der sieben ist mit Müh und Not in der Lage, mit einem italienischsprachigen Passanten zu kommunizieren, der verwundert vor einem mittlerweile vom Regen aufgequollenen Plakat mit dem Slogan „Auch Du zahlst mit Italien drauf“ steht.

"Los von Rom"
Mitte März waren die jungen Patrioten im Gleichschritt durch Bozen marschiert und hatten mit einem „Unabhängigkeitsmanifest“ das „Los von Rom“ proklamiert. Aufgerufen zu diesem „Freiheitsmarsch“ hatte der Südtiroler Schützenbund, mittlerweile eine Art Vorfeldorganisation der Süd-Tiroler Freiheit.

Der Erfolg war trotz der Teilnahme von rund 5000 Trachtenträgern mäßig. Nicht nur die SVP, sondern auch die Freiheitlichen hatten sich im Vorfeld gegen die Veranstaltung ausgesprochen. Man wolle die Italiener nicht provozieren, erklärte Ulli Mair. Das waren ganz neue Töne der früher für deftige Stammtischparolen, antisemitische Ausfälle und Hetzparolen gegen alles Nicht-Deutsche bekannten Populistin – ein Versuch, in einer neuen Rolle als seriöse Staatsfrau zu reüssieren. Inzwischen hat sie sich darin zurechtgefunden. „Wir müssen mit den Italienern hier in Südtirol auf Augenhöhe reden, den Freistaat können wir nur gemeinsam erreichen“, sagt sie heute. Eine Überzeugung ist aber geblieben: „Mit Italien hat Südtirol absolut nichts gemeinsam. Das ist eine Frage der Mentalität.“

Hat Südtirol eine Zukunft im Staat Italien? „Das ist die große Frage.“ Der smarte Anzugträger stützt die Arme auf den blank polierten Konferenztisch seines Büros im Südtiroler Landhaus. „Wir bluten auf allen Ebenen. An allen Flanken wird unsere Autonomie ausgehöhlt und mit Füßen getreten“, grollt Thomas Widmann dann. „Damit uns das nationalistische Rom nicht nach unten zieht, müssen wir vor das Verfassungsgericht ziehen und die Schutzmacht Österreich anrufen.“

Widmann gehört nicht zur Riege der Deutschpatrioten. Er ist Landesrat für Wirtschaft und Vizeobmann der SVP. Die Partei steckt mitten in der größten Krise ihrer Geschichte, bei aktuellen Neuwahlen würde sie laut aktuellen Umfragen zum ersten Mal die absolute Mehrheit im Landtag verlieren. Ursachen dafür gibt es mehrere. Eine heißt auch Mario Monti.

Montis Desinteresse
Bislang war die Regel des politischen Zusammenlebens zwischen Südtirol und Rom simpel: Die SVP stimmte immer dann mit einer Regierung, wenn sie im Gegenzug weitere Eingeständnisse und Zuständigkeiten „heimholen“ konnte – und damit auch noch mehr Geld. Der Technokrat Monti hat dieses Spiel als italienischer Regierungschef einseitig für beendet erklärt.

Monti braucht nämlich keine Stimmen, sondern Geld. Und zwar viel zu viel, findet die Volkspartei. Das 2010 in Kraft getretene „Mailänder Abkommen“, demzufolge 90 Prozent aller Steuereinnahmen direkt in Südtirol bleiben, hat die Regierung faktisch aufgehoben. Spardekrete und Verordnungen haben das Landesbudget, das zuvor bei fünf Milliarden Euro lag, bereits 350 Millionen gekostet. „Und dann wollen sie uns auch noch vorschreiben, wo wir sparen sollen“, klagt der Landesrat. Dabei habe das schuldenfreie Südtirol doch in jeder Hinsicht größere Verwaltungs- und Sparqualitäten gezeigt als der Süden: „Wir als Hiesige verstehen besser als ein sizilianischer Minister in Rom, wie und wo wir sparen können. Aber Monti will Südtirol auf italienisches Niveau nivellieren.“

Seit der Regierungschef in Rom Anfang November auch noch die Berechtigung Österreichs als Schutzmacht Südtirols infrage gestellt hat, liegen die Nerven endgültig blank. Umgehend forderte die SVP-Spitze von Bundespräsident Heinz Fischer, Bundeskanzler Werner Faymann und Außenminister Michael Spindelegger, der Anfechtung aus Rom doch bitte unmissverständlich entgegenzutreten.

Mario Montis offenkundiges Desinteresse am Südtiroler Sonderstatus nährt die Ressentiments gegen Italien ein weiteres Mal. Auf der Wohlstandsinsel hat die globale Wirtschaftskrise bislang zwar nur wenige Spuren hinterlassen. Die Arbeitslosigkeit liegt deutlich unter vier Prozent, die Wirtschaft wächst, wenn auch langsamer als einst. Aber die Angst vor Verlusten ist groß.
Italien sei ein „sinkendes Schiff“, das Südtirol mit in den Abgrund zu ziehen drohe, vermeldete etwa der Präsident des Südtiroler Wirtschaftrings vor versam­melter Unternehmerschaft. Und unter dem Titel „Option Eigenständigkeit“ erklärte der Chefredakteur der „Südtiroler Wirtschaftszeitung“ die aktuelle Stimmung seiner ­Leserinnen und Leser: „Der drohende Niedergang Italiens macht die Meinung salonfähig, dass eine Sezession eine mögliche Option wäre.“

Korruption und Misswirtschaft, Schulden und Filz, hohe Steuerbelastung und uferlose Bürokratie: Die Argumente, mit denen gegen den maroden italienischen Staat ins Feld gezogen wird, sind am Infostand der Tiroler Patrioten dieselben wie in Unternehmerkreisen.

Das Revival des Unabhängigkeitsgedankens, meint der an der Universität Innsbruck lehrende Politologe Günther Pallaver, werde von der italienischen Krise zweifellos gespeist: „Der Mythos Selbstbestimmung entspricht aber auch einem europaweiten Trend, zu sehen etwa in Schottland, Katalonien oder Flandern.“ Dahinter stecke aber mehr als der bloße Geiz der Reichen, die nicht für die Schulden des Südens aufkommen wollen. „Die Rückbesinnung auf überschaubare Regionen ist eine Gegentendenz zur Großräumigkeit der EU“, sagt Pallaver. Er hält die Unabhängigkeit Südtirols zwar nicht für ein real anstehendes Szenario: „Aber für die Autonomie kann dieses Meinungsklima sehr wohl zur Gefahr werden, vor allem dann, wenn auch die SVP weiter das Thema reitet.“ Und das tut sie.

SVP-Wirtschaftslandesrat Widmann zum Beispiel hat inzwischen den Preis der Freiheit berechnet: Er bemisst ihn an den Pro-Kopf-Schulden aller Italiener im Verhältnis zur Südtiroler Bevölkerung und kommt dabei auf 15 Milliarden Euro. Dafür will Widmann alle Zuständigkeiten bis auf Währungs-, Außen- und Verteidigungspolitik von Rom nach Südtirol verlagern: „Ein Freikauf wäre allemal billiger als das, was jetzt passiert.“