„Ich bin aber Künstler geworden, Entschuldigung”

Sven Regener über seinen neuen Roman „Magical Mystery”

Interview. Sven Regener über Backstage-Erlebnisse, Mietfragen und seinen Roman „Magical Mystery”

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Interview: Sebastian Hofer

Journalisten können unangenehm sein, aber leider dürfen nur erfolgreiche Künstler ihnen das auch klarmachen. Alles andere wäre karrieretechnisch vermutlich nicht vertretbar. Sven Regener, 52, ist als Musiker (Element of Crime) und Schriftsteller ("Herr Lehmann“, "Neue Vahr Süd“, "Der kleine Bruder“) sehr erfolgreich. Derzeit absolviert der gebürtige Bremer die unvermeidlichen Journalistentermine zur Veröffentlichung seines vierten Romans "Magical Mystery“, in dem der aus der "Lehmann“-Trilogie bekannte Karl Schmidt zur Hauptfigur avanciert und eine bizarre Deutschland-Tour durch die Suppenküchen, Autobahnhotels und Rave-clubs der mittleren 1990er-Jahre absolviert. profil gewährte der Autor vorab eine E-Mail-Audienz, verzichtete dabei aber - ganz im Gegensatz zu seinen Romanfiguren - auf übertriebene Redseligkeit.

profil: "Magical Mystery“ spielt zu guten Teilen unter Neunzigerjahre-Ravern. Wir bewundern die Genauigkeit Ihrer Beobachtungen, wenn es um überdrehte Afterhour-Spezialisten geht. Wie haben Sie recherchiert? Man kann sich Sven Regener nicht unbedingt im Berghain vorstellen.
Regener: Wieso nicht? Da kann doch jeder hin.

profil:
Würden Sie sich dort denn amüsieren?
Regener: Keine Ahnung, ich war ja noch nie dort. Letzten Endes hängt so was aber immer von einem selber ab. Amüsieren kann man sich eigentlich überall.

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Um welche Uhrzeit am ehesten? Der Berliner Feierprofi geht mittlerweile ja gern erst nach dem Sonntagsfrühstück in den Club.
Regener: Interessantes Konzept: eine moderne Version des Dixieland-Frühschoppens.

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Ist die Liebe, von der im Rave immer die Rede ist, dieselbe Liebe, von der in Element-of-Crime-Liedern oft die Rede ist?
Regener: Nein. Die eine ist universell, die andere konkret.

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Ihr Held Karl Schmidt trägt den deutschesten aller Namen. Hat das etwas zu bedeuten?
Regener: Nein. Der Mann heißt einfach nur so. Irgendwie muss er ja heißen.

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Es liegt nahe, "Magical Mystery“ als politisches Buch zu lesen. Es geht darin stets auch um die neue und die alte Bundesrepublik Deutschland und um die Menschen in diesem Land. Würden Sie diese Interpretation unterstützen?
Regener: Mir ist jede Interpretation recht, solange sie den Leuten den Spaß am Buch nicht verdirbt.

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Wie geht es diesen Menschen in Deutschland heute, 2013?
Regener: Sie leben, manche arbeiten, manche gehen zur Schule, und jeden Tag essen und schlafen sie. Manche sind auch Rentner, oder wie es in Österreich heißt, Pensionisten. Den einen geht es gut, den anderen nicht so. Es ist schon ein seltsames Land.

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Hat sich Deutschland seit 1989 anders, schneller entwickelt als seine Bürger?
Regener: Wahrscheinlich einerseits ja, andererseits möglicherweise auch gerade nicht. Nehmen Sie nur die Wiedervereinigung 1990: Da hat sich der Staat aus zweien zu einem wiedervereinigt. Wer von den Bürgern kann das schon von sich behaupten?

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Was macht einen guten Politiker aus? Gestaltungswille? Beharrungsvermögen? Kompromissbereitschaft?
Regener: Alles drei, denke ich mal. Aber auch Trinkfestigkeit, Redekunst und Aktenaffinität sollten nicht zu kurz kommen.

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Wären Sie für die Politik geeignet?
Regener: Ja sicher. Wer wäre das nicht? Ich bin aber Künstler geworden, Entschuldigung.

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Karl Schmidt begegnet seinen Mitbürgern mit naiver Weisheit. Man fühlt sich an Dostojewskis Fürst Myschkin aus "Der Idiot“ erinnert. Ein Vorbild?
Regener: Nein. Weil er kein Idiot ist. Da bin ich mir sicher. Auch mit der Weisheit hat er es nicht so. Er ist aber ein feiner Kerl, der sich von einem Dachschaden erholt. Immerhin.

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Er versucht, sein Leben in den Griff zu kriegen. Aber will man das denn überhaupt?
Regener: Diese Frage stellt sich für jeden anders. Am Beispiel von Karl Schmidt muss man sagen: Es bleibt ihm wohl nichts anderes übrig. Nicht jeder will sich irgendwo festhalten, ein Fallender aber schon.

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Sie kennen beides, was ist gefährlicher: Lese- oder Rock-’n’-Roll-Tourneen?
Regener: Die Unfallgefahr ist bei Rock-’n’-Roll-Tourneen größer, vor allem, wenn die Musiker selber fahren. Wir sind mit Element of Crime einmal im Kleinbus von der Autobahn geflogen, so was ist nicht schön. Der Literat nimmt ja in der Regel die Eisenbahn.

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Gibt es bei Lesungen eigentlich einen Backstage-Bereich?
Regener: Das hängt davon ab, wo man liest: in Klubs und Hallen ja, in Kirchen meist auch, etwa die Sakristei, in Buchgeschäften eher weniger.

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Was passiert dort?
Regener: Koks und Nutten natürlich.

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Wird eher aus einem Lied ein Roman oder aus einem Roman ein Lied?
Regener: Eher das Letztere. Denken Sie nur an The Cure, "Killing an Arab“. Oder "Venus in Furs“ von Velvet Underground.

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"Magical Mystery“ besteht über weite Strecken aus ruhelosen Halbsatzketten, ein Beistrich jagt den anderen, es gibt kein Zum-Punkt-Kommen. Schreiben Sie mit einem Sound im Ohr? Einem Film im Kopf? Womöglich mit Detlef Buck?
Regener: Sound im Ohr ist gut. So sieht’s aus. Detlef Buck hat damit nichts zu tun.

profil:
Sind überdrehte Kneipengespräche ein wichtiger Teil Ihrer Welterfahrung?
Regener: Nein, das würde ich so nicht sagen wollen. Sie sind aber auch nicht zu verachten. Kneipengespräche haben ebenso sehr ein Recht auf Liebe wie alle anderen Gespräche auch.

profil:
Die "Magical Mystery Tour“ erlebt ihr Waterloo in einer fiktiven norddeutschen Kleinststadt. Wo liegt Ihr persönliches Schrankenhusen-Borstel?
Regener: Kiel-Bistensee, Mainz-Oppenheim, St. Gallen.

profil:
Als Berliner sind Ihnen Gentrifizierungsdebatten bestimmt nicht fremd. Was können wir von Berlin-Mitte lernen? Nicht zu viele asiatische Suppen schlürfen, wie die Protagonisten von "Magical Mystery“?
Regener: Gegen Suppen ist aber ja nun wirklich gar nichts zu sagen. An Gentrifizierungsdiskussionen auf kultureller Ebene beteilige ich mich nicht. Auf politischer Ebene, und da sind wir bei der etwas mühsameren, aber auch einzig wirksamen Ebene, müsste man sich mal über die mietrechtlichen Regeln, die Umlage von Modernisierungskosten auf die Kaltmiete betreffend unterhalten. Aber da hat ja keiner Lust drauf. Die Leute mokieren sich lieber über kulturelle Zeichen, die sie nicht mögen. Das ist aber unpolitisch und meistens auch niederträchtig.

profil:
Sind Investoren böse Menschen?
Regener: Ach, bitte!

profil:
Ist Veränderung per se gut oder schlecht, oder kommt es drauf an? Wenn ja, worauf?
Regener: Es gibt Veränderungen zum Guten und zum Schlechten. Ein Beispiel: Wenn Ihnen die Zähne ausfallen, und es sind die ersten, dann ist das gut. Wenn es die zweiten sind, dann ist es schlecht.

profil:
David Bowie hat jüngst über "sein“ Spätzsiebziger-Berlin gesungen. Werden Sie beim Hören sentimental? Und wenn ja: Ist Sentimentalität etwas Schlechtes?
Regener: Nein, Sentimentalität ist nicht schlecht. Und ja, man darf sentimental werden. Daran kann einen niemand hindern. Das kann sehr schön sein.

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Auch in "Magical Mystery“ ist das immer wieder ein Thema: die gute alte Zeit und wie sie wirklich war. Auch die Raveszene der mittleren 1990er-Jahre gibt es zwei Mal - als Wirklichkeit und als Erinnerung. Wo lebt es sich am besten: In der Wirklichkeit? In der Erinnerung?
Regener: Am besten lebt es sich dort, wo es gerade gut läuft, denke ich mal.

profil:
Die mittleren 1990er-Jahre waren so etwas wie die gute alte Zeit der Plattenindustrie. Wie haben Sie diese Zeit erfahren? So richtig prominent wurden Sie ja erst, als diese Industrie bereits am Eingehen war. Schlechtes Timing, oder?
Regener: Nein, unser Timing war immer 1a.

profil:
"Die Zukunft ist eine Sau“, meint Karl Schmidt. Man könnte fortsetzen: Bei der Vergangenheit weiß man wenigstens, woran man ist - und kann sie sich zur Not schönerinnern.
Regener: Da sagen Sie was! Oder um es mit Frank Schulz zu sagen, der es mit Heino Jaeger sagt: Ganz richtig!

Sven Regener: Magical Mystery oder Die Rückkehr des Karl Schmidt. Galiani Berlin, 512 S., 23,70 EUR (erhältlich ab 10. September)